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Das neue Aktienrecht tritt ab 1. Januar 2023 in Kraft. Es besteht jedoch eine Übergangsfrist von zwei Jahren für bestehende Gesellschaften, sodass Anpassungen der Statuten anlässlich der ordentlichen Generalversammlungen 2023 oder 2024 vorgenommen werden können. Neue Gesellschaften sind ab 1. Januar 2023 nach dem neuen Aktienrecht zu gründen.
Insbesondere bei börsenkotierten Gesellschaften können gute Gründe dafür sprechen, die Statuten lieber früher als später anzupassen, weil gewisse Instrumente erst mit der Anpassung der Statuten für die Gesellschaft verfügbar sind.
Statutenanpassungen
Folgende Instrument bedürfen ab 1. Januar 2023 neu einer ausdrücklichen statutarischen Grundlage
- Durchführung von Generalversammlungen auf elektronischem Weg unter Ausschluss des persönlichen Teilnahmerechts vor Ort (virtuelle Generalversammlung)
Aufgrund der Covid-19-Übergangsregelung kann eine Generalversammlung noch bis 31. Dezember 2022 auf elektronischem Weg durchgeführt werden. Ab 1. Januar 2023 ist dies nur noch nach Anpassung der Statuten möglich. - Durchführung von Generalversammlungen an einem Tagungsort außerhalb der Schweiz
Dies gilt selbst dann, wenn die Gesellschaft dies in der Vergangenheit immer so gehandhabt hat. - Generalversammlung auf dem Zirkularweg
Neu können auch Generalversammlungen auf schriftlichem Weg durchgeführt werden, was aber für kotierte Unternehmen nicht praktikabel ist. - Stichentscheid des Vorsitzenden in der Generalversammlung
Auch wenn gemäß gewissen Lehrmeinungen der Stichentscheid des Vorsitzenden an Generalversammlungen bisher auch ohne statutarische Grundlage möglich war, kann dieser in Zukunft erst angewendet werden, wenn die Statuten dies ausdrücklich vorsehen.
Nutzung von neuen Instrumenten
- Neuerungen bzgl. Aktienkapital/Flexibilisierung der Kapitalstruktur
Aktienkapital in britischem Pfund, Euro, US-Dollar und Yen anstatt Schweizer Franken; ebenso können die Kapitaleinlagereserven in einer dieser Währungen gemeldet werden. - Nennwert der Aktien kleiner als 0,01 CHF (aber größer als null)
- Kapitalband
Ermächtigung des Verwaltungsrats, das Aktienkapital innerhalb einer definierten Bandbreite nach oben oder nach unten zu verändern (siehe dazu unseren Artikel „Das Kapitalband – ein neues und flexibles Instrument für die Schweiz“ in GoingPublic Magazin, Kapitalmarkt Schweiz 2021, S. 12–13)
Verbesserung der Corporate Governance
- Senkung des Schwellenwerts der gehaltenen Aktien zur Einberufung einer Generalversammlung und bzgl. Traktandierungs- und Antragsrecht
Die Schwellenwerte werden für börsenkotierte Gesellschaften auf 5% bzw. 0,5% des Aktienkapitals oder der Stimmen und für nicht-kotierte Aktiengesellschaften auf 10% bzw. 5% des Aktienkapitals oder der Stimmen gesenkt (zuvor: 10% des Aktienkapitals oder Aktien mit einem Nominalwert von 1 Mio. CHF). - Inhalt und Verfügbarkeit von Protokollen der Generalversammlung
Beschlüsse und Wahlergebnisse müssen den Aktionären zugänglich gemacht werden, innerhalb von 30 Tagen bei nicht-kotierten und in elektronischer Form innerhalb von 15 Tagen bei kotierten Gesellschaften. - Schiedsklausel
Neu können Aktiengesellschaften in ihren Statuten vorsehen, dass sämtliche gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten nicht durch ein staatliches Gericht, sondern durch ein Schiedsgericht zu beurteilen sind. Die Statuten können dabei die Einzelheiten des Schiedsverfahrens näher konkretisieren oder dafür auf eine bestimmte Schiedsordnung verweisen. Eine solche Schiedsklausel bindet – sofern nicht abweichend geregelt – nicht nur die betreffende Gesellschaft selbst, sondern auch ihre Organe und deren Mitglieder sowie die Aktionäre.
Strukturierungsmöglichkeiten ohne Statutenanpassung
Das neue Aktienrecht sieht auch zahlreiche Neuerungen vor, die je nach Situation gegenüber der bisherigen Regelung Klarheit oder Erleichterungen bringen.
- Neuerungen im Bereich Kapitalverlust, Überschuldung und Insolvenz
Nun ist explizit statuiert, dass der Verwaltungsrat neben der Bilanz auch die Liquidität überwachen muss. Im Falle eines Kapitalverlusts muss die Bilanz zwingend revidiert werden, selbst wenn ein Opting-out besteht. - Streichung der Bestimmungen zur (beabsichtigten) Sachübernahme
Diese Bestimmungen haben in der Vergangenheit oft zu Schwierigkeiten bei der Gründung von Gesellschaften oder bei Kapitalerhöhungen geführt, die nun nicht mehr auftreten werden. - Dekotierung der Aktien
Bei börsenkotierten Gesellschaften ist der Beschluss zur Dekotierung der Aktien nun zwingend von der Generalversammlung zu fassen. - Möglichkeit der Ausschüttung von Interimsdividenden
Voraussetzung ist, dass eine Zwischenbilanz erstellt wird, die ausschüttbares, frei verfügbares Eigenkapital ausweist.
Fazit
Aufgrund der zweijährigen Übergangsfrist für das neue Aktienrecht besteht für schweizerische Aktiengesellschaften grundsätzlich kein genereller und dringender Handlungsbedarf zur Anpassung ihrer Statuten. Je nachdem, welche Instrumente des neuen Aktienrechts eine Gesellschaft nutzen möchte, kann sich aber ein mehr oder weniger dringender Anpassungsbedarf ergeben. Jede Gesellschaft, ob kotiert oder nicht kotiert, muss sich daher mit der Frage beschäftigen, welche Anpassungen der Statuten sie zu welchem Zeitpunkt vornehmen will. Die mit der Revision des Aktienrechts neu zur Verfügung gestellten Instrumente bieten auch neue Strukturierungsmöglichkeiten, beispielsweise bei M&A-Transaktionen.