Bildnachweis: StockPhotoPro_AdobeStock, Quelle: ACS Solution.

Nach der Hauptversammlung ist vor der Hauptversammlung. Für Oliver Singer, Vorstand des stark wachsenden Streamingdienstleisters ACS Solution aus dem schwäbischen Owen, geht es wie für viele in seiner Branche nach einer kurzen Sommerpause gleich weiter mit den Vorbereitungen für die nächste Saison. Ein Gespräch über Trends, Kapazitätsthemen und das Kernstück der virtuellen HV nach neuem Recht: der sogenannte virtuelle Wortmeldetisch.

HV Magazin: Herr Singer, die HV-Saison klingt ab, ACS Solution war und ist gefragt für Backoffices aller Art. Virtuell, in ­Präsenz oder hybrid können Unternehmen ihre Jahresversammlung seit fast einem Jahr ausrichten. Welche Variante bevorzugen Sie arbeitstechnisch?

Singer: Für mich macht es keinen großen Unterschied. Das Prozedere ist momentan sehr ähnlich, da es in der einen Variante neue Herausforderungen gibt und in der anderen etwas die Routine verloren gegangen ist.

Mit dem Mangel an Routine beziehen Sie sich auf die traditionelle Präsenzhauptversammlung, wie sie vor der Coronapandemie praktisch ein Jahrhundert gültig war.

Ja, viele Ansprechpartner aus Präsenzzeiten sind bei den Emittenten gar nicht mehr im Unternehmen oder bekleiden ganz andere Stellen; d.h. oft, die Organisation einer Präsenz-HV gleicht einem Relaunch, mit neuen Leuten, die das manchmal zum ersten Mal in der Form machen.

Und bei der virtuellen HV ist es die Technik, die wir ja teilweise in der gerade zu Ende gehenden Saison erstmals eingeführt haben. Hier ging und geht es oft darum, den Kunden die Sorgen zu nehmen, dass etwas bei der Durchführung einer virtuellen Aktionärsversammlung technisch nicht funktionieren könnte.

Es gab tatsächlich zahlreiche Pannen in dieser Saison. Waren Sie betroffen?

Nein, wir sind weitgehend verschont geblieben, bis auf Kleinigkeiten; dass mal ein Aktionär ein paar Minuten nur mit Ton, aber ohne Bild erschien. Das gab es schon des Öfteren, gerade am Anfang der Saison. Aber wir hatten in unserem Portfolio keine HVs, die wegen technischer Probleme ausgefallen wären – und wir waren bei mehr als 100 Hauptversammlungen entweder für Streaming oder/und für das Frage-­Antwort-System verantwortlich.

Wer bevorzugt kundenseitig welches Format? Kann man einen Trend ­ablesen, bestehen signifikante Unterschiede zwischen großen und kleineren Emittenten?

Die kleineren Emittenten bevorzugen eher die Präsenz-, die größeren aus unserer Sicht eher die virtuelle HV, aber wir bedienen zahlenmäßig mehr kleinere Kunden. Dieses Jahr haben wir immerhin auch bei sechs virtuellen Versammlungen von DAX40-Unternehmen den Frage-Antwort-Bereich organisiert. Daher ist meine Wahrnehmung möglicher­weise nicht repräsentativ.

Was ist bei ACS der Hauptjob im HV-Umfeld, für den Sie als Dienstleister von Emittenten gebucht werden?

Das verteilt sich ausgeglichen auf unsere Hauptangebote. Wir werden als Streamingdienstleister inkl. Wortmeldetisch gebucht und sind auch mit unserem Q&A-System gefragt.

Quelle: ACS Solution

Bei Hauptversammlungen ist sehr oft vom Backoffice die Rede, für Laien klingt das oft kryptisch. Daher die Frage: Welche Aufgaben genau umfasst ein Backoffice, vor allem auch im Vorfeld einer HV, und wobei kommt hier ACS ins Spiel?

Die Aufgaben des Backoffice beginnen im Vorfeld mit der Erstellung eines Fragenkatalogs mit assoziierten Fragen, gehen weiter mit der bedarfsgerechten Planung der Antwortteams, und bei beidem sind wir mit im Boot – oft liegt genau hier eine Herausforderung für die Organisatoren, schon wegen der allgemeinen Kosten- und Kapazitätsproblematik in Unternehmen.

Worin genau besteht die Problematik?

Nun, bei vielen Unternehmen sitzen größtenteils Mitarbeiter und eventuell ein, zwei Anwälte als rechtliche Beistände zur Unterstützung hinter dem Podium oder im Backoffice einer HV. Bei manchen Firmen sitzen allerdings inzwischen mehr externe Berater als Mitarbeiter im Backoffice.

Insgesamt gilt: Das Backoffice sollte unbedingt so groß wie nötig, aber so klein wie möglich sein und mit der zeitnahen Beantwortung aller Fragen der Aktionäre auf der Hauptversammlung glänzen – das ist die wichtigste Aufgabe.

Erfahrungsgemäß macht das Rede- und Fragerecht der Aktionäre Emittenten bzw. deren Rechtsberater am nervösesten, vor allem auch in der virtuellen HV. Warum eigentlich?

Die Erfahrung zeigt, dass in der virtuellen HV die Fragen komprimierter und ohne viel Beiwerk gestellt werden. Früher gab es meist eine Rede, an die wenige Fragen gestellt wurden. Heute haben Sie durch die Taktung, die der Emittent sich wünscht (meist Zehn-Minuten-Slots), oft nur noch Fragen. Damit wird in der virtuellen HV anders als bei Präsenzveranstaltungen der Großteil der Redezeit verwendet. In der Präsenz-HV haben sich die Aktionäre präsentiert und manchmal auch Eigenwerbung betrieben und dafür weniger Fragen gestellt.

War früher also mal nicht alles besser?

Nein, das würde ich wirklich nicht sagen. Meine Wahrnehmung ist: Bei virtuellen Aktionärsversammlungen sind die Menschen sachlicher, nüchterner und haben mehr Fragen an die Gesellschaft. Es gibt bei virtuellen HVs erfahrungsgemäß immer eine höhere Taktfrequenz bei der Befragung als bei einer Präsenz-HV.

Neben den klassischen Backoffice-Aufgaben haben Sie für virtuelle oder hybride Aktionärsversammlungen ein Q&A-System entwickelt, welches die Schweißperlen beim Hauptversammlungsleiter reduzieren soll. Können Sie erläutern, wie das funktioniert?

Grundsätzlich bemühen wir uns auch beim Einsatz unserer Technik um klare und einfache Prozesse sowohl in der Zuschaltung der Aktionäre als auch in der Beantwortung der Fragen, um wenig Raum für Fehler zu lassen. Tatsächlich ist es ein Stück weit so, dass durch die Automatisierung vieler Schritte technische wie auch inhaltliche Fehler vermieden werden.

Unerwartete Fragen werden auf Hauptversammlungen ja trotzdem gestellt, unabhängig davon, welches technische System dahintersteht.

Natürlich – aber wenn die Technik stimmt, kann man mit Stresssituationen in der Ad-hoc-Befragung hoffentlich souveräner umgehen. Als Beispiel nenne ich unseren Wortmeldetisch: Hier werden durch Automation Fehler bei der Zuschaltung der Aktionäre vermieden, ob nun nur mit einem oder mehreren virtuellen Rednerpulten gearbeitet wird.

Weiter werden durch die Automation Rückkopplungen des Tons oder andere unangenehme Fehler vor laufenden Kameras verhindert. Dafür kann man mit dem Tool sogar mehrere Aktionäre zuschalten; mit bis zu sechs Rednern haben wir das System schon ausprobiert, die sich in einer Pause anmelden und hernach einer nach dem anderen und ohne weitere Pause zugeschaltet werden können.

Das klingt nach guten Übergängen mit wenig Leerlauf. Wie sieht es für einen Fragesteller genau aus an diesem Wortmeldetisch?

Der zugeschaltete Aktionär sieht immer das Bild, das der Emittent zuvor bestimmt hat, also etwa den Splitscreen zwischen Podium und Publikum, oder er sieht das Podium und sich selbst. Das können die Unternehmen auch kurzfristig noch mit ihrem HV-Dienstleister oder dem Streamverantwortlichen klären, die Regie führen bei der virtuellen HV. Versehen ist der Zuschaltscreen oft auch mit einem Timer, damit die Redner wissen, wie lange sie schon sprechen und wie viel Redezeit ihnen bleibt.

Arbeiten Sie beim Protokollieren eigentlich mit Spracherkennungssoftware, nutzen Sie ChatGPT?

Nein – da es sich bei ChatGPT um ein US-Produkt handelt und es somit datenschutzrechtlich nicht unumstritten ist, kommt das für uns nicht infrage. Weiterhin ist die Spracherkennung bei ChatGPT schwierig; sobald schnell gesprochen wird, undeutlich oder in Dialekt, funktioniert die Spracherkennung nicht. Das können sich die Emittenten nicht leisten – es muss klar und eindeutig protokolliert werden, was genau auf einer HV gesagt wird.

Insgesamt sehen wir durchaus umfangreiche Möglichkeiten beim Einsatz von künstlicher Intelligenz an anderen Stellen – aber dies nur ohne Drittanbieter.

Wird die jüngste Weiterentwicklung der KI-Technologie den Stellenwert einer Hauptversammlung im Kommunikationsprozess mit den Share- und Stakeholdern eines Unternehmens eher schwächen oder stärken?

Die Nutzung von KI kann durchaus zur Verbesserung des Kommunikationsprozesses beitragen, wenn man sie nicht als Kommunikationstool, sondern als Assistenzsystem für die Kommunikation einsetzt. An dieser Stelle werden wir bereits in der nächsten Saison einiges anbieten können.

Gehen oder gingen Sie privat auch ­bisweilen auf Hauptversammlungen?

Privat war ich vor 20 Jahren zuletzt auf einer Hauptversammlung. Sie sehen, das ist nicht meine präferierte Freizeitbeschäftigung.

Was machen Sie, wenn Ende August die HV-Saison in Deutschland praktisch vorbei ist? Gibt es ein Resümee, eine Art „Lessons Learned“ für das nächste Jahr, natürlich nach dem wohlverdienten Urlaub?

Die virtuelle Hauptversammlung hat sich etabliert und wird sich weiterentwickeln. Wir werden mit unseren Prozessen und der Technik aus Fehlern lernen und eine immer bessere Alternative zur Präsenz-HV bieten. Daher sind wir momentan bereits mit Hochdruck an der Weiterentwicklung unserer Systeme. Denn nach der HV ist vor der HV – daran hat auch die Technik nichts geändert.

Herr Singer, danke für die Einblicke und das interessante Gespräch.

Das Interview führte Simone Boehringer.


Zum Interviewpartner

Oliver Singer

Oliver Singer ist Vorstand der ACS Solution AG.

Oliver.Singer@acs-solution.de

Autor/Autorin

Simone Boehringer

Simone Boehringer ist die Redaktionsleiterin "Kapitalmarktmedien" der GoingPublic Media AG.