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Die hochpathogene Vogelgrippe mutiert schneller, als klassische Impfstoffe entwickelt werden können. VEROVACCiNES setzt auf eine Plattform, die genau dafür ausgelegt ist – und die jetzt über neue Finanzierungsrunden skaliert werden soll. Von Urs Moesenfechtel

Die Vogelgrippe entwickelt sich zu einer immer größeren Belastungsprobe für die Tiergesundheitssysteme Europas. Neue H5-Varianten treten inzwischen im Monatsrhythmus auf, verbreiten sich schnell zwischen Wildvögeln und Geflügelbeständen und zwingen Behörden zu massiven Keulungen und weitreichenden Sperrmaßnahmen. Die wirtschaftlichen Folgen für die Geflügelindustrie sind erheblich – und klassische Impfstoffstrategien geraten zunehmend an ihre zeitlichen und technologischen Grenzen, weil sie mit dem Mutationstempo der aviären Influenzaviren nicht Schritt halten können. Auch in Deutschland hat sich die Lage zugespitzt: Behörden hierzulande melden die höchste Fallzahl der vergangenen drei Jahre.

Vogelgrippe mutiert schneller, als Impfstoffe entwickelt werden können

Jede neue H5-Subvariante verändert entscheidende Antigenstrukturen, sodass bestehende Impfstoffe häufig bereits veraltet sind, bevor sie in ausreichender Menge produziert werden können. Für Entwickler entsteht dadurch ein strukturelles Zeitproblem, das klassische, virusbasierte Herstellungsverfahren kaum lösen können. Mitten in diesem Umfeld arbeitet die VEROVACCiNES GmbH aus Halle (Saale) an einer Technologie, die genau für solche dynamischen Erreger entwickelt wurde. Das Unternehmen hat sich früh entschieden, die Entwicklung auf Pathogene zu konzentrieren, die genetisch besonders flexibel sind und bei denen herkömmliche Strategien oft scheitern – darunter das Influenzavirus, das Blauzungenvirus und weitere schnell mutierende Erreger, die im globalen Tiergesundheitsmarkt zu den anspruchsvollsten Herausforderungen gehören.

Finanzierung als Voraussetzung für Tempo

Parallel zur technologischen Entwicklung stellt sich für VEROVACCiNES die Frage der Finanzierung und Skalierung. Das Unternehmen bereitet derzeit eine Zwischenfinanzierung über 1,2 bis 1,5 Millionen EUR vor, die im März 2026 abgeschlossen werden soll. Im Anschluss plant das Unternehmen eine größere Runde im Umfang von 5 bis 10 Millionen EUR, um die Pipeline mit bis zu sechs parallelen Impfstoffprogrammen auszubauen. Mit dem Kapital sollen die angestrebten Halbjahreszyklen der Plattformstrategie umgesetzt und die erste Zulassung ab 2026 vorbreitet werden. Unterstützt wird VEROVACCiNES bislang von institutionellen und privaten Investoren mit Erfahrung in der Tiergesundheitsbranche. Das Unternehmen verweist darauf, dass ein hoher Anteil der Entwicklungs- und Produktionsschritte standardisiert ist, wodurch technische und regulatorische Risiken im Vergleich zu klassischen Impfstoffentwicklungen reduziert werden.

Hefezellen als Impfstofffabrik – ein anderer Ansatz für hochvariable Viren

Klassische Impfstoffe basieren meist auf der Verarbeitung echter Viren. Entweder werden abgeschwächte Lebendviren eingesetzt, die ein Restrisiko der Rückmutation zum virulenten Erreger bergen, oder es müssen große Mengen des Virus produziert, inaktiviert und gereinigt werden – ein zeitaufwendiger, kostenintensiver Prozess, der schlecht auf neue Varianten reagiert. „Wir gehen daher einen anderen Weg“, so Dr. Hanjo Hennemann, CEO von VEROVACCiNES. „Wir nutzen harmlose Hefezellen, die gentechnisch so verändert werden, dass sie ausgewählte Virusbestandteile produzieren, die das Immunsystem später erkennt. Diese viralen Fragmente verbleiben in der Hefezelle; die Zelle selbst wird zum Impfstoff. Dadurch entsteht eine Art biologische Mikrokapsel, die stabil, sicher und sehr kosteneffizient herzustellen ist – ohne dass jemals ein echtes Virus in den Prozess gelangt.“

Der entscheidende Mechanismus ist dabei die Austauschbarkeit des genetischen Bauplans. Die Hefe bleibt immer dieselbe, nur die Sequenz, die das Virusfragment kodiert, wird gewechselt. Neue Varianten der Vogelgrippe können so mit relativ geringem Aufwand adressiert werden, während Herstellungsprozess, Produktionsanlagen, Qualitätsparameter und Formulierung unverändert bleiben. Dieser Plattformcharakter macht es möglich, mit einem kleinen Team von 13 Personen, neue Impfstoffprogramme in einem halbjährlichen Entwicklungsrhythmus zu starten, was in der heutigen Tiergesundheitslandschaft fast einzigartig ist.

Standardisierung als Innovationsmotor

Dass neue Programme in so kurzen Abständen beginnen können, liegt an der ungewöhnlich hohen Standardisierung der Plattform. Ein Großteil der Prozessschritte ist bei jedem Impfstoff identisch. Ebenso lassen sich weite Teile der regulatorischen Dokumentation wiederverwenden. Dadurch wird der Entwicklungsaufwand nicht nur kalkulierbarer, sondern auch deutlich risikoärmer – Faktoren, die in einem Markt wichtig sind, der oft von hohen regulatorischen Hürden und unklaren Zeitachsen geprägt ist. „Unsere Plattform ist auch so ausgelegt, dass bei der finalen Abmischung recht einfach unterschiedliche Mikrokapseln (mit unterschiedlichen Antigenen) gemischt werden können. Für Viren wie die Vogelgrippe, die sich häufig nur in bestimmten Proteinbereichen verändern, kann ein solcher, multivalenter Ansatz entscheidend sein. Selbst wenn ein Vakzin-Bestandteil durch Mutation des Erregers unwirksam wird, bleibt der Immunschutz über die weiteren Antigene erhalten. So entsteht eine Robustheit, die klassische Totimpfstoffe oft nicht erreichen“, unterstreicht Dr. Hennemann.

Pipeline VERVOVACCiNES. Copyright: VEROVACCiNES GmbH
Pipeline VERVOVACCiNES. Copyright: VEROVACCiNES GmbH

Wirksamkeit, die ein altes Dogma in Frage stellt

Lange galt in der Tiergesundheit die Faustregel, dass inaktivierte Impfstoffe weniger wirksam seien als Lebendimpfstoffe. Die Daten der bisherigen Entwicklungsprogramme von VEROVACCiNES zeichnen jedoch ein anderes Bild. In Tierversuchen, unter anderem zum Blauzungenvirus, zeigten die Impfstoffkandidaten eine überraschend starke Immunogenität und eine vollständige Schutzwirkung. Die Hefekapsel scheint das Antigen über einen ausreichend langen Zeitraum und in hoher Konzentration bereitzustellen, sodass die Immunantwort sehr effektiv ausfällt. Für eine Technologie, die vollständig ohne lebende Viren arbeitet, ist das bemerkenswert.

Warum gerade die Influenza ein idealer Testfall ist

Kaum eine Tierseuche verändert ihr genetisches Profil so schnell wie die Influenza. Für Impfstoffentwickler bedeutet das eine enorme Herausforderung: Bei jeder neuen Variante muss ein wesentlicher Teil der Entwicklung praktisch neu beginnen – zumindest bei klassischen Herangehensweisen. Für VEROVACCiNES ist Influenza dagegen ein Beispiel dafür, wie stark eine standardisierte Plattform von der Austauschbarkeit des Antigens profitieren kann. Ohne Virusvermehrung, ohne komplexe Reinigungs- und Sicherheitsprozeduren und mit einer Produktionsarchitektur, die sich nicht verändert, bleibt das System stabil und reaktionsfähig, selbst wenn der Erreger es nicht ist.

„First in Class“ und „First to Market“

Dr. Hennemann ordnet die Technologie von VEROVACCiNES als „First in Class“ ein, weil sie auf einem völlig neuen Wirkprinzip basiert: rekombinante Hefezellen als geschlossene, thermostabile Impfstoffkapsel. Gleichzeitig erlaubt die extrem schnelle Antigenanpassung eine Time-to-Market, die viele klassische Entwickler kaum erreichen können. Damit sind die Produkte des Unternehmens nicht nur technologisch neuartig, sondern häufig auch die ersten, die bei neuen Herausforderungen tatsächlich den Markt erreichen. Diese Kombination aus Innovationshöhe und Geschwindigkeit ist im Tiergesundheitsmarkt selten.

Skalierung, IP-Strategie und Blick nach vorn

Um die Plattform weiter auszubauen, setzt VEROVACCiNES auf eine IP-Strategie, die Patente frühzeitig sichert und die technologische Position stärkt. Auch strukturell bereitet sich das Unternehmen auf Wachstum vor. Eine erste regulatorische Zulassung wird ab 2026 erwartet, parallel arbeitet das Management an einer Übergangsfinanzierung sowie einer größeren Kapitalrunde, um bis zu sechs Entwicklungsprogramme gleichzeitig voranzutreiben. Unterstützt wird VEROVACCiNES dabei von einem Advisory Board mit langjähriger Erfahrung in Tiergesundheit und Impfstoffentwicklung.

Eine Plattform für dynamische Erregerszenarien

Die Vogelgrippe zeigt beispielhaft, wie schwierig es geworden ist, mit klassischen Impfstoffstrategien das Tempo neuer Virusvarianten zu halten. VEROVACCiNES liefert eine Antwort auf diese Herausforderung: eine Plattform, die schnell, sicher, verlässlich und skalierbar arbeitet – und die Entwicklung von Impfstoffen gegen hochvariable Erreger grundlegend neu denkt. Ein Ansatz, der nicht nur aviäre Influenza adressieren kann, sondern viele andere Pathogene, die bisher als schwer beherrschbar gelten. Für die Tiergesundheit könnte das zu einer der wichtigsten technologischen Entwicklungen der nächsten Jahre werden.

Autor/Autorin

Redaktionsleiter Plattform Life Sciences at  | Website

Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.