Plattform Life Sciences: Herr Prof. Dr. Baum, vor 25 Jahren haben Sie als erster Arzt in Deutschland einen Patienten mit einer gezielten Radionuklidtherapie im Universitätsklinikum Frankfurt am Main behandelt. Können Sie dieses Ereignis kurz beschreiben?

Prof. Dr. Baum: Ich hatte einen jugend­lichen Patienten mit einem sehr seltenen Tumor (Paragangliom), der damals schon vielfach vorbehandelt worden war, aber auf die bisherigen Therapien nicht mehr ansprach. Er hatte Metastasen im gesamten Körper, litt an immensen Schmerzen infolge von Knochenmetastasen (insbesondere in der Wirbelsäule) und war ­deshalb morphinpflichtig. Die Kinder­onkologen sagten, er hätte eine Lebenserwartung von wahrscheinlich nur noch wenigen Monaten. Ich habe diesen Jungen dann erstmals mit der neuartigen Radio­ligandentherapie behandelt und ich werde nie vergessen, dass die Schmerzen innerhalb weniger Tage fast vollständig verschwanden und er das Morphin absetzen konnte. Dieser Patient führte noch mehrere Jahre ein sehr gutes, fast normales Leben und konnte die Schule und sogar eine Ausbildung abschließen. Dieser Erfolg hat mein Leben als Arzt stark geprägt.

Worin sehen Sie die Vorteile der Radionuklidtherapie gegenüber Standard­therapien?

Das Prinzip der radiomolekularen Therapie, wie ich sie bevorzugt nenne, ist ihr Ansatz, gezielt nur den Tumor anzugreifen und nicht wie die Chemotherapie im Prinzip alle schnell wachsenden Zellen, wie z.B. auch Darm- oder Knochenmarks­zellen. Daher der Name „radiomolekulare Präzisionsonkologie“ (RPO). Für den ­Patienten bedeutet dies, dass die RPO ­gezielter wirkt, wesentlich besser vertragen wird und mit geringeren Risiken und Nebenwirkungen verbunden ist. Dazu kommen die bildgebenden Möglichkeiten der radiomolekularen Medizin (PET/CT), die eine frühere und weitaus genauere ­Diagnostik von sonst schwer nachweis­baren Tumoren bzw. Metastasen erlauben.

Wo sehen Sie dieses Therapiefeld in zehn Jahren?

Mittlerweile hat sich die radiomolekulare Präzisionsonkologie stark weiterentwickelt, mit mehreren Marktzulassungen in den letzten Jahren und Monaten, z.B. für die Behandlung von neuroendokrinen Tumoren und von metastasierten Prostatakarzinomen. Wir haben kürzlich eine Art ­Generalschlüssel gefunden, der für die meisten Tumorarten passt und mit dem bereits eine sehr empfindliche und genaue PET/CT-Diagnostik möglich ist. Dieses ­trojanische Pferd könnte – in Kombination mit bestimmten tumorspezifischen Vak­zinen – möglicherweise eine sehr breite Anwendung auch für die Tumorbehandlung erfahren. Ich gehe davon aus, dass diese sogenannte Theranostik (Präzi­sionsdiagnostik und Therapie) in Zukunft bei vielen Malignomen standardmäßig zum Einsatz kommen wird.

Herr Prof. Dr. Baum, vielen Dank für die interessanten Einblicke.

Das Interview führte Holger Garbs.


ZUM INTERVIEWPARTNER

Prof. Dr. med. Richard P. Baum ist Präsident der International Centers for Precision Oncology (ICPO) Academy und im Curanosticum Wiesbaden-Frankfurt als Leiter der Molekularen Radiotherapie in der Deutschen Klinik für Diagnostik (DKD Helios Klinik) in Wiesbaden tätig.

Autor/Autorin

Holger Garbs ist seit 2008 als Redakteur für die GoingPublic Media AG tätig. Er schreibt für die Plattform Life Sciences und die Unternehmeredition.