Am Anfang steht immer die Idee, die Gesundheit des Einzelnen durch personalisierte Medizintechnik zu verbessern. Gelingt dies, stellen sich über kurz oder lang die Fragen: Wie kann ich diese Idee schützen – ist sie auch patentierbar? Besonders bei datenbasierten Innovationen ist diese Thematik für viele oftmals relevant. Von Dr. Christian Kirchner und Dr. Christiane Maxien

 

Daten- und softwarebasierte Technologie ist in der personalisierten Medizin mehr die Regel als die Ausnahme. Hierfür einen IP-Schutz zu erlangen, stellt entgegen einer noch weitverbreiteten Meinung heutzutage kein Hexenwerk (mehr) dar. Es gilt: Das frühzeitige Entscheiden über IP sichert den durch die ­Innovation erworbenen Marktvorteil. Ob, wann und wie sich eine Investition in IP lohnt, lässt sich anhand einiger Schlüsselinformationen klären:

Welcher Schutz ist der passende für digitale Erfindungen?

Im Gegensatz zu Urheberrechtsschutz und Geschäftsgeheimnis erlaubt das ­Patentrecht den Schutz der abstrahierten, technischen Idee, unter Einbezug von ­Abwandlungen und äquivalenten Lösungen, zur Vermeidung von Umgehungslösungen. Das breit erteilte Patent stellt oft einen ­erheblichen Unternehmenswert dar, markiert die Unternehmenspräsenz im Markt und erlaubt ein aktives Vorgehen gegen Verletzer. Patentschutz wird im Optimalfall auf solche technischen Merkmale der zugrunde liegenden Idee gerichtet, die auch objektiv nachweisbar sind. Dies ist beim „alleinigen“ Programmcode oft problema­tisch, weshalb dieser regelmäßig eher durch das Urheberrecht oder auch das Geschäfts­geheimnis geschützt wird. Gerade aber bei Erfindungen, die auf softwarebasierten oder datenbasierten Technologien für Medizin­produkte beruhen, lohnt es sich, noch einmal genauer hinzusehen, da diese mittlerweile regelhaft dem Patentschutz zugänglich sind – sofern man einige Punkte beachtet.

Das breit erteilte Patent stellt oft einen ­erheb­lichen Unternehmens­wert dar, markiert die Unternehmenspräsenz im Markt und erlaubt ein aktives Vorgehen gegen Verletzer.

Ersteinschätzung der Patentierbarkeit

Für software- und datenbasierte technische Lösungen ist die Einordnung zur ­Patentierbarkeit meist aufwendiger als für andere Bereiche der Technik. Für die ­Ersteinschätzung müssen aber zumindest keine kostspieligen Patentrecherchen und detaillierte Vergleiche mit dem Stand der Technik durchgeführt werden. Vielmehr gilt es, den technischen Kern der Innova­tion zu sichten:

Ideen der personalisierten Medizintechnik sind oft „mixed type inventions“, die geprägt sind durch

a) technische Merkmale: z.B. Geräte, ­deren technische Funktionen etc.; und
b) nicht-technische Merkmale: solche, die nicht zum technischen Charakter der Erfindung beitragen, z.B. Merkmale enthaltend Algorithmen, Software, ­Daten, gedankliche Tätigkeiten, Businesskonzepte (Art. 52(2) EPÜ Analogie).

Insofern nicht-technische Merkmale klar einem technischen Zweck zugeordnet sind, können sie aber zum technischen Charakter der Erfindung beitragen. Etwa ist typischerweise ein innovativer KI-­Algorithmus, für sich genommen, nicht-technisch, derselbe Algorithmus gerichtet auf die Erzeugung einer schnellen bild­basierten Objekterkennung, aber technisch. Ebenso können Softwaremerkmale, die sich auf die Funktionsweise des programm-ausführenden Computers positiv auswirken (Rechenzeit, Energieverbrauch, Speicherbedarf), technisch sein. Auch ­Simulationen von Gegenständen oder ­Situationen können zum technischen ­Charakter beitragen. Ein direkter Link zur technischen Realwelt – z.B. die automa­tische Steuerung einer Maschine durch ­simulierte Parameter – ist nicht zwingend erforderlich, in der Regel aber für die Technizität hinreichend (Entscheidung G1/19 des EPA).

Technischer Kern entscheidet Patentierbarkeit

„Mixed type inventions“ haben demnach immer einen technischen Kern, der gemäß COMVIK-Ansatz des Europäischen Patentamts (EPA) potenziell ein Patent stützen kann. Ist der technische Kern hingegen nur eine Kombination einschlägiger technischer Mittel, dann lässt sich meist im Ansatz eine Patentierbarkeit ausschließen. Solche gängigen technischen Mittel sind z.B. Computer mit externem Datenspeicher und einem Programm zur Datenspeicherung. Die Zurückweisung des EPA erfolgt dann meist auch ohne Bezug auf Dokumente des Stands der Technik. Bei sachgerechter Planung der Patentanmeldung muss es zu dieser Situation jedoch nicht kommen. Manchmal ist dieser technische Kern für Nicht-Patentfachleute aber nur schwer identifizierbar und eine frühzeitige Einholung von Patentrechtsexpertise deshalb anzuraten.

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Besonderheiten bei der Konzeption der Patentanmeldung

  • Strategische Erwägungen

Die Erzeugung des optimalen Patentschutzes für eine softwarebasierte oder datenbasierte Technologie für ein personalisiertes Medizintechnikprodukt beginnt mit unternehmens- bzw. produktspezifischen Überlegungen, z.B.: An welchen Stellen der Wertschöpfungskette einer Produktidee ist ein ­Patentschutz sinnvoll? Bei verteilten Systemen, etwa einem Sensorsystem umfassend ein Sensormodul am Patienten samt cloudbasierter Datenverarbeitung und Feedback zum Sensormodul, ist es immer sinnvoll, auch den Schutz der Einzelkomponente anzustreben (z.B. Sensormodul).

  • Ausrichtung des Schutzes

Insbesondere erstrebenswert ist natürlich der Schutz von Daten. Personalisierte Medizintechnikprodukte basieren oft auf Datenerzeugung, Datenanalyse, Daten­umformung, Datenaustausch und natürlich dem Dateninhalt. Gerade wenn der technische Kern zunächst aus einer tendenziell bekannten Kombination ­bekannter technischer Mittel besteht, liegt eine große Chance in der Analyse, ob der genannte Umgang mit Daten eventuell einen Beitrag zum technischen Charakter der Erfindung leistet. Das genaue Herausarbeiten des technischen Kerns der Erfindung ermöglicht bisweilen auch einen kontextbezogenen Schutz wertvoller Daten.

  • Optimierung des Patentschutzes durch Schutzkategorien

Um dies zu erreichen, sollten die verfügbaren Schutzkategorien des Patentrechts ausgenutzt werden. Patentschutz ist in den zwei Basiskategorien „Apparate/Erzeugnisse“ und „Verfahren“ möglich. In der Regel ist nur ein unabhängiger Patentanspruch je Kategorie in einem Patent zulässig. Im Ausnahmefall, z.B. bei miteinander für das technische ­Gesamtergebnis wirkenden Komponenten, sind mehrere unabhängige Ansprüche je Kategorie möglich. Das kann bei mehrteiligen Systemerfindungen, die bei personalisierten Medizintechnikprodukten oft auftreten, einen effizienten Teilproduktschutz ermöglichen. Also kann z.B. – bezugnehmend auf das vorstehend beschriebene Sensorsystem – in einer Patentanmeldung nicht nur das gesamte Sensorsystem und ein zugehöriges Verfahren geschützt werden, wie etwa aufgrund der cloudbasierten Daten­verarbeitung das Feedback zum Sensor­modul gesteuert wird, sondern auch das interagierend gestaltete Sensor­modul selbst.

  • Andere Länder, andere Regeln

Während vor dem EPA z.B. der Schutz von diagnostischen, therapeutischen und chirurgischen Verfahren nicht zulässig ist, sind solche Patentansprüche in den USA erlaubt. In China wird anders als vor dem EPA ein Dreistufentest zur Ermittlung der Patentierbarkeit von softwarebasierten Erfindungen angewandt, in den USA der zweistufige Alice/Mayo-Test. Immer wieder führt die Verschiedenheit dieser Ansätze in Europa, China und den USA zu unterschied­lichen Anspruchsformulierungen. Solche Länderspezifika sollte man von Beginn auf dem Radar haben.

  • It is all about money

Wenn man einen Patentschutz für eine softwarebasierte oder datenbasierte Technologie für ein personalisiertes Medizintechnikprodukt anstrebt, kommt man eher früher als später nicht umhin, sich patentanwaltlichen Rat einzuholen – was aber mit Kosten verbunden ist. Um diese Kosten zumindest teilweise refinanziert zu bekommen, bieten sich für Start-ups oder auch KMU die Möglichkeit, Förderprogramme (WIPANO, BMWK; BMBF) in Anspruch zu nehmen. Insbesondere Projekte mit Bezug auf KI erhalten derzeit verstärkt Förderung.

Ob, wann und wie also?

Das frühzeitige Befassen mit dem technischen Kern einer Erfindung ist ein wichtiger Schritt, um zu klären, ob es sich lohnt, einen wertvollen Patentschutz für datenbasierte Erfindungen anzustreben, oder ob es eventuell besser ist, eine andere Form des IP-Schutzes zu wählen. Diese Klärung kann oft bereits erfolgen, bevor eine technische Idee im Detail technisch ­geplant bzw. umgesetzt wurde. Fördermöglichkeiten sollten frühzeitig gesichtet werden, denn Patentinvestitionskosten können durch geeignete Patentstrategien auf Jahre verzögert werden.

Dieser Artikel ist in der Plattform Life Sciences-Ausgabe „Smarte Medizin“ 1/2023 erschienen, die Sie hier als E-Magazin abrufen können.

Autor/Autorin

Dr. Christian Kirchner
Partner, Patentanwalt, European Patent Attorney, European Trademark and Design Attorney at Wallinger Ricker Schlotter Tostmann Patent- und Rechtsanwälte PartmbB (WR) | Website

Dr. Christian Kirchner ist Partner bei Wallinger Ricker Schlotter Tostmann Patent- und Rechtsanwälte PartmbB (WR) und hat als promovierter Physiker über 15 Jahre Erfahrung bei der Betreuung cion Mandanten auf dem Gebiet der digitalen Technologien und Medizintechnik.

Dr. Christiane Maxien
Partnerin, Patentanwältin, European Patent Attorney, European Trademark and Design Attorney at Wallinger Ricker Schlotter Tostmann Patent- und Rechtsanwälte PartmbB (WR) | Website

Dr. Christiane Maxien ist Partnerin bei Wallinger Ricker Schlotter Tostmann Patent- und Rechtsanwälte PartmbB (WR) mit über zehn Jahren Erfahrung auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes. Dr. Maxien ist dabei spezialisiert auf die strategische Betreuung von IP-Portfolios mit internationalem Fokus.