Quelle: SynTouch

Prothesen werden immer intelligenter, nach innovativen Beinprothesen wollen amerikanische Forscher nun künstlichen Fingern sogar das Fühlen beibringen. Ein Szenario, das die Handprothetik revolutionieren könnte.

Der menschliche Tastsinn ist der komplexeste unserer fünf Sinne. Wie genau das menschliche Gehirn Reize aus dem Körper verarbeitet und uns eine perfekte Illusion verschiedener Objekte liefert, ist noch immer nicht vollständig verstanden. Klar ist dagegen, Informationen von Objekten werden mittels verschiedener Rezeptoren in der Haut wahrgenommen. Informationen zu Größe, Form, Gewicht, Festigkeit, Temperatur und Oberflächenstruktur eines Objektes gelangen so in entsprechende Zentren des Gehirns, wo sie verarbeitet und interpretiert werden. Das Wissen um die verschiedenen Rezeptoren nutzt eine US-Forschergruppe nun, um sich an den ersten fühlenden Finger zu wagen. Anstelle von Rezeptoren setzen die Wissenschaftler um Gerald Loeb von der University of Southern California (USC) auf besonders empfindliche Sensoren. Die komplexen Bewegungsmuster beim Tasten ersetzen sie durch einen intelligenten lernfähigen Algorithmus. Dieser speichert Bewegungsmuster beim Ertasten von Objekten in einer Datenbank, um sie bei erneutem Kontakt wieder auszulesen. Ausgestattet mit Druck-, Impedanz- und Temperatursensor sollen die fühlenden Finger schon bald die Prothetik revolutionieren. BioTac nennen die Erfinder das unscheinbare kleine Ding, dessen Entwicklung wenig spektakulär auf einer Cocktail-Serviette begann. Exakt so entwickelten die Pioniere Gerald Loeb und Roland Johansson den ersten Prototyp eines berührungsempfindlichen Fingers. Was 2006 so unspektakulär begann, war 2007 schon eine patentierbare Technologie. Seit 2008 treiben Loeb und sein Team die BioTac Technologie im eigens dafür gegründeten Start-up SynTouch voran. Dass Hightech-Prothesen der oberen Extremitäten mit den Fortschritten in der Prothetik nicht mithalten konnten, liegt wohl auch daran, dass funktionstüchtige Hände nicht ohne Gefühl denkbar sind.

BioTac Design & Funktion
Nicht nur optisch erinnert der BioTac an eine Fingerspitze, auch seine Sensoren simulieren das, was beim Tastsinn als multimodale Empfindung bezeichnet wird. Grundbaustein ist ein fester Kern, in dem sich die gesamte Elektronik befindet. Wie sein biologisches Gegenstück, besitzt auch der elektronische Finger eine weiche äußere Haut aus Silikon und eine Art Fingernagel, die ein Verrutschen der Haut verhindert. Der Raum zwischen Haut und Kern wird mit einer nicht komprimierbaren leitfähigen Flüssigkeit gefüllt, so erhält der BioTac nicht nur die Größe und Form einer menschlichen Fingerspitze, sondern auch deren Deformierbarkeit. Das Herz des Fingers bilden drei verschiedene Sets von Sensoren, die Kraft, Vibration und Temperatur detektieren und so Rückschluss auf die Eigenschaften von Objekten ermöglichen. Wirkt – wie beim Greifen – eine äußere Kraft auf die elektronischen Fingerspitzen verformt sich deren Haut und übt einen Druck auf die Flüssigkeit aus.

Die nachfolgende Impedanzänderung in der Flüssigkeit wird durch ein Array von Elektroden auf der Oberfläche des Kerns detektiert und ermöglicht Rückschlüsse auf die äußere Kraft. Durch erlernte Erfahrungswerte lässt sich die Kraft exakt an jedes zu greifende Objekt adaptieren. Selbst empfindliche und zerbrechliche Objekte lassen sich so sicher greifen. Gleitet der Finger über unterschiedliche Texturen, entstehen Mikrovibrationen, die durch die Fingerabdrücke verstärkt und von hochspezialisierten Rezeptoren in der Haut detektiert werden. Um diese Sensitivität zu simulieren wurde auch der BioTac mit Fingerabdruck ähnlichen Rillen versehen. Die Vibrationen werden in einem hydroakustischen Druckwandler detektiert. Auch die Temperatur nutzen Menschen zur Diskriminierung verschiedener Materialien. Der BioTac bedient sich hierzu eines Tricks. Er nutzt die Energie der eingebauten Elektronik, um den Finger auf über Raumtemperatur zu erhitzen und auf diese Art biologische Verhältnisse zu imitieren. Berührt der Finger ein kühleres Objekt, kühlt sich die Silikonhaut ab und wird gegen den wärmeren Kern gepresst. Der dabei entstehende Temperaturgradient initiiert einen Energiefluss vom Kern zum Objekt. Die Änderung der Temperatur, die von der spezifischen Wärmekapazität und Wärmeleitfähigkeit des Materials abhängt, wird von einem Temperatursensor detektiert und lässt Rückschlüsse auf das Material zu.

Das Fühlen lernen
Doch keine noch so intelligente Elektronik lässt einen Finger fühlen. Erst nach einem aufwändigen Lernprozess, unterstützt durch einen komplexen Algorithmus, konnte der elektronische Finger Fingerspitzengefühl beweisen. Auch wenn die künstlichen Finger vorerst nur für Forschungszwecke zum Einsatz kommen, Jeremy Fishel, Forschungsdirektor von SynTouch, ist überzeugt, fühlende Bauteile werden nicht nur industrielle Roboter sondern auch die Handprothetik schon bald revolutionieren.

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