Der Markt für Specialty-Pharma-Arzneimittel wächst rasant. Davon profitieren nicht nur Patienten, sondern auch Unternehmen und Investoren. Von Manfred Schneider und Matthias Gärtner

Die Verbreitung chronisch und ­genetisch bedingter Krankheiten stellt das Gesundheitswesen ­wegen der Langwierigkeit und Kosten­intensität der Therapien vor große ­Herausforderungen. Um eine optimale Versorgung der Patienten zu gewähr­leisten, müssen die Medikamente exakt auf deren Krankheitsbild zugeschnitten sein.

Specialty-Pharma-Arzneimittel sind ­unter anderem personalisierte Medikamente, die unter der Berücksichtigung wichtiger Parameter wie Blutwerte, Körpergröße und Körpergewicht zubereitet werden. Die aufwändige Entwicklung und Herstellung hat zur Folge, dass die Preise höher sind als bei gewöhnlichen Arzneimitteln. Allerdings ist mit der Individualisierung auch eine höhere und vor allem gezieltere Wirksamkeit verbunden.

Specialty-Pharma-Arzneimittel: Steigender Bedarf und Umsatz

Der Bedarf für Specialty-Pharma-Arzneimittel wächst rasant. In Deutschland hat sich der Umsatz mit Arzneimitteln ab 1.200 EUR in den Jahren 2010 bis 2014 mehr als verdoppelt, während das Preissegment darunter stagnierte, berichtet der Großhandelsverband Phagro. 2015 verzeichneten die Apotheken in Deutschland einen Specialty-Pharma-Umsatz von knapp 10 Mrd. EUR. Das entspricht laut der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände fast einem Viertel des ­Gesamtumsatzes mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Höhe von 39,8 Mrd. EUR. In Europa erwarten Marktforscher von IMS Health in den Jahren 2015 bis 2020 ein jährliches Specialty-Pharma-Wachstum von 10%.

Abb. 1: Specialty Pharma vs. Rest-Rx-Arzneimittel in Deutschland, Quelle: Medios AG
Abb. 1: Specialty Pharma vs. Rest-Rx-Arzneimittel in Deutschland, Quelle: Medios AG

Auch in den USA, dem mit Abstand größten Pharmamarkt der Welt, entwickeln sich Specialty-Pharma-Arzneimittel längst vom Nischenprodukt zum Mega­trend. Nach Angaben des Drug Channels Institute wird die US-Pharmaindustrie ­ihren Gesamtumsatz in den kommenden Jahren zunehmend mit Specialty-Pharma-Arzneimitteln statt mit traditionellen Arzneimitteln erwirtschaften. Die Experten erwarten, dass sich der Umsatz bis 2020 im Vergleich zu 2015 mehr als verdoppeln wird – von 98 auf 212 Mrd. USD. Der Anteil von Specialty-Pharma-Arzneimitteln am Gesamtumsatz mit Arzneimitteln dürfte sich dadurch von 27 auf 44% erhöhen. Im Jahr 2010 lag dieser noch bei 15%. Grundlage für diese Einschätzung seien das „Ende der Generika-Welle“, neue Specialty-Pharma-Arzneimittel, das Wachstum verschreibungspflichtiger Medikamente und die alternde Bevölkerung, so das Drug Channels Institute.

Verbesserte Wachstumschancen für Unternehmen

Die zunehmende Bedeutung von Specialty-Pharma-Arzneimitteln verbessert somit nicht nur die Gesundheitsversorgung chronisch und genetisch erkrankter ­Patienten, sondern auch die Wachstumschancen von Specialty-Pharma-Unternehmen. Die besten Chancen haben neben den Entwicklern der Medikamente ­Akteure, die die finalen und besonders wichtigen Stufen der Versorgungskette ­abdecken, sprich die Herstellung der ­zeitkritischen, individualisierten Medikamente und die spezielle Patientenversorgung vor Ort. Die Kompetenz in der ­Herstellung der individualisierten Medizin gewährleistet einerseits die optimale ­Behandlung der Patienten, anderseits wird dieses Know-how in der Zukunft der Gesundheitsversorgung immer bedeutender werden, weil nur gezielt eingesetzte Therapien eine ungehemmte Kostenexplosion verhindern können.

Abb. 2: Versorgungskette im Specialty-Pharma-Bereich, Quelle: Medios AG
Abb. 2: Versorgungskette im Specialty-Pharma-Bereich, Quelle: Medios AG

Um sich in diesem Wettbewerb ­durchzusetzen, müssen Specialty-Pharma-Unternehmen langjährige Erfahrung mitbringen und höchste Qualitätsstandards erfüllen. Zudem sollten sie über die ­notwendigen räumlichen und finanziellen Kapazitäten verfügen und ihre Prozesse zur Senkung der Betriebskosten digitalisieren.

Finanzielle Mittel über Börsengang

Nicht alle Specialty-Pharma-Unternehmen verfügen über die finanziellen Mittel, die sie für den Ausbau der Produktionskapazitäten und die Ausrüstung der ­Labore benötigen. Dieses Problem lässt sich zum Beispiel durch einen Börsengang lösen. Um an frisches Kapital zu ­gelangen, müssen die Unternehmen dem Kapitalmarkt eine überzeugende Equity Story präsentieren. Strategie und Ziele sollten Investoren, Analysten und Finanzjournalisten deutlich machen, dass der Specialty-Pharma-Markt aufgrund der medizinischen und gesellschaftlichen Entwicklungen hervorragende langfris­tige Wachstumschancen bietet. Anleger können durch eine Beteiligung an einem börsennotierten Specialty-Pharma-Unternehmen von diesen Trends profi­tieren.

Investitionschancen nicht von Firmengröße abhängig

Wer sein Geld in Specialty-Pharma-Unternehmen investieren will, sollte nicht ­unbedingt auf die Größe des Unternehmens achten. Zum einen bieten kleinere Unternehmen, die sich auf die Patientenversorgung und die Herstellung von Infusionen spezialisiert haben, im Vergleich zu den großen Konzernen, die sich vor ­allem auf die Entwicklung von Wirkstoffen konzentrieren, deutlich bessere Wachstumschancen und höheres Kurs­potenzial. Zum anderen tragen diese ­Unternehmen nicht die Risiken einer langjährigen Wirkstoffentwicklung. Das kann ein Vorteil sein, wenn es wieder, wie im Jahr 2015, zu einer Überhitzung kommt. Damals stürzte der Nasdaq Biotechnology Index, eines der wichtigsten Branchenbarometer für Wirkstoffentwickler, dramatisch ab. Bis heute haben sich die Aktienkurse vieler Biotech-Konzerne nicht davon erholt.

„Big Pharma“ wächst (zu) langsam

Ein weiterer Grund gegen größere Unternehmen ist das langsame Wachstum, denn „Big Pharma“ legt längst nicht mehr so stark zu wie früher. Laut einer Studie des US-Branchenmediums Fierce Pharma sind die Umsätze der weltweit größten Pharma- und Biotechkonzerne im vergangenen Jahr zwar erneut gestiegen, das Wachstum hat sich jedoch – unter anderem ­wegen der Sättigung des Marktes – verlangsamt. Der durchschnittliche Umsatz der weltweit 15 größten Unternehmen der Branche stieg um 4% und fiel damit gegenüber den Vorjahren vergleichsweise ­moderat aus. Vier der 15 Unternehmen verbuchten sogar Rückgänge.

Regulatorische Entwicklungen beachten

Anleger sollten aber auch regulatorische Entwicklungen im Auge behalten. Dazu ­gehört beispielsweise das kürzlich vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der Gesetzlichen Krankenkasse (AMVSG). Ziel des AMVSG ist es unter anderem, die Versorgung onkologischer Patienten mit in Apotheken hergestellten Infusionen ­flächendeckend für alle Versicherten ­sicherzustellen. Durch das im Rahmen des AMVSG beschlossene Verbot von ­Zytostatika-Ausschreibungen und die ­Abschaffung der exklusiven Zytostatika-Verträge zwischen Krankenkassen und Apotheken erlangen Versicherte mehr Freiheit bei der Wahl ihrer Apotheken. ­Dadurch wird in Zukunft nicht mehr nur der Preis, sondern viel mehr die ­Qualität im Mittelpunkt des Marktinteresses stehen, was günstige Rahmen­bedingungen für hochspezialisierte Pharma-Unternehmen schafft. Für Investoren, die in Deutschland in diesem Segment inves­tieren möchten, ergeben sich somit ­interessante Investment­chancen.

Zu den Autoren

Manfred Schneider

 

Manfred Schneider ist Vorstands­vorsitzen­der (CEO) der Medios AG. Als approbierter Apotheker und Gründer der BerlinApotheke verfügt er über eine langjährige Expertise im Specialty-Pharma-Bereich.

 

Matthias Gärtner

 

Matthias Gärtner ist Finanzvorstand (CFO) der Medios AG. Als Informatiker und Gründer des Softwareentwicklers e.multi Digitale Dienste AG verfügt er über eine langjährige Expertise im Aufbau, Management und Controlling von Unternehmen.

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