„Für Informationen zu Ihren Gesundheitsdaten fragen Sie Ihren Arzt oder Ihren Apotheker.“ So heißt es heute meist, wenn Patienten Daten zu ihrem Gesundheitszustand erfahren wollen. Dabei sind vielfältige und hochwertige Gesundheitsdaten, die in einem digitalen und interoperablen Format vorliegen, für eine verbesserte Gesundheitsversorgung essenziell – sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Von Tom Mühlmann

Der fortschreitende Einsatz digitaler Technologien in vielen Lebens­be­reichen vereinfacht es heute, mehr und mehr Daten zu sammeln, zu ­speichern und auszuwerten. Das gilt ­gleichermaßen für das Gesundheitswesen, in dem über die etablierten Wege in ­Praxen, Krankenhäusern und ­Laboren vielfältige Daten der Patienten erhoben und digital gespeichert werden. Die Datenschutz-Grundverordnung definiert Gesund­heitsdaten als personenbezogene Daten, die sich auf die körperliche oder geistige ­Gesund­heit einer natürlichen Person, einschließlich der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen, beziehen und aus denen Informationen über deren Gesundheitszustand hervorgehen.

Die Nutzung dieser Gesundheitsdaten kann dazu beitragen, Erkrankungen besser zu verstehen, neue Therapien zu ­entwickeln, Krankheiten vorzubeugen und Versorgungsstrukturen weiterzuentwickeln. Dabei ist es zweitrangig, ob diese Daten in der ­regulären Versorgung, in ­klinischen Studien oder durch Medizinprodukte und Sensoren erfasst werden – denn neben der Nutzung für ihren primären Zweck bergen die Daten großes Potenzial, wenn sie in der Sekundärnutzung kombiniert werden und dadurch z.B. die Entwicklung neuer Therapieverfahren durch die intelligente Verknüpfung von ­klinischen Daten und Versorgungsdaten ­ermöglichen.

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So ergibt sich schon aus einer syste­matischen Erfassung, Speicherung und Auswertung individueller Gesundheits­daten für den Einzelnen eine weitaus ­umfangreichere Grundlage für die optimale Gesundheitsvorsorge und Therapie im Krankheitsfall. Auf gesellschaftlicher ­Ebene bieten große Datenpools, bestehend aus aggregierten Daten in pseudonymisierter oder anonymisierter Form, eine verbesserte Grundlage für Forschung und Entwicklung sowie auch für die Ver­sorgungsforschung. Durch eine bessere Nutzung der Gesundheitsdaten können wichtige Erkenntnisse gewonnen werden, z.B. für die Identifizierung von Risikofaktoren für bestimmte Krankheiten, die Entwicklung von personalisierten Behandlungsmethoden und die Verbesserung der ­Patientenversorgung.

Israel kombiniert Daten

Ein Beispiel aus Israel zeigt auf, welchen Mehrwert die Verfügbarkeit und intelligente Nutzung der Daten generieren kann. Hier werden seit Jahrzehnten individuelle Gesundheitsdaten einschließlich Informationen zu medizinischen Diagnosen, Labor­ergebnissen und verschriebenen Medikamenten für jeden einzelnen Patienten durch die Krankenkassen digital und zentral gespeichert. Während der COVID-19-Pandemie nutzten die Gesundheits­behörden und Krankenkassen die Daten und kombinierten diese mit den aktuellen Inzidenzwerten. Durch die Kombination von Gesundheitsdaten und regionalen ­Inzidenzen konnte jede einzelne Person nach dem individuellen Gefährdungspotenzial, als Kombination von Gesundheit und dem Risiko einer Ansteckung, eingestuft werden. Diese individuelle Bewertung wurde dann eingesetzt, um den am meisten gefährdeten Personen einen Impftermin in einem Impfzentrum in ihrer Nähe anzubieten. Diese Berechnung und die damit verbundene Kommunikation wurde täglich wiederholt und ermöglichte somit eine klar an den gesundheitlichen Anforderungen orientierte Impfung der Bevölkerung – anstatt nach Jahrgängen oder gar Vornamen zu priorisieren.

Regulatorik hat die Notwendigkeit erkannt

Die elektronische Patientenakte, das Forschungsdatenzentrum und der European Health Data Space werden in der Zukunft wichtige Bausteine sein für die Erfassung und Bereitstellung von Gesundheitsdaten. Der Grundstein für eine verbesserte digitale und flächendeckende Erfassung von Gesundheitsdaten ist die elektronische Patientenakte (ePA). Diese wurde bereits im Patientendaten-Schutz-Gesetz definiert und steht seit Januar 2021 allen Versicherten zur Verfügung. Sie soll in der Hand der Patienten das zentrale Element einer vernetzten Gesundheitsversorgung werden und die bislang an verschiedenen Orten vorliegenden Dokumente zu Behandlungen, Therapien, anamnestischen Informationen oder Befunde an einer Stelle digital zusammenführen, verwalten und für die Behandlung verfügbar machen – und später auch durch eine freiwillige Datenbereitstellung über das Forschungsdatenzentrum für Forschung und Entwicklung bereitstellen. Allerdings hinkt die Realität der Wunschvorstellung weit hinterher: Derzeit haben nur weniger als 1 % aller gesetzlich Versicherten eine ePA eingerichtet.

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Die Verordnung für einen European Health Data Space (EHDS) ist dagegen ­gerade in der Entwicklung. Hier werden auf europäischer Ebene die Rahmen­bedingungen und Regelungen für eine ­Bereitstellung von vielfältigen Gesundheitsdaten für die Primärnutzung (individuelle, grenzüberschreitende Verfügbarkeit von Gesundheitsinformationen) sowie die Sekundärnutzung von bereits verfügbaren Forschungsdaten geschaffen. Damit werden Datensilos aufgebrochen und es können auch neue Geschäftsmodelle für die Mehrfachnutzung von Daten entstehen – denn Dateninhaber werden nach dieser Verordnung zukünftig ihre verfügbaren Daten in einem Katalog veröffentlichen, aus dem andere Datennutzer benötigte Daten für Forschungsvorhaben anfordern können.

Auch die Branche wird aktiv

Für eine bessere Erfassung und Nutzung von Gesundheitsdaten brauchen wir aber nicht auf die Politik zu warten. Aufgrund der fortschreitenden technologischen Entwicklung stehen neue Möglichkeiten zur Verfügung, um Daten auch jenseits der traditionellen Wege durch Arzt, Krankenhaus und Labor zu erfassen und zu ­speichern. Unternehmen wie XOLife und Temedica stellen patientenorientierte Tools für die Erfassung von spezifischen Gesundheitsdaten zur Verfügung. Platt­formen wie Honic oder die BDI-Initiative Kollaborativer Datenraum Gesundheitswesen können Gesundheitsdaten unter klar definierten Rahmenbedingungen für Datenschutz und Datensouveränität zur Verfügung stellen. Die hohe Verbreitung von Fitnesstrackern, Smart Watches mit Herzfrequenzmessung und At-Home-­Diagnostics produzieren weitere Gesundheitsdaten, die ganz neue Nutzungsszenarien eröffnen. Details dazu müssen mit den zuständigen Standardisierungsstellen erarbeitet werden.

Während in Deutschland vor allem ausführlich über potenzielle Datenschutz­risiken diskutiert und sinnvolle Entwicklungen damit verzögert werden, sammeln internationale Techgiganten über ihre ­Services und Tools im großen Stil Gesundheitsdaten und verwenden diese außerhalb des europäischen Rechtsrahmens. Diese Daten und die möglichen Erkenntnisse daraus sind damit für das deutsche Gesundheitswesen für immer verloren. Damit droht die Gefahr, dass Deutschland international den Anschluss verliert. Die Bevölkerung ist dabei nicht der Hemmschuh: Laut einer Studie von EPatient ­Analytics im Sommer 2022 sind rund 80% bereit, ihre Daten für die Nutzung in der medizinischen Forschung freizugeben. Es braucht also eine ausgewogenere Diskussion über den Nutzen und die Risiken des Datenschutzes.

Auf jeden Fall gilt es bereits heute, den verfügbaren Datenschatz im Gesundheitswesen mit dem Ziel einer besseren ­Gesundheitsversorgung für den Einzelnen und auf gesellschaftlicher Ebene für alle relevanten Beteiligten zugänglich zu ­machen und einzusetzen.

Dieser Artikel ist in der Plattform Life Sciences-Ausgabe „Smarte Medizin“ 1/2023 erschienen, die Sie hier als E-Magazin abrufen können.

Autor/Autorin

Tom Mühlmann
Digital-Culture-Experte, Geschäftsfeldleiter "Digitale Transformation

Tom Mühlmann ist Digital-Culture-Experte aus Überzeugung und bringt umfangreiche Praxiserfahrung aus großen Konzernen wie Microsoft, aber auch aus seinen Aktivitäten im Start-up-Umfeld mit. Seit 2019 unterstützt er Pharmaunternehmen bei der digitalen Transformation als Geschäftsfeldleiter „Digitale Transformation“ und Mitglied der Geschäftsleitung beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie.