„Deutschland hat den Anschluss noch nicht verloren“

Plattform Life Sciences: Interview mit Dr. Gregor-Konstantin Elbel, Partner Life Science & Health Care bei Deloitte

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist in aller Munde. Doch ebenso kommen, bezogen auf den deutschen Gesundheitsmarkt, immer wieder vermeintliche und tatsächliche Defizite zur Sprache. Das Land droht ins Hintertreffen zu geraten. Oder doch nicht?

 

Plattform Life Sciences: Herr Dr. Elbel, Das Thema „Digitalisierung des Gesundheitsmarktes“ ist sehr komplex. Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen und wie lassen sich diese bewältigen?

Elbel:  Bereits vor einigen Jahren kristallisierte sich heraus, dass die Digitalisierung auch im Gesundheitsmarkt Einzug halten wird. Doch wer würden die wesentlichen Treiber und Akteure sein? Und was würde passieren, wenn die Akteure im deutschen Gesundheitssystem nichts tun? Die Digitalisierung beinhaltet eine sehr große Bandbreite an Möglichkeiten. Diese beinhalten einerseits die rein administrativen Abläufe. Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Zusammenführung großer und sensibler Datenmengen. Daraus sind im Ausland bereits ganz neue Dienstleistungen und Business Modelle entstanden. Und schließlich sehen wir schon heute verschiedene digitale Therapieangebote, beispielsweise im Bereich der Psychotherapie oder in der Behandlung von Tinnitus oder Schlafstörungen.

Welche strukturellen Veränderungen im deutschen Gesundheitssystem sind denn notwendig, damit Wirksamkeit und Nutzen für alle Beteiligten gewährleistet werden kann?

Zunächst ist festzuhalten, dass das deutsche Gesundheitssystem ja durchaus funktioniert. Und genau darin liegt die größte Hürde, denn warum sollte man etwas verändern, was funktioniert? Die Strukturen im deutschen System sind allerdings sehr komplex und vielschichtig, die Interessen der einzelnen Akteure entsprechend heterogen. Mittlerweile hat sich dennoch die Erkenntnis durchgesetztdass die Digitalisierung grundsätzlich große Chancen bieten kann,die man nutzen möchte. Viele Akteure wie beispielsweise Krankenhäuser oder Pflegedienste arbeiten mit sehr geringen Margen. Sie verfügen nur selten über Reserven, die man im Zuge der Digitalisierung investieren könnte. Hier braucht es eine Entwicklung neuer Konzepte, doch dafür haben die genannten Player weder Zeit noch ausreichend Ressourcen.

Was sind die Folgen, etwa für Krankenkassen?

Die Rahmenbedingungen, in denen die Krankenkassen arbeiten, sind hochgradig reguliert, bei den Leistungen beispielsweise zu etwa 95% gesetzlich vorgegeben, da existiert wenig Spielraum. Viele Abläufe könnten schon aus technologischer Sicht heute digital geschehen, werden allerdings noch immer aufgrund rechtlicher Erfordernisse in Papierform abgewickelt. Schlussendlich muss der Gesetzgeber handeln und den Krankenkassen mehr Spielräume für Innovationen verschaffen. Diese stehen nicht nur vor der Herausforderung, ihre großen Datenmengen zu digitalisieren, sondern diese auch entsprechend auszuwerten und effektiv zu nutzen. Bisher fehlen im Gesundheitswesen zwischengelagerte Strukturen, die einen derartigen Umgang mit Big Data ermöglichen – vor allem unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes.

Warum sind andere Länder schon heute im Bereich Digitalisierung des Gesundheitswesens besser aufgestellt als Deutschland?

Gerade in kleineren Ländern sind Elemente des E-Governments angesichts der kleineren Infrastruktur leichter umzusetzen. Zum anderen gibt es beispielsweise in Australien mit den Flying Doctors althergebrachte Strukturen, deren Überführung in digitale Strukturen nur logisch erscheinen, also z.B. telemedizinische Elemente. Weiterhin beeinflusst die Art der Finanzierung und die Governance-Strukturen eines Gesundheitssystems die Geschwindigkeit. In Großbritannien etwa muss der steuerfinanzierte National Health Service mit weitaus weniger Playern interagieren als das Gesundheitssystem in Deutschland. Das verschlankt Entscheidungsprozesse mitunter erheblich. Auch ist im Ausland zum Teil der ambulante Facharzt, wie wir in hierzulande kennen, gänzlich unbekannt. Somit entfällt eine weitere Institution bzw. Barriere, die es zunächst zu meistern gilt. Und schließlich gibt es auch unterschiedliche nationale Vorgaben und z.T. historisch gewachsene Prioritäten zum Thema Datenschutz.