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Deutschland und die ganze Welt werden derzeit von der Bekämpfung des Coronavirus dominiert. In allen Ländern enthüllt das Virus schonungslos die Schwächen der jeweiligen staatlichen Gesundheitssysteme. Auch wenn wir in Deutschland die Situation bislang vergleichsweise gut unter Kontrolle haben, ist es für Genugtuung zu früh – denn unabhängig von einer möglichen zweiten oder dritten Welle hat COVID-19 auch bei uns erhebliche Defizite zutage gefördert, etwa beim häufig noch analogen Datenaustausch oder bei der Menge an verfügbarem Fachpersonal. Von Prof. Dr. Jochen A. Werner

 

Für die Medizin von morgen, ob während einer Pandemie oder im Regelbetrieb, brauchen wir neues, mutiges Denken: das Smart Hospital als Krankenhaus der Zukunft, das vor allem von zwei wesentlichen Eigenschaften gekennzeichnet ist. Zunächst sei hier eine entschlossene Fokussierung auf den Menschen im „System Krankenhaus“ genannt. Bislang ist der Mensch häufig nicht Subjekt, sondern Objekt einer tradierten Maschinerie, die weniger um ihn und seine Bedürfnisse als vielmehr um sich selbst kreist – diese Selbstzentrierung will das Smart Hospital aufbrechen, indem Prozesse und Strukturen aus Sicht der Patienten, ihrer Angehörigen und unserer Mitarbeiter betrachtet und optimiert werden. Dieser humane, empathiegetriebene Ansatz ist kein Widerspruch zur Digitalisierung und dem Einsatz modernster Technologie bis hin zu Algorithmen und künstlicher Intelligenz; vielmehr ist die Digitalisierung Voraussetzung dafür, Menschen zu entlasten und damit in einer zunehmend von wirtschaftlichen Zwängen geprägten Gesundheitswirtschaft auch das ärztliche Ethos wiederzubeleben.

Klassische Bedeutung der Krankenhäuser wird abnehmen

Darüber hinaus geht es um die Rolle des Smart Hospital als eine nach allen Seiten informationsoffene Steuerungsplattform im Zentrum des staatlichen Gesundheitssystems. Sie ist eng verzahnt mit allen vor- und nachgelagerten medizinischen Dienstleistungen, also vor allem den niedergelassenen Ärzten, aber auch Rehabilitationseinrichtungen, ambulanten Pflegediensten, Apotheken und allen anderen Stakeholdern des Gesundheitswesens. Nicht die Mauern der Klinik, sondern die Gesundheits- und Krankengeschichte der Patienten definieren dabei den Wirkungskreis. Auch hierbei handelt es sich um einen Paradigmenwechsel, denn konkret steht weniger die „Reparaturfunktion“, sondern vielmehr die lebenslange Betreuung im Zentrum der medizinischen Versorgung. Das Smart Hospital hat den Anspruch, den Menschen ganzheitlich und umfassend zu begleiten statt nur in einer durch Krankheit bedingten Ausnahmesituation.

Die klassische Bedeutung der Krankenhäuser als Orte der physischen Patientenbehandlung wird abnehmen; massiv an Bedeutung gewinnen hingegen wird die Funktion als Datenplattform. Dazu gehören ambulante Versorgungsmodelle, Telemedizin und Telekonsile, aber auch die permanente Überwachung von Vitaldaten durch Wearables – allesamt Bereiche, in denen Kliniken und niedergelassene Ärzte künftig noch intensiver, enger und sektorenübergreifend zusammenarbeiten werden. Durch dieses Teilen und den Austausch von Informationen können auch kleinere Häuser sowie niedergelassene Ärzte an der Expertise ihrer größeren Pendants und der Universitätskliniken teilhaben. Das alles nutzt den Patienten und trägt maßgeblich dazu bei, an strukturellen Schwächen des Gesundheitssystems, etwa an der medizinischen Versorgung in ländlichen Regionen, zu arbeiten und medizinisches Expertenwissen auch dorthin zu bringen. Insofern ist das Smart Hospital auch ein wesentlicher Treiber von Strukturveränderungen in der deutschen Gesundheitslandschaft.

Kernstück elektronische Patientenakte

Heute sind mehr als nur die Konturen des Smart Hospital erkennbar. Zahlreiche konkrete Projekte sind beispielsweise an der Universitätsmedizin Essen seit 2015 bereits umgesetzt worden oder befinden sich auf dem Weg. Ein Kernstück ist die elektronische Patientenakte, die Patienteninformationen in digitaler Form dokumentiert und nicht nur zum Austausch innerhalb der Klinik, sondern auch zur Interaktion mit niedergelassenen Ärzten, Rehabilitationseinrichtungen und anderen Akteuren bereithält. Ein weiteres konkretes Beispiel ist die 2018 eröffnete digitalisierte Zentrale Notaufnahme (ZNA), die durch Vernetzung wesentliche Diagnostik und Behandlungspotenziale erschließt und für die Patienten wertvolle Zeit gewinnt. Auch künstliche Intelligenz wird zunehmend eine wichtige Rolle im Rahmen des Smart Hospital spielen. Aktuelle konkrete Anwendungen sind etwa die radiologische Bestimmung des Knochenalters, die Vorhersage des Metastasierungsausmaßes, die Diagnostik bestimmter Lungenerkrankungen, eine KI-unterstützte Bewertung des Augenhintergrundes oder der Einsatz von KI zur Erkennung seltener Krankheiten.

Virtual Reality im Einsatz

Weiterhin setzen wir ein außergewöhnliches Virtual-Reality-Projekt mit einem Anbieter von 3D-Druck-Technologie und Avataren um. Verschiedene Ärzte, aber auch Mitarbeiter aus anderen Funktionsbereichen werden mittels Scanprogramm als personalisierte Avatare dargestellt und zur Kommunikation im virtuellen Raum befähigt. Damit können wir Patienten eine lange Anfahrt, belastende Wartezeiten und stressige Kurzberatungen ersparen sowie Spezialisten auch aus der Entfernung einbinden. Zudem wird ein erster Eindruck vermittelt, wie die Abläufe im Krankenhaus funktionieren. Künftig wird es möglich sein, sich Behandlungsräume oder ­Beratungszimmer vorab anzuschauen, in der virtuellen Welt an Konferenzen teilzunehmen oder sich als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter weiterzubilden.

Die Universitätsmedizin Essen als Haus der Spitzenmedizin hat den Auftrag, häufig schwer oder mehrfach erkrankten Menschen zu helfen und im besten Fall vollständig zu heilen. Das Smart Hospital wird uns helfen, diese Aufgabe noch besser zu erfüllen.

Autor/Autorin

Prof. Dr. Jochen A. Werner
Universitätsmedizin Essen

Prof. Dr. Jochen A. Werner studierte Medizin an der Christian-Albrechts-Univer­si­tät Kiel. Seit 2015 widmet sich Prof. Werner in seiner Funktion als Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Essen der Digitalisie­rung im Gebiet der Medizin und der Transformation der Universitätsmedizin Essen in ein Smart Hospital.