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Die größte Bewährungsprobe für Start-ups folgt nach der Inkubatoren-Phase: Talente und Technologien dauerhaft in der Region zu verankern. Wie das gelingt, erklärt Prof. Dr. Ralf Huss, Geschäftsführer der BioM Biotech Cluster Development GmbH – und zeigt, warum Unternehmen wie Tubulis, Catalym oder SciRhom aus diesem Ökosystem den Schritt zu internationalem Kapital geschafft haben. Von Urs Moesenfechtel
Plattform Life Sciences: Herr Professor Huss, warum sollten Biotech-Start-ups ausgerechnet in München bleiben?
Prof. Dr. Ralf Huss: Weil München seit mehr als 30 Jahren ein funktionierendes Biotech-Ökosystem aufgebaut hat. Im Rahmen des Bio-Regio-Wettbewerbs entstand damals das IZB in Martinsried – direkt neben Universitäten, Kliniken und Forschungsinstituten. Start-ups fanden hier den direkten Zugang zu Spitzenforschung und klinischer Expertise. Bald folgten Satelliten am Campus der TU München in Freising-Weihenstephan für die industrielle Biotechnologie und weitere Zentren in Bayern. Ähnliche Strukturen an anderen Orten entwickelten sich erst viel später.
Aber wie Sie sagen: Heute gibt es Labore und Gründerzentren in fast jeder Metropole.
Entscheidend ist, was über die Bereitstellung von Räumlichkeiten hinaus passiert. Bereits vor 30 Jahren suchten Start-ups eben nicht einfach nur „Räume“ – auch wenn das ihr Hauptfokus war. Start-ups bringen wissenschaftliche Exzellenz mit, aber oft noch keine belastbaren Geschäftspläne oder eingespielten Teams. Deshalb brauchen sie Coaching, Netzwerke, Kapital und Mentoren. Schon in den 1980er Jahren haben Inkubatoren am MIT in Boston gezeigt, wie wichtig spezialisierte Programme sind. Wir haben das früh adaptiert – mit Bootcamps, Coachings, Pitch-Trainings und Pre-Seed-Wettbewerben wie dem bayerischen m4 Award. Dieses Zusammenspiel aus Infrastruktur und gezielten Programmen lässt sich nicht einfach kopieren. Dass Firmen wie Tubulis, Catalym oder SciRhom 2024 gemeinsam einen Großteil des in Deutschland eingeworbenen Risikokapitals sichern konnten, zeigt die Wirkung.
Der Unterhalt eines solchen Ökosystems ist sehr kostenintensiv. Virtuelle Inkubatoren oder Akzeleratoren sind günstiger und oft schneller. Ist das klassische Modell also überholt?
Nein. Virtuelle Formate sind sinnvoll, aber sie ersetzen keine Labore und keinen persönlichen Austausch. Biotech braucht Geräte, Materialien und den direkten Kontakt zu Mentoren, Investoren und Industriepartnern – das geht nur vor Ort, am „lebenden Objekt“. Deshalb haben wir 2024 den Pre-Seed-Inkubator „Munich Accelerator LifeScience & Medicine“ (MAxL) am IZB eröffnet. Er setzt bewusst in einer Phase an, in der noch gar keine Gründung erfolgt ist. Zusammen mit den TUM VentureLabs, dem Pioneer Campus bei Helmholtz Munich und weiteren Partnern entsteht so ein Ökosystem, das Forschungsexzellenz mit konkreter Unternehmensentwicklung verbindet.
Virtuell reicht also nicht – aber auch andere Standorte investieren inzwischen massiv in physische Strukturen. Wie behauptet sich Bayern in diesem Wettbewerb?
Wettbewerb ist gut, weil er die Szene insgesamt stärkt. Bayerns Vorteil liegt in der Dichte der Akteure, die hier seit Jahrzehnten eng zusammenarbeiten – von Universitäten und Kliniken über außeruniversitäre Forschungsinstitute bis zu Start-ups, Investoren und etablierten Unternehmen. Außerdem bilden wir die gesamte Wertschöpfungskette ab: von der Grundlagenforschung bis zur internationalen Vermarktung. Diese Kombination aus Breite, Tiefe und Internationalität sorgt dafür, dass Unternehmen nicht nur gegründet werden, sondern nachhaltig wachsen.
Was zeichnet die Einrichtungen in München konkret aus?
Die Basis bilden LMU und TUM als Exzellenzuniversitäten, Helmholtz Munich und die Max-Planck-, Fraunhofer- und Leibniz-Institute. Daraus sind Exzellenzcluster hervorgegangen, die neue Therapien und Produkte in den Markt bringen. Hinzu kommt die enge Vernetzung mit Zukunftstechnologien – von KI über Quantencomputing bis hin zu Medizintechnik mit Robotik und Automatisierung. Ein Beispiel: MAxL setzt im Pre-Seed-Bereich an. Dort gilt: Es darf noch keine Gründung erfolgt sein. Mit Instrumenten wie dem m4 Award, internationalen Entrepreneurship-Programmen und Bootcamps erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit, dass aus einer wissenschaftlichen Idee eine tragfähige Firma wird.
All das ist eingebettet in ein nachhaltiges Netzwerk aus weiteren Inkubatoren, Biotech-Zentren und einem etablierten Investorenumfeld. Forschung und Entwicklung sind kostenintensiv, ohne verlässliche Förderung zieht es Unternehmen schnell woanders hin. Mit der Forschungszulage gibt es in Deutschland inzwischen steuerliche Entlastung, die auch in Bayern stark genutzt wird. Dazu kommen Programme wie ZIM oder spezifische Landesförderungen. Wir haben hier nicht nur Seed-Finanzierungen, sondern auch Anschlussfinanzierungen bis in späte Wachstumsrunden. Neben Fonds wie dem High-Tech Gründerfonds arbeiten wir mit internationalen Investoren zusammen, die wir aktiv ins Ökosystem holen. Entscheidend ist, dass diese Programme unbürokratisch funktionieren, und dass Clusterorganisationen wie Bioᴹ Start-ups durch den Förderdschungel lotsen.
Wenn Infrastruktur, Kapital und Netzwerke in München so gut organisiert sind – gibt es überhaupt noch ständig drängende Themen?
Ja – und die sind fast dieselben wie vor 30 Jahren: Gerade Laborflächen sind nach wie vor knapp – ein Zeichen dafür, wie stark die Nachfrage ist. Gleichzeitig bleibt die Suche nach internationalen Fachkräften und verlässlicher Finanzierung eine Daueraufgabe. In Bayern reagieren wir darauf mit einem eng vernetzten Investorenumfeld, staatlicher Pre-Seed-Förderung und Partnerschaften mit Akademie und Industrie – etwa über Core-Labs oder Public-Private-Partnerships. So gelingt es, die innovativsten Ideen von der Grundlagenforschung in die klinische Entwicklung und bis in den Markt zu bringen.
Autor/Autorin
Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.