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Trotz vieler Fortschritte bei der Implementierung der industriellen Biotechnologie hat sich der Begriff „Bioökonomie“ bisher nicht als blockbusterfähig erwiesen. Seit Kürzerem verbreiten sich aber zwei neue Schlüsselbegriffe: „Biosolutions“ und „Biomanufacturing“. Sind das nur weitere Schlagwörter oder können diese neuen Bezeichnungen und die damit ­verbundenen Konzepte die Bioökonomie nun endlich voranbringen?

Im Jahr 2007 wurde mit dem Cologne-­Paper die „wissensbasierte Bioöko­nomie („knowledge-based bioeconomy“; KBBE) aus der Taufe gehoben, die eine Vision für eine europäische Bioökonomie 2030 aufzeigte. Der Begriff „Bioökonomie“ schien auf den ersten Blick genial, verband er doch das Gute von „Bio“ mit der für Länder wie Deutschland wesentlichen „Ökonomie“. Viele Bioökonomiestrategien, zwei Bioökonomie-Wissenschaftsjahre und viele weitere politische wie öffentlichkeitswirksame Angebote später muss man dennoch feststellen: Bürgerinnen und Bürger und auch Politikschaffende können mit dem Begriff nicht das verbinden, was in Expertenkreisen gemeint ist. Zusätzlich haben sich „Kreislaufwirtschaft“ und „Circular Economy“ als weitere Begriffe etabliert und werden oft (fälschlicherweise) synonym mit der Bioökonomie verwendet.

Deutungshoheit über die ­Bioökonomie

Definitionen der Bioökonomie gibt es reichlich – sie variieren jedoch von Land zu Land und sind mal mehr, mal weniger inklusiv, schließen mal den Gesundheitssektor, mal die Forst- und Papierindustrie ein etc. Der VDI hat sich deshalb gerade in seiner Richtlinienarbeit mit Definitionen der Bioökonomie beschäftigt. Die Biotechnologieindustrie legt schon immer Wert darauf, dass es nicht nur darum gehen sollte, fossile Rohstoffe durch biobasierte zu ersetzen, also Jute statt Plastik. Stattdessen sollte im Fokus stehen, Technologien so auf die biobasierten Rohstoffe oder Reststoffe anzuwenden, dass neue und bessere Produkte entstehen bzw. die Prozesse und Produkte nachhaltiger werden. Wenn der Begriff „Bioökonomie“ also nur für eine überschaubare Gruppe von Eingeweihten wirklich eine Bedeutung hat, brauchen wir dann einen ­anderen?

Biotechnologie und ­Biomanufacturing

Die US-Amerikaner haben 2012 den National Bioeconomy Blueprint veröffentlicht, der die Biotechnologie ins Zentrum der Umsetzung stellt (und die Gesundheitsbranche mit einbezieht). Zehn Jahre später, im September 2022, unterzeichnete US-Präsident Joe Biden eine Executive ­Order „on Advancing Biotechnology and Biomanufacturing Innovation for a Sus­tainable, Safe and Secure Bioeconomy“. Im Anschluss wurde diese durch den ­Maßnahmenkatalog „Bold Goals for U.S. Biotechnology and Biomanufacturing R&D“ ergänzt. Darin werden Ziele definiert, die man zur Lösung von Klimawandelherausforderungen erreichen will, ­sowie die ­Sicherung der Lieferketten und techno­logischen Souveränität, auch mit Fokus auf die Gesundheitsversorgung. Der Maßnahmenkatalog zeigt auf, in welche Richtung gedacht und vermutlich perspektivisch gehandelt wird. Und auch hier wird der Begriff „Bioökonomie“ zwar durchaus genutzt, aber ergänzt durch den der Technologien „Biotechnology und Biomanu­facturing“, die für ihre Umsetzung als ­nötig angesehen werden.

Die US-Amerikaner sind gegenüber der Biotechnologie positiv eingestellt. In der deutschen Politik hingegen wird der ­Begriff nicht so gerne in den Mund genommen.

Illustration "Inkubator". Copyright: Maqsudxon - stock.adobe.com
Illustration „Inkubator“. Copyright: Maqsudxon – stock.adobe.com

Herausforderung USA

Die US-Amerikaner sind gegenüber der Biotechnologie positiv eingestellt. In der deutschen Politik hingegen wird der ­Begriff nicht so gerne in den Mund genommen. Anders agiert die EU-Kommission: Analog zum Net Zero Industry Act der EU als Reaktion auf den Inflation Reduction Act (IRA) hat Ursula von der Leyen in ­ihrer State of the Union Address 2023, ein Jahr nach der Ankündigung der US-Biotech­initiative, eine wortgleich lautende für die EU angekündigt. Mehr dazu soll im ersten Quartal 2024 bekannt werden. Die General­direktion Binnenmarkt, Industrie, Unter­nehmertum und KMU der EU (DG GROW) wird davon auf den Deutschen Biotechnologietagen Mitte April berichten. Mit der EU Biotech and Biomanufacturing Initiative also verschiebt auch die EU den Fokus zu den Methoden der Bioökonomie, ohne den Begriff selbst zu nennen. Auch der euro­päische Biotechdachverband EUROPABIO engagiert sich darin, das Thema Biomanufacturing auf EU-Ebene zu begleiten und die Rahmenbedingungen so mitzugestalten, dass sich das Potenzial dieser auf ­Mikroorganismen basierenden Produk­tion voll entfalten kann.

Die Vision einer biobasierten, nachhaltigen Wirtschaft in Zeiten des Klimawandels und Biodiversitätsverlusts so wichtig wie nie zuvor.

Einen weiteren Begriff platziert die ­European Biosolutions Coalition (EBC), deren Ziel es ist, die Straffung und Verbesserung des Rechtsrahmens für „Biosolutions“, also Biolösungen, in der EU und den Mitgliedstaaten auf die Tagesordnung zu setzen. Die Koalition, die vom Dänischen Industrieverband initiiert wurde, besteht in erster Linie aus europäischen Industrieorganisationen, die sich zusammengeschlossen haben, um für diese ­gemeinsame Sache zu kämpfen. BIO Deutschland ist der Koalition im Januar 2024 beigetreten. Der ausschließliche Schwerpunkt der EBC liegt auf der Förderung von Biosolutions, die einen nach­haltigen Wandel in Industrie und Landwirtschaft unterstützen. „Biologische ­Industrielösungen – oder kurz: Biolösungen – sollen einen natürlichen Weg darstellen, den Übergang zu einer nachhaltigen und umweltfreundlicheren Zukunft zu ­beschleunigen. Durch die Nutzung des ­Potenzials von Enzymen, Mikroorganismen, Kulturen von Zellen oder Organismen und anderen biologischen Werkzeugen können Biolösungen einige der herkömm­lichen Lösungen in verschiedenen Sektoren ersetzen und zu einer geringeren Umwelt- und Klimabelastung beitragen.“[1] Ende ­November hat die EBC in Brüssel ihr Manifest bei einer Veranstaltung an die Politik übergeben. Hauptziel ist, die überholte ­europäische Regulierung in vielen Bereichen, z.B. Novel Food, neue genomische Techniken oder biologischer Pflanzenschutz, so schnell wie möglich zu ändern, damit die Biosolutions ihre volle Kraft ­entfalten können.

What’s in a name?

Natürlich lässt sich der Begriff der Bio­ökonomie nicht mit Biosolutions oder ­Biomanufacturing bzw. Biolösungen oder Bioproduktion gleichsetzen. Letztere sind Mittel, um Ersteres zu erreichen. Aber vielleicht sind die Begriffe eingän­giger und wecken bei Politik, Medien und vor ­allem Öffentlichkeit mehr positive ­Assoziationen. Die „Bioökonomie“ hat ­leider kommunikativ bisher nicht gezündet. Dabei ist die Vision einer biobasierten, nachhaltigen Wirtschaft in Zeiten des Klimawandels und Biodiversitätsverlusts so wichtig wie nie zuvor. Am Ende zählt ja nicht, welcher Begriff das Rennen macht – sondern dass endlich etwas vorangeht bei der Umgestaltung der Wirtschaft. Ich ­hoffe, dass Biosolutions und Biomanu­facturing dabei helfen können.

[1] https://www.eubiocoalition.eu/what-are-biosolutions

Dieser Artikel ist in der Plattform Life-Sciences-Ausgabe 1-2024 erschienen.

Autor/Autorin

Dr. Claudia Englbrecht
Pressesprecherin & Managerin Öffentlichkeitsarbeit at BIO Deutschland e. V. | Website

Dr. Claudia Englbrecht ist Biologin und bei BIO Deutschland e.V. für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation, den Technologietransfer und die Deutschen Biotechnologietage verantwortlich.