Affimed-Vorstandschef Adi Hoess erläutert im Interview, wie das an der Nasdaq gelistete Unternehmen in diesem Jahr die klinische Schlüsseletappe für seine am weitesten fortgeschrittene Antikörperarznei meistern will. Von Stefan Riedel
 

Herr Hoess, Affimed hat sich in seiner 23-jährigen Firmenhistorie von einem Hersteller von rekombinanten Antikörpern zu einem Entwickler von Krebsmedikamenten entwickelt. Der Großteil der Aktionäre kommt aus den USA. Aus welchem Grund gingen Sie an die Nasdaq?

Als wir 2014 die Entscheidung für das IPO trafen, standen wir mit unserem Therapieansatz noch am Anfang unserer klinischen Studien. Der europäische Kapitalmarkt favorisiert jedoch Biotechfirmen, die schon fortgeschrittene klinische Projekte vorweisen können. Das ist in den USA nicht der Fall. Hinzu kam, dass der Teil der Krebsmedizin, mit dem wir uns befassen, in den USA damals schon fortgeschrittener war als in Europa. Unsere Immuntherapie macht sich mithilfe bispezifischer Antikörpern das angeborene Immunsystem, also natürliche Killerzellen und Makrophagen, zunutze.

Was ist das Alleinstellungsmerkmal dieses Ansatzes?

Die Wirkstoffe, die wir entwickeln, stimulieren die angeborene Immunabwehr gegen Tumorzellen. Diese Immunreaktion hat dann auch noch einen aktivierenden Effekt auf das adaptive System, damit erreichen wir einen konzertierten Angriff gegen den Tumor. Dies geschieht, ohne dass es zu Nebenwirkungen wie überschießenden Immunreaktionen kommt, wie sie bei T-Zell-Ansätzen auftreten. Unsere bispezifischen Antikörper, die wir auch Innate-Cell-Engager nennen, zeigen bei klinischen Daten ein sehr gutes Sicherheitsprofil. Das ist eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung von Krebsarzneien. Langfristig müssen wir mit immer neuen Kombinationstherapien arbeiten, um den besten Nutzen für Patienten in den verschiedenen Stadien ihrer Erkrankung zu erreichen.

Affimed-Logo. Copyright: Affimed

Wie will Affimed mit AFM13, dem am weitesten fortgeschrittenen klinischen Produkt, den Durchbruch zur Marktreife schaffen?

Bei den Patienten, die wir mit AFM13 behandeln, handelt es sich um sehr schwer kranke Patienten im Endstadium der Erkrankung. Um das angeborene Immunsystem von Patienten zu unterstützen, das durch vorangegangene Chemotherapien geschwächt ist, kombinieren wir AFM13 mit natürlichen Killerzellen von gesunden Probanden. In einer laufenden klinischen Studie konnten wir hier bei Patienten, die bis zu 14 vorherige Behandlungen hatten, Ansprechraten von über 90 % erreichen und komplette Remission bei über 70 % der Patienten. Das sind Daten, die so nicht zu erwarten waren und das Feld aufhorchen lassen haben. So etwas wünscht man sich als Forscher und Onkologe für seine Patienten.

Interview mit Affimed CEO Adi Hoess
Adi Hoess (links) und Stefan Riedel (rechts). Copyright: Urs Moesenfechtel / GoingPublic Media AG

Welche nächsten Schritte planen Sie mit AFM13?

Im ersten Halbjahr 2023 werden wir bei der FDA die geplante Zulassungsstudie für AFM13 einreichen. Das ist ein wichtiger Meilenstein für uns, weil wir zum ersten Mal Zeitlinien für die Publikation von klinischen Daten freigeben können. Im zweiten Halbjahr können wir dann den Patienten die einzelnen Dosisraten verabreichen und sukzessive auf den Fachkonferenzen die klinischen Ergebnisse aus diesen ersten Dosierungen publizieren. Unser Vorteil ist, dass wir mit den vorliegenden Proof-of-Concept-Daten eigentlich schon die Basis gelegt haben. Nun müssen wir lediglich die Äquivalenz bei den Patienten nachweisen.

Reicht ein solcher Nachweis des Wirkprofils, um die Zulassung zu beantragen?

Die Patienten, die in unseren klinischen Studien mit AFM13 gegen CD30-positive T-Zell-Lymphome und Hodgkin-Lymphome behandelt werden, hatten neben der Chemotherapie bis zu 14 weitere Therapien hinter sich. In unserer Wirksamkeitsstudie haben wir bei Hodgkin nur solche Patienten eingesetzt. Dasselbe gilt für die klinische Studie zur Behandlung des peripheren T-Zell-Lymphoms. Hier haben die Patienten mit durchschnittlich drei vorherigen Behandlungen bereits alle möglichen Therapien durchlaufen. Keiner unserer Wettbewerber hat für seine klinischen Tests solche Patientenpopulationen herangezogen. Wir gehen davon aus, dass wir für die Zulassungsstudie weniger als 100 Patienten benötigen. Finanziell können wir diese Studie stemmen.

AFM13 wurde ursprünglich als Monotherapie entwickelt. Warum hat jetzt die Zulassung als Kombinationstherapie Priorität?

Für ein Monotherapie muss eine sogenannte Confirmatory Study aufgesetzt werden. Das heißt eine kontrollierte Studie mit einigen 100 Patienten. Mit der Monotherapie würden wir im Endeffekt aber nur ein Subsegment des möglichen Marktes erreichen. Durch die Kombination mit natürlichen Killerzellen öffnen sich andere Behandlungslinien und Patientengruppen. Und das wichtigste Argument: wir können hier die Wirksamkeit um das Fünf- bis Zehnfache steigern und bieten somit einer größeren Patientengruppe eine bessere Behandlung.

Holen Sie sich einen Entwicklungs- und Vermarktungspartner ins Boot, falls die Resultate die vorliegenden positiven Proof-of-Concept-Daten bestätigen?

Unsere Cash-Reserven reichen bis ins Jahr 2025. Wir stehen also unter keinem akuten Zeitdruck und haben die nächsten 18 Monate Zeit, unsere künftige Strategie auszuarbeiten.

Welche Szenarien schweben Ihnen hinsichtlich Partnerschaften mit Big Pharma vor?

Für die Kooperation mit einem Pharmapartner gibt es verschiedene Optionen. Eine Möglichkeit wäre, dass wir einen Lizenzdeal für AFM13 mit einem Partner abschließen, der die globale Vermarktung übernimmt. Mit einem solchen Deal würde für uns alle Kosten wegfallen. Zugleich hätten wir einen zeitlich längeren finanziellen Spielraum, um die klinischen Studien mit AFM24 in soliden Tumoren in Eigenregie voranzutreiben. Umgekehrt werden wir nur die vertraglich festgelegten Umsatzbeteiligungen als Einnahmen in der Bilanz verbuchen. Die zweite Variante wäre ein Co-Development-Deal, bei dem wir die Vermarktung in Europa abgeben, aber sie für die USA behalten. Dazwischen gibt es aber noch weitere Varianten, wie wir AFM13 auf den Markt bringen, einen Mehrwert für unsere Investoren generieren und unsere beiden weiteren Programme AFM24 und AFM28 weiter voranbringen.

Kommen wir auf die Affimed-Aktie zu sprechen. Wie erklären Sie, dass der Aktienkurs innerhalb von zwei Jahren vom Allzeithoch auf einen Pennystock eingebrochen ist?

In den großen Kursschwankungen bei den kleineren Biotechfirmen manifestieren sich nicht nur die Risiken durch klinische Fehlschläge, die eingepreist werden. Der Zuspruch ist auch sehr an makroökonomische Faktoren gekoppelt. Im derzeitigen Marktumfeld haben die meisten Biotechunternehmen deutliche Kurskorrekturen zu verkraften, nachdem in den Jahren der Coronapandemie die Kurse nach oben gelaufen waren. Der Markt ist sehr bullish, wenn er weiß, dass er mit risikoreichen Geschäftsmodellen viel Geld verdienen kann. Genau das war vor drei Jahren der Fall. Jetzt haben wir das umgekehrte Szenario: Der Markt sieht nur die Risiken und diskontiert die Unternehmenswerte angesichts der steigenden Zinsen nach unten. Im Fall von Affimed kam dazu in den letzten Monaten im Wettbewerbsumfeld noch eine Reihe negativer Nachrichten bezüglich Unternehmensaufstellungen im Bereich der NK-Zell-Therapien, die sich auch für die Affimed-Aktie negativ auswirkten.

Beabsichtigen Sie, ungeachtet der zentralen Rolle des US-Marktes für Affimed die IR-Arbeit in Europa zu auszubauen?

Wir sind hier auf den wichtigsten Konferenzen präsent und mit Roadshows unterwegs, wo uns europäische Banken behilflich sind. Das Coverage durch eine Bank in Europa ist schwieriger. Anders als in den USA funktioniert das nur, wenn eine Finanzierung kommt und die Bank daran auch beteiligt ist. Wichtig für eine bessere Wahrnehmung von uns in Europa ist auch, in unserer Kommunikationspolitik die behandelnden Ärzte einzubinden.

Inwiefern?

Wenn diese nach außen kommunizieren, dass schwer kranke Hodgkin-Lymphom-Patienten, bei denen keine herkömmlichen Behandlungen mehr anschlagen, zu 90 % auf unsere Therapie ansprechen, wird dem breiteren Markt besser der „Game Changing“-Charakter unserer Medikamentenkandidaten bewusst. In der Monotherapie mit AFM13 kam es beim T-Zell-Lymphom bei über 30 % der Patienten zur partiellen oder kompletten Remission des Tumors. Die Überlebensdauer der behandelten Patienten lag nach neun Monaten bei 80 %. Das sind eindrucksvolle Zahlen bei diesen sehr schwerkranken Patienten, die bereits alle möglichen Therapien durchlaufen haben.

Werfen wir noch einen Blick in die Zukunft: Wie sehen Sie Affimed auf Sicht der nächsten drei Jahre aufgestellt? 

Bis dahin könnten wir schon so weit sein, dass wir den Zulassungsantrag für ein Produkt in zwei verschiedenen Indikationen einreichen. Damit haben wir das Potenzial, einer großen Anzahl von Patienten, die keine Optionen mehr haben, eine neue Behandlung zu bieten, die ihre Lebensqualität signifikant verbessert. Gelingt uns das, werden wir für Investoren eine sehr wertvolle Firma.

Herr Hoess, herzlichen Dank für das informative Gespräch. 

Lesen Sie mehr zu Affimed im Aktienportrait.

Autor/Autorin

Stefan Riedel
Freier Redakteur at Büro für Kommunikation

Stefan Riedel ist freier Autor bei GoingPublic Media und selbständiger Redakteur mit Schwerpunkt Finanzen und Wirtschaft.