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Die meisten Aktiengesellschaften adressieren Privat­anleger gar nicht explizit, geschweige denn junge Leute. Diese wiederum holen sich ihre Informationen ohnehin andernorts, oft auf Social-Media-Kanälen. Das Wort von ­Finfluencern zählt den U-30-Jährigen im Zweifel mehr als das eines IR-Managers – so sie Investor Relations ­überhaupt kennen. Ein Gespräch über empirische Erkenntnisse, die zum Nachdenken anregen (sollten).

HV Magazin: Herr Prof. Dr. Hoffmann, die Generation U-30 ist in aller Munde. Sie investiert mehr am Kapitalmarkt als die älteren Generationen, das freut viele; gleichzeitig wird ihnen vorgeworfen, sie wüssten zu wenig, zockten zu viel und seien in der Gefahr, sich deshalb am Markt ganz schnell die Finger zu verbrennen. Was ist dran an diesen Vorurteilen?

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Prof. Dr. Hoffmann: An letzterem nicht viel. Laut unserer Erhebung ist das wichtigste Anlagemotiv der jungen Aktionäre der langfristige Vermögensaufbau. Sie wollen private Altersvorsorge betreiben und wenden sich der Aktienanlage zu, weil die ­Aktie angesichts noch immer tiefer Zinsen, aber steigender Inflation an Attraktivität gewinnt.­ Motive wie etwa der „Nervenkitzel“ spielen keine nennenswerte Rolle und übrigens bei den jungen Aktionären auch keine ­größere als bei Aktionären über 30 Jahren.

Prof. Dr. Christian P. Hoffmann ist Professor für Kommunikationsmanagement an der Universität Leipzig.

HV Magazin: Wie sieht es mit dem Aktien-Know-how der Nachwuchsanleger aus?

Prof. Dr. Hoffmann: Hinsichtlich des Wissens ist in der Tat noch Luft nach oben. In unserer Studie wiesen die meisten jungen Teilnehmenden ein mittleres Wissensniveau auf. Interessanterweise fanden wir ausgeprägte Wissenslücken rund um ETFs, obwohl diese das beliebteste Anlageprodukt der „Generation Aktie“ sind. Auch das Wissen rund um Investor Relations war mäßig aus­geprägt. Gleichzeitig muss man sagen: Die jungen Aktionäre selbst schätzten ihr ­Wissen sogar noch etwas pessimistischer ein, als unsere Wissensfragen nahelegen. Sie überschätzen ihren Kenntnisstand ­also nicht. Junge Aktionäre informieren sich im Übrigen etwas weniger häufig als ältere – vor allem aber nutzen sie dafür bisweilen andere Quellen.

HV Magazin: Die Jugend informiert sich also anders. Was ist hier zu beobachten?

Prof. Dr. Hoffmann: Onlinefinanzportale sind für junge und ­ältere Aktionäre die beliebteste Informa­tionsquelle. Beide Altersgruppen nutzen ähnlich häufig Unternehmensange­bote, wie den Geschäftsbericht oder die Unternehmenswebsite. Häufig ist dabei übrigens durchaus das richtige Wort – beide­ Instrumente finden sich unter den fünf am häufigsten genutzten Informationsquellen. Ein wesentlicher Unterschied ist vor allem bei Informationsquellen wie ­YouTube, Instagram, Blogs und auch Podcasts zu finden, die von der Generation ­Aktie rege für Kapitalmarktinformationen genutzt werden, von älteren Anlegern ­dagegen kaum. Junge Anleger stützen sich zudem stärker auf Empfehlungen als ältere – aus dem privaten und beruflichen Umfeld, aber auch von sogenannten Finfluencern, also Finanz-Influencern. Diese sprechen eben vor allem auf YouTube, Blogs und Instagram Anlageempfehlungen aus. Wir sehen auch, dass junge Anleger aufgrund dieses Informationsverhaltens andere Formate bevorzugen als ältere, sie schätzen audiovisuelle Angebote und lesen weniger gerne Texte. Wenn Infor­mationen in Textform angeboten ­werden, soll es für die Jungen kurz und knackig sein.

Abb. 1: Anlagemotive, Quelle: DIRK

HV Magazin: Was bedeutet dieses Informationsverhalten der Jungen für die bisherige Investorenkommunikation?

Prof. Dr. Hoffmann: Zuerst einmal sind die jungen Anleger mit den Investor Relations noch nicht recht vertraut. Nur 45% können etwas mit dem Begriff „Investor Relations“ anfangen, ­obwohl immerhin 55% wissen, dass börsennotierte Unternehmen verpflichtet sind, ihre Aktionäre mit Informationen zu versorgen. Dies steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu der Aussage, dass Unternehmenswebsites und Geschäfts­berichte durchaus relevante Informationsquellen auch für die junge Generation sind. Sie verbindet diese Angebote offenbar nicht mit dem Begriff „Investor Relations“. Nur 30% können sich vorstellen, bei einer Frage auch einmal das Unternehmen zu kontaktieren, in das sie investieren möchten. Die IR kann also durchaus dazu beitragen, dass Berührungsängste abgebaut werden. Inhaltlich sprangen mir vor allem zwei Diskrepanzen ins Auge: Erstens bieten nach unserer Inhaltsanalyse Unternehmen sehr viele ESG-Informationen an, Nachhaltigkeit ist für die Jungen jedoch ein eher untergeordnetes Anlagekriterium. Zweitens hat das sogenannte Aktienmarketing in der IR-Praxis einen eher schlechten Ruf, die jungen Aktionäre wünschen sich aber genau die Informationen, die wir klassisch unter Aktienmarketing einordnen würden: ein klares Profil, eine spannende Kapitalmarktstory, auch eine ver­ständ­liche Positionierung der Aktie im Wettbewerbsumfeld.

Abb. 2: Informationsquellen zum Kapitalmarkt. Quelle: DIRK

HV Magazin: Glauben Sie, dass sich die jungen Anleger je in eine Hauptversammlung setzen werden?

Prof. Dr. Hoffmann: Das ist in der Tat derzeit nur schwer vorstellbar – einerseits, weil dieses vertiefte und ja durchaus auch aufwendige Engagement für einzelne, im Umfang begrenzte Anlagen wenig verhältnismäßig erscheint; andererseits, weil die jungen Anleger durchaus noch eine etwas ehrfürchtige ­Distanz gegenüber den IR-Angeboten der Unternehmen aufweisen, zum Teil auch mangels Wissens und Erfahrung. Einige der jungen Anleger werden aber in die ­Rolle engagierter Aktionäre hineinwachsen. Klar ist jedoch auch: die Onlinehauptversammlung entspricht deutlich mehr dem Informations- und Anlageverhalten der jungen Generation als die physische HV.

HV Magazin: Wie müsste man dieses Format reformieren, damit die Jungen kommen – oder stellt sich nach Einführung der virtuellen HV diese Frage gar nicht mehr?

Prof. Dr. Hoffmann: Aktiengesellschaften sind nun einmal nicht unendlich flexibel in der Gestaltung ihrer HV. Deutsche Aktiengesellschaften werden ihre Hauptversammlung kaum zu einer aufregenden Party machen, wie etwa­ der US-Einzelhändler Walmart. Letztlich ist die HV eine etwas trockene Veranstaltung, gewisse Abstimmungen oder ­Anliegen könnten aber durchaus anziehend auch auf junge Aktionäre wirken. Mein Eindruck ist, dass einige der jungen Anleger noch lernen müssen, was ihre ­Mitspracherechte und -möglichkeiten im Rahmen ihrer Anlage sind.

Abb. 3: Kapitalmarktrelevante Beiträge auf Social Media, Quelle: DIRK

HV Magazin: Was können Unternehmen generell tun, um die jungen Leute zu erreichen und über ihr Geschäftsmodell und ihre Aktie zu informieren?

Prof. Dr. Hoffmann: Unter den DAX- und MDAX-Unternehmen sprechen nur sehr wenige überhaupt Privat­aktionäre explizit auf ihrer Website an. Nur in Ausnahmen gibt es auf Privat­aktionäre zugeschnittene Informationsangebote, wie etwa Newsletter oder Magazine,­ die komplexe Informationen ­zugänglich präsentieren. Auch zentrale Botschaften, wie die Equity Story, finden sich auf erstaunlich vielen IR-Websites nicht explizit. Insofern beginnt es bei den Basics: Informationsangebote für Privataktionäre, Informationen in zugänglicher und ansprechender Form, durchaus auch Mut zum Aktienmarketing. Ich erwarte nicht, dass IR plötzlich beginnt, auf Instagram und YouTube zu kommunizieren, aber in Zusammenarbeit mit Corporate Communications können IR-Informationen ja durchaus auch über die Unternehmenskanäle ausgespielt werden. Und das Thema Finfluencer Relations sollten beide Funktionen einmal miteinander durchsprechen.

HV Magazin: Wenn Sie eine Prognose wagen ­würden – welches Szenario der Investorenkommunikation stellen Sie sich in fünf, ­welches in zehn Jahren vor?

Prof. Dr. Hoffmann: Ich sage immer, dass der Geschäftsbericht und die Hauptversammlung der Großvater und die Großmutter der Finanzkommunikation sind. Beide müssen aber mit der Zeit gehen und sich immer wieder weiterentwickeln. Nur wenige Unternehmen bieten heute ein echtes Onlinereporting an, die meisten arbeiten mit mehr oder weniger bildschirmoptimierten PDFs. Über die Online-HV haben wir schon gesprochen. Der weitere Weg in den digitalen Aktionärsdialog scheint mir unvermeidlich. Das ­impliziert auch eine beständige Weiterentwicklung der digitalen Angebote, nicht zuletzt der IR-Website. Sofern Unternehmen in die Privataktionärskommunikation inves­tieren wollen, sollten sie auch über Calls und Onlinekonferenzen nachdenken. Der gute alte Newsletter erweist sich immer wieder als reichweitenstark. Wichtig mit Blick auf die Privataktionäre ist letztlich die integrierte Finanzkommunikation, also die enge Abstimmung zwischen IR und Corporate Communications, denn Journalisten und Finfluencer sind für diese Zielgruppe relevante Multiplikatoren. Unsere Studie zeigte in vielen Fällen, dass die ­jungen Anleger gar nicht so fundamental anders ticken als die älteren. Im Zeitraum von fünf bis zehn Jahren erwarte ich daher eher eine Evolution, keine Revolution.

www.uni-leipzig.de

Herr Prof. Hoffmann, herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Simone Boehringer.

Autor/Autorin

Simone Boehringer

Simone Boehringer ist die Redaktionsleiterin "Kapitalmarktmedien" der GoingPublic Media AG.