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Die Hauptversammlungssaison 2021 liegt hinter uns! Anders als befürchtet verliefen die virtuellen Hauptversammlungen der deutschen börsennotierten Gesellschaften technisch reibungslos und mit weniger medialer Aufregung als zu Jahresbeginn erwartet.

Etablierung der virtuellen Hauptversammlung

Das Format der virtuellen Hauptversammlung im Studiosetup hatte sich nach 2020 schon so weit etabliert, dass der Schwerpunkt in diesem Jahr eher auf der inhaltlichen Ausgestaltung und technischen Umsetzung freiwilliger Elemente zur Steigerung der Aktionärsrechte lag als auf der bloßen gesetzestreuen Durchführung des digitalen Aktionärstreffens. Die Rufe der Investoren und Aktionärsvertreter nach einem echten Dialog zwischen Unternehmensführung und Anteilseignern auch und gerade im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung wurden nach der Verlängerung des COVID-19-Maßnahmengesetzes ausgiebig diskutiert. Dem Wunsch nach einem Frage- und Auskunftsrecht der Aktionäre, analog zu einer Präsenz-Hauptversammlung, wurde schließlich durch zwei Tagesordnungsergänzungsanträge zum Beginn der Hauptversammlungssaison, nämlich bei der Siemens AG (1) am 3. Februar 2021 und bei der Deutschen Telekom AG (2) am 1. April 2021, der entsprechende Nachdruck verliehen.

Zwar wurden wegen des Erfordernisses der qualifizierten Mehrheit beide Anträge final abgelehnt, sie erhielten aber aufgrund der Unterstützung zahlreicher institutioneller Investoren und Stimmrechtsberater überraschend hohe Zustimmungsquoten (Siemens AG: 57,8%; Deutsche Telekom AG: 68,1%). Dies war ein Motivationsgrund mehr, dass über drei Viertel der DAX30-Gesellschaften ihren Aktionären freiwillige Möglichkeiten zur Ausübung ihrer Aktionärsrechte anboten.

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Während das Gesetz nur die Übertragung der Hauptversammlung in Bild und Ton forderte und den Aktionären ein Fragerecht mit der Möglichkeit gewährte, Fragen bis einen Tag vor der Hauptversammlung einzureichen, konnten dennoch vielfach die Aktionäre ihre Meinung in Video- und Audiostatements und/oder Statements in Textform bei den Unternehmen einreichen. Diese wurde nach einer Prüfung im Vorfeld der Hauptversammlung auf der Homepage der Gesellschaft oder im jeweiligen Onlineportal für Aktionäre zur Verfügung gestellt. Die Möglichkeit, am Hauptversammlungstag Rückfragen zu den zuvor eingereichten Fragen zu stellen, nutzten weniger Unternehmen – doch wurde auch dieses Element von den Aktionären wohlwollend aufgegriffen.

Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen entschied sich dazu, die Rede des Vorstandsvorsitzenden, des CFOs oder auch des Aufsichtsratsvorsitzenden ganz oder in Auszügen mehrere Tage vor der Hauptversammlung zu veröffentlichen. Die Live-Zuschaltung von Aktionären während der laufenden Veranstaltung und der damit unmittelbaren Umsetzung des vielfach geforderten Dialogs verwirklichte hingegen nur ein Unternehmen: die Deutsche Bank (3). Der Beifall für diese Alleinstellung galt in erster Linie dem deutlich gestiegenen Unterhaltungswert der virtuellen Hauptversammlung, ließ allerdings den inhaltlichen Mehrwert, den der direkte Austausch mit den Investoren bietet, fast in den Hintergrund rücken.

Fokus Vorstandsvergütung?

War es doch das Jahr, in dem fast 75% der DAX-Gesellschaften ihr System zur Vorstandsvergütung in der Hauptversammlung zur Abstimmung stellen mussten. Kaum ein Thema bündelt bei Emittenten, Dienstleistern, Investoren und nicht zuletzt Stimmrechtsberatern so viele Kapazitäten. Dennoch oder vielleicht auch gerade deshalb fielen die Abstimmungen über die Vergütungssysteme positiv aus. Innerhalb der DAX30-Gesellschaften stieg die durchschnittliche Zustimmungsquote bei den Abstimmungen über die Vergütungssysteme auf fast 91% und liegt damit wieder in für die Unternehmen gewohnt komfortablen Höhen, hatte doch das harte Durchgreifen der institutionellen Investoren und Stimmrechtsberater noch vor wenigen Jahren für überraschend niedrige Quoten gesorgt. In der Folge legten die Emittenten auf die Vorbereitung einer Abstimmung über das Vorstandsvergütungssystem besonderen Fokus. Die in den Richtlinien der Investoren und Stimmrechtsberater festgeschriebenen Anforderungen für die Vorstandsvergütungssysteme wurden durch Beratungs- und Proxy-Dienstleister weit im Vorfeld der Abstimmung analysiert. Ausgewählten institutionellen Investoren und Stimmrechtsberatern wurden die hochkomplexen Vergütungssysteme im direkten Gespräch vorgestellt, Schwerpunkte erörtert und Feedback eingeholt. Die Unternehmen bemühten sich, die geforderten Informationen und das für den normalen Aktionär nur schwer nachvollziehbare Zahlenwerk in möglichst verständlicher Form aufzubereiten und öffentlich zur Verfügung zu stellen.

So wurden neben der Bekanntmachung des Vergütungssystems im Rahmen der Hauptversammlungseinladung vielfach grafisch ansprechend aufbereitete Factbooks (4) auf der Homepage des Emittenten veröffentlicht, die das Verständnis für das jeweilige Vergütungssystem dem Investor, aber auch den Stimmrechtsberatern erleichtern sollten. Hier ist die Rechnung der Emittenten aufgegangen. Nur vereinzelt wurden in diesem Jahr Vergütungssysteme von gleich mehreren institutionellen Investoren und Stimmrechtsberatern abgelehnt. Die überwiegende Mehrheit der Systeme wurde gar nicht oder nur von einzelnen Investoren kritisiert. So hat der inländische Stimmrechtsberater IVOX lediglich viermal gegen den Tagesordnungspunkt zum „Say on Pay“ bei DAX30-Gesellschaften empfohlen. Die Gründe reichen dabei von fehlenden Share Ownership Guidelines über mangelnde Bindung an Leistungskriterien, die Möglichkeit außerordentlicher Zahlungen bis hin zu einer zu geringen Einbindung von ESG-Kriterien.

Kritik aus dem Inland

Bei den diesjährigen Abstimmungen über die Entlastung des Aufsichtsrats sah dies hingegen anders aus: Weniger als ein Viertel der DAX30-Gesellschaften blieb von einer Kritik oder gar ablehnenden Stimmrechtsempfehlung seitens IVOX verschont. Auch die großen inländischen institutionellen Investoren sind vielfach nicht zufrieden mit den Aufsichtsratsgremien und sparten in den Abstimmungen nicht mit Nein-Stimmen. Während bei den Investoren die mangelnde Unabhängigkeit des gesamten Aufsichtsrats und/oder die einzelner Aufsichtsratsausschüsse der am häufigsten genannte Grund für Kritik war, legte IVOX den Schwerpunkt an anderer Stelle. In den meisten Fällen wurde die Kritik am Aufsichtsrat mit dem Fehlen eines Selbstbehalts für die Aufsichtsräte bei der D&O-Versicherung begründet. Diese eher formal wirkende Argumentation hat den Hintergrund, dass der Deutsche Corporate Governance Kodex in seiner Fassung vom Dezember 2019 (5) nicht mehr einen solchen Selbstbehalt fordert. Die den IVOX-Empfehlungen zugrunde liegenden Richtlinien des BVI hingegen sehen immer noch einen angemessenen Selbstbehalt bei der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung der Aufsichtsräte vor.

Da sich mit dem Wegfall der Anforderung im Kodex auch die Mehrheit der DAX-Unternehmen vom Selbstbehalt für ihre Aufsichtsräte distanzierte, kam es in überraschend vielen Fällen zu einem Regelverstoß gegen die Richtlinien des BVI (6). Diese zwar quantitativ, wohl aber kaum qualitativ dominierende Begründung von IVOX bei den Abstimmempfehlungen sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die BVI-Richtlinien ebenfalls die mehrheitliche Unabhängigkeit des Aufsichtsrats und auch die seiner Ausschüsse fordern.

Fazit

Neben der Umsetzung freiwilliger Elemente zur Steigerung der Aktionärsrechte in der virtuellen Hauptversammlung war die Vorstandsvergütung in der Vorbereitung der Abstimmung sicherlich ein Schwerpunkt der Hauptversammlungssaison 2021. In der Abstimmung selbst jedoch überwogen die Gegenstimmen bei der Entlastung des Aufsichtsrats und stellten damit die Unabhängigkeit des Aufsichtsgremiums und die seiner Ausschüsse in den Fokus – ein Thema, das auch im kommenden Jahr Investoren, Stimmrechtsberater und Emittenten beschäftigen wird.

(1)Ergaenzung-TO-HV2021.pdf (siemens.com)
(2)dl-tagesordnungsergaenzung (1).pdf (rootdom.net)
(3)HV_2021_Tagesordnung.pdf (db.com)
(4)Zum Beispiel: de-fact-book-vorstand-verguetung-hv-2021.pdf (allianz.com)
(5)191216_Deutscher_Corporate_Governance_Kodex.pdf (dcgk.de)
(6)ALHV__2021.pdf (bvi.de)

Autor/Autorin

Dr. Anne Katrin Burkert