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Laut der UN-Initiative Principles for Responsible Investment (PRI) wurden im Jahr 2022 ganze 576 Resolutionen mit ESG-Bezug eingereicht, ein Anstieg von mehr als 15% im Vergleich zum Vorjahr. Doch die ESG-Resolutionen verteilen sich global betrachtet ungleichmäßig, was an den länderspezifischen rechtlichen Rahmenbedingungen liegt. Warum sich deutsche Unternehmen mit dem Thema beschäftigen sollten.

Im internationalen Vergleich sind die Hürden zur Einreichung beschlussfähiger Vorlagen zu wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen – im englischen Sprach­gebrauch auch als „ESG Resolutions“ ­geläufig – in Deutschland hoch. Um ­beschlussfähige Gegenstände auf die ­Tagesordnung zu setzen, ist gemäß § 122 Abs. 2. 2 AktG ein Mindestanteil von 5% am Grundkapital bzw. ein anteiliger Betrag von 500.000 EUR erforderlich. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass für Unternehmen mit Sitz in Deutschland keine ESG-Resolutionen in der PRI-Datenbank zu finden sind.

Anders sieht die Situation beispielsweise in den USA aus: Für die Hauptversammlungssaison 2023 sind nach den Daten von PRI bereits drei Resolutionen für bevorstehende Hauptversammlung eingereicht worden. Urheber der Resolutionen ist Follow This, ein Zusammenschluss „grüner“ Aktionäre mit Fokus auf Mineralölkonzernen. Im Visier der Follow-This-Resolutionen sind dementsprechend in diesem Jahr bislang Exxon­Mobil, Chevron und ConocoPhillips. Sie sollen ihre Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen an den Pariser Klimazielen ausrichten.

Auch gescheiterte Anträge können viel bewegen

Doch trotz der schwierigeren Ausgangs­situation sind auch in Deutschland in den vergangenen Jahren einige prominente Beispiele zu finden, in denen sogenannte aktivistische Investoren Großkonzerne zu mehr Nachhaltigkeit verpflichten ­wollen, indem sie entsprechende Tagespunkte auf deren Hauptversammlung ­gebracht haben. Auf der letztjährigen Hauptversammlung von RWE konnte der Investor Encraft eine Abstimmung über die Abspaltung der Braunkohle­sparte des Energieunternehmens erzwingen. Der entsprechende Antrag wurde letztlich von der Hauptversammlung ­abgelehnt, doch das Thema erreichte medial große Aufmerksamkeit – sämtliche Leitmedien ­berichteten. Und RWE, ­womöglich auch bedingt durch das Vor­gehen von Encraft, kündigte zum Ende des Jahres tatsächlich an, den geplanten Braunkohleausstieg um acht Jahre auf 2030 vorzuziehen.

Das Beispiel ist symptomatisch für viele andere Aktionen von Investoren wie ­Encraft. Oftmals wird das auf die HV-­Tagesordnung gebrachte Anliegen zwar abgelehnt; dennoch steigt der Druck auf Unternehmen, auf die aktivistischen Inves­toren und ihre Forderungen zu reagieren, in jedem Fall.

ESG-Resolutionen rufen Stimmrechtsberater auf den Plan

Zudem müssen sich Unternehmen bewusst sein, dass eingebrachte ESG-Resolutionen Themen in den Vordergrund rücken, auf die auch eine für Hauptversammlungen relevante Gruppe aufmerksam wird: die Stimmrechtsberater. Sie beraten Assetmanager, die das Vermögen von ­Asset Owners verwalten, und geben ihnen ­Abstimmungsempfehlungen. Dabei orien­tieren sich die Stimmrechtsberater an vordefinierten Kriterien der Assetmanager. Diese Kriterien schließen ebenfalls zunehmend ESG-Aspekte mit ein.

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Auf Transparenz kommt es an

Elementar für Emittenten ist daher, ihre Nachhaltigkeitsleistung transparent offen­zulegen. Die oben genannten Dokumente müssen zunächst nachprüfbar den ­Status quo abbilden – wie hoch ist der CO2-Fußabdruck, was unternimmt das Unternehmen gegen Kinderarbeit, gibt es innerhalb des Unternehmens eine Gender-Pay-Gap – sowie die Nachhaltigkeitsstrategie beschreiben, mit der das Unternehmen seine Nachhaltigkeitsleistung verbessern will.

Mit dem Global ESG Monitor, den die ­cometis AG zusammen mit der KOHORTEN Sozial- und Wirtschaftsforschung GmbH & Co. KG entwickelt hat, lässt sich die Transparenz der Nachhaltigkeits­bericht­erstattung von Unternehmen messbar ­machen. Für den Global ESG Monitor wurde­ mithilfe eines eigens entwickelten Analysetools, des GEM ASSAY™, anhand von 184 Kriterien die ESG-Berichterstattung von 350 Unternehmen ausgewertet. Mit dieser Methodologie können Unternehmen ihren Transparenz-Score ermitteln lassen und auf Basis der Daten des Global ESG Monitors ihr Ergebnis mit ­Unternehmen aus ihrer Branche bzw. Benchmarks vergleichen.

Aus dem Vergleich gehen die Lücken hervor, die die Unternehmen schließen ­müssen, um ihre Berichterstattung zu verbessern. Dadurch können sie zudem bessere Nachhaltigkeitsratings erzielen bzw. aktiv auf Ratingagenturen zugehen und gleichzeitig fehlerhafte Ratings korrigieren. Insbesondere die Verbesserung der Ratings ist ein elementarer Bestandteil der Nachhaltigkeitsstrategie, da diese für Investoren, Assetmanager bzw. Stimm­rechtsberater oftmals die erste und einzige­ Quelle sind, um sich über die Nachhaltigkeitsperformance von Emittenten zu informieren.

Nachhaltigkeit meint nicht nur Umweltthemen

Während in der öffentlichen bzw. medialen Wahrnehmung Umweltthemen dominieren, nimmt auch die Bedeutung von sozialen und Governance-Themen, zu ­denen Investoren Anträge auf Hauptversammlungen einreichen, immer mehr zu. Auch hier lassen sich länderspezifisch große Unterschiede beobachten. So ist Diversität in den USA schon seit deutlich längerer Zeit auf der Agenda als in Deutschland, wobei sie auch hierzulande immer mehr an Bedeutung gewinnt. Laut einer Studie der Initiative „Investors for Diversity“ stellen fast drei Viertel der 30 einflussreichsten Investoren in Deutschland Anforderungen an die Diversität der Spitzengremien deutscher Unternehmen.

Neue Gesetze stärken Governance-Befugnisse der Hauptversammlung

Und auch rechtlich nehmen die Kompetenzen der Aktionärstreffen zu: Seit Inkraft­treten des Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) im Jahr 2021 ist es verpflichtend, dass auf Hauptversammlungen über die Vor­stands­vergütung und das ­zugrunde liegende System („Say on Pay“) abgestimmt wird. Da die variablen Vergütungskomponenten auch immer häufiger die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen umfassen, gewinnen auch in diesem Sinne ESG-­Aspekte an Bedeutung für die Hauptversammlungen.

Fazit

Nachhaltigkeit ist längst kein Marketing­thema mehr, sondern betrifft Unternehmen mittlerweile in sämtlichen Bereichen, von ihrer Berichterstattung über die ­Geschäfts- und Finanzierungsstrategie bis zur jährlichen Hauptversammlung. Umso wichtiger ist es, dass Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsleistungen trans­parent kommunizieren, um sich den ­Zugang zum Kapitalmarkt zu sichern, mit den stetig wachsenden rechtlichen ­Anforderungen compliant zu bleiben – und für mögliche ESG-Resolutionen und kritische Fragen im Rahmen der Hauptversammlung gewappnet zu sein.

Autor/Autorin

Michael Diegelmann

Michael Diegelmann ist Gründer der cometis AG