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Das Thema Nachhaltigkeit ist aus der gesellschaftspolitischen Diskussion nicht mehr wegzudenken und hat in den letzten Jahren auch vermehrt Einzug in die physische wie virtuelle Hauptversammlung gehalten. Kaum noch eine Aktiengesellschaft kann oder will es sich leisten, nicht proaktiv über Umweltaspekte, soziale Belange und gute Unternehmensführung zu berichten, wobei in den letzten Monaten, nicht zuletzt getrieben von dem sogenannten Klimaschutzbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021, insbesondere Klimaaspekte in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt sind. Mit der COVID-19-Pandemie haben jedoch auch soziale Themen, insbesondere Fragen rund um Gleichheit, Gesundheit und Wohlbefinden, innerhalb der allgemeinen Nachhaltigkeitsdebatte ein höheres Gewicht bekommen.

Bedeutung der ESG-Aspekte

Nachhaltigkeitsaspekte sind schon seit vielen Jahren Gegenstand der Diskussion in Hauptversammlungen deutscher Gesellschaften. Dabei lag der Schwerpunkt zunächst auf Corporate-Governance-Themen wie der Besetzung von Vorstand und Aufsichtsrat (Stichwort „Frauenquote“) oder der Angemessenheit der Vorstandsvergütung; Aspekte, die sich erst in Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex niederschlugen und später Gegenstand eigener gesetzlicher Regelungen wurden (z.B. Erstes und Zweites Führungspositionen-Gesetz oder ARUG II). Vermehrt spielten jedoch auch Sozial- und Umweltaspekte eine Rolle. Wichtige Faktoren waren hierbei jeweils zunächst die Unternehmenstätigkeit und das Umfeld. So wurden Umweltthemen insbesondere bei Gesellschaften thematisiert, die im Energie- oder Verkehrssektor tätig waren, während soziale Aspekte eher bei dienstleistungsorientierten Gesellschaften von Bedeutung waren.

In der jüngsten Vergangenheit sind Themen wie Diskriminierung, Arbeits- und Sozialstandards, die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten durch Unternehmen im Rahmen globaler Lieferketten, der Umgang mit der eigenen Belegschaft und insbesondere Klimaschutz jedoch zunehmend stärker in den allgemeinen Blickpunkt gerückt und haben damit für alle Unternehmen, unabhängig von ihrem Umfeld, im Hinblick auf ihre Geschäftspraktiken erheblich an Bedeutung gewonnen. Im Zusammenhang mit der Hauptversammlung kommt dies auf verschiedenste Weise zum Ausdruck:

Auswirkungen auf die Hauptversammlung

Organisation der Hauptversammlung

Da wäre zum einen die Organisation und Abhaltung der Hauptversammlung selbst. Bereits in der Vergangenheit sind viele Unternehmen dazu übergegangen, Geschäftsberichte vor der Hauptversammlung nicht mehr zigfach auszudrucken und an die Aktionäre zu verschicken, sondern diese zum Download bereitzustellen. Auch während der physischen Hauptversammlung wurden digitale Einsichtsmöglichkeiten, z.B. an Terminals, angeboten, um die Papierflut zu reduzieren. Das ARUG II, aufgrund dessen ein Papierversand von Hauptversammlungseinladungen bei einem Großteil der Aktiengesellschaften nicht mehr erforderlich ist, sowie die Abhaltung zahlreicher Hauptversammlungen in virtueller Form haben diesen Effekt verstärkt. Auch bei der sich abzeichnenden Wiederkehr zur Präsenz-Hauptversammlung ist in der Praxis zu erwarten, dass Unternehmen vor dem Hintergrund der Klimadebatte nicht zuletzt aus Reputationsgründen versuchen werden, ihre Hauptversammlung im Rahmen des rechtlich Zulässigen möglichst umweltverträglich zu gestalten. Man darf gespannt sein, wann die erste klimaneutrale Hauptversammlung angekündigt wird.

Berichterstattung und Fragen

Auch im Bereich der Berichterstattung in der Hauptversammlung und – damit unmittelbar verbunden – bei den in der Hauptversammlung gestellten Fragen zeigt sich die zunehmende Bedeutung von ESG-Themen.

Finanz- und Versicherungsunternehmen berichten schon seit geraumer Zeit darüber, inwieweit ESG-Kriterien in die eigene Anlagestrategie eingebettet werden. Dies verstärkte den Druck auf Unternehmen, nachhaltig zu arbeiten und dies auch transparent zu machen. Zunehmend hat sich auch der Blick von Investoren und Aktionären auf Nachhaltigkeitsthemen gewandelt. Bisher wurde Nachhaltigkeit vor allem unter dem Gesichtspunkt des Risikomanagements betrachtet, um potenzielle Reputations- und finanzielle Risiken einschätzen und diesen vorbeugen zu können. Inzwischen gelten Nachhaltigkeitsziele jedoch auch als wichtige Wachstums- und Entwicklungstreiber. Dabei erreicht insbesondere der Klimawandel bei der Bewertung von Unternehmen eine immer höhere Relevanz, was zu der Erwartung von Investoren führt, dass insbesondere von Klimawandel oder Klimaschutzmaßnahmen signifikant betroffene Unternehmen die daraus folgenden Chancen und Risiken offenlegen und in ihrer Unternehmensstrategie berücksichtigen. Es ist jedoch absehbar, dass sich diese Erwartungen zukünftig auch auf andere Gesellschaften ausweiten werden. Zunehmend gehen Unternehmen daher dazu über, Klimaschutzpotenziale auszuloten und entsprechende Maßnahmen in Angriff zu nehmen; einige Gesellschaften haben bereits Zeitpunkte verkündet, bis zu denen Klimaneutralität im eigenen Unternehmen erreicht werden soll. Teilweise enthalten die Leitlinien institutioneller Investoren bereits konkrete Handlungsaufforderungen an eine Klimaberichterstattung von Unternehmen, beispielsweise sich bei der nicht-finanziellen Berichterstattung auch an den EU-Leitlinien für Berichte über klimarelevante Informationen zu orientieren.

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Die zunehmende Fokussierung von Investoren auf Nachhaltigkeit bekommen deutsche Unternehmen auch in der Hauptversammlung zu spüren. Es ist zu erwarten, dass sich der Stellenwert von Nachhaltigkeitsthemen, insbesondere von Klimarisiken und sozialen Themen, bei den Aktionären weiter erhöht und sich ein nicht unerheblicher Teil der Redebeiträge und Fragen in künftigen Hauptversammlungen auf diesen Komplex beziehen wird. Unternehmen müssen sich daher zukünftig vermehrt auf Fragen in der Hauptversammlung nach ihrer Klimabilanz und insbesondere nach den CO2-Emissionen einrichten. Im Falle von nicht ausreichenden Informationen oder nicht zufriedenstellenden Antworten droht die Nichtentlastung. Damit wird voraussichtlich auch der Druck steigen, entsprechende Nachhaltigkeitsaspekte bereits in die Präsentation des Vorstands in der Hauptversammlung zu integrieren.

Abstimmungsempfehlungen und -richtlinien

Bei institutionellen Investoren und Stimmrechtsberatern fließen ESG-Faktoren in das Abstimmungsverhalten bzw. ihre Abstimmungsempfehlungen ein und haben damit unmittelbare Relevanz für die Beschlussfassungen in der Hauptversammlung.

Beispielsweise soll für eine Ablehnung der Entlastung von Vorstand und/oder Aufsichtsrat votiert werden, wenn

  • Versäumnisse in Bezug auf ESG-Fragen, insbesondere deutliche und nachhaltige Verstöße gegen allgemein anerkannte Standards und Normen in den Bereichen Umwelt, Menschenrechte und Arbeitsrechte vorliegen;
  • kein explizit für ESG-Fragen zuständiges Vorstandsmitglied benannt wird;
  • Mängel bei der Offenlegung von Klimarisiken auftreten; oder
  • in dem Vergütungssystem des Vorstands bei der Zielerreichung keine ESG-Faktoren berücksichtigt werden.

Unter Umständen kann es in diesen Fällen auch zu einer Ablehnung von Aufsichtsratsmitgliedern bei Aufsichtsratswahlen kommen.

Autor/Autorin

Gudrun Moll
Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht und Steuerberaterin, Legal Director at Pinsent Masons Rechtsanwälte Steuerberater Solicitors Partnerschaft mbB