Das Berlin Center of Corporate Governance (BCCG) hat seinen Corporate Governance Report 2014 veröffentlicht (Der Betrieb 2014, Heft 17, Seite 905 bis 914). Auch in diesem Jahr wurde die generelle Akzeptanz der Empfehlungen und Anregungen des Deutschen Corporate Governance Kodex untersucht; außerdem hat das BCCG unter der Leitung von Prof. Dr. Axel v. Werder und Jenny Bartz die tatsächliche Kodexanwendung zur Vorstandsvergütung und Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern näher betrachtet. Im Gespräch mit dem GoingPublic Magazin erläutert Dr. Julia Sitter die Untersuchungsergebnisse des BCCG.

GoingPublic: Frau Dr. Sitter, was sind die wesentlichen Erkenntnisse des Corporate Governance Reports 2014?

Sitter: Die empirischen Befunde des BCCG zeigen ein insgesamt hohes und grundsätzlich auch anhaltendes Maß an Akzeptanz der Kodexbestimmungen. Die Befolgungsquote liegt derzeit bei knapp 80% und ist damit gegenüber dem Vorjahreswert von rund 82% nur leicht zurückgegangen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Zahl der Kodex-Empfehlungen, also der Regelungen, zu denen Vorstand und Aufsichtsrat die Entsprechenserklärung nach § 161 des Aktiengesetzes abgeben müssen, um 15 neue Empfehlungen auf mittlerweile 105 gestiegen ist. Außerdem zeigt der Report anhand der Regelungen zur Vorstandsvergütung und zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern, wie breit das Spektrum der Umsetzung der Kodex-Empfehlungen ist.

GoingPublic: Zum Beispiel?

Sitter: Nehmen wir die im Juni 2013 neu eingeführte Empfehlung zum vertikalen Vergütungsvergleich. Danach soll der Aufsichtsrat bei der Beurteilung der Angemessenheit der Vorstandsvergütung das Verhältnis zur Vergütung des oberen Führungskreises und der Belegschaft insgesamt berücksichtigen. Dabei ist es die Aufgabe des Aufsichtsrats, den oberen Führungskreis zu definieren. 58,8% der Unternehmen sehen darin nur die erste Hierarchieebene unterhalb des Vorstands, während weitere 23,5% auch die zweite Ebene einbeziehen.

GoingPublic: Und wie fällt der vertikale Vergütungsvergleich aus?

Sitter: Die Spannweite ist breit. Die Vorstandsvergütung beträgt nach den Untersuchungsergebnissen des BCCG das 1,3- bis 9-Fache des oberen Führungskreises und das 2,2- bis 50-Fache im Vergleich zur Belegschaft insgesamt. Die konkreten Zahlen in ihrer Gesellschaft bleiben den Aktionären allerdings weitestgehend verborgen. Denn eine große Mehrheit der befragten Unternehmen lehnt eine Veröffentlichung der betreffenden Kennziffern sowohl heute als auch zukünftig ab.

GoingPublic: Bei der Ausrichtung der Vorstandsvergütung auf Nachhaltigkeit stellt ein Großteil der Unternehmen nicht allein auf Finanzkennzahlen ab.

Sitter: Bei der Festlegung variabler Vergütungskomponenten gewinnen nicht-finanzielle Parameter an Bedeutung. Dazu zählen das individuelle Führungsverhalten, die Mitarbeiter- und die Kundenzufriedenheit.

Dr. Julia Sitter, Local Partner bei White & Case LLP
Dr. Julia Sitter, Local Partner bei White & Case LLP

GoingPublic: Zu welchen Erkenntnissen kommt der Corporate Governance Report im Hinblick auf die Unabhängigkeit
der Aufsichtsratsmitglieder?

Sitter: 97,3% der Unternehmen gaben an, dass ihrem Aufsichtsrat nach dessen eigener Einschätzung eine angemessene Anzahl unabhängiger Mitglieder angehöre; bei Gesellschaften in den Indizes DAX, TecDAX, MDAX und SDAX lag die Quote sogar bei 100%. Dabei zeichnet sich eine deutliche Haltung in der Praxis ab, Arbeitnehmervertreter generell als unabhängig anzusehen. Rund 71% der antwortenden Unternehmen berücksichtigen die Unabhängigkeit in ihren Zielen für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats. Dabei zeigt sich eine leichte Tendenz zu anspruchsvolleren Quoten. 45,7% der Gesellschaften haben sich eine Quote
von mehr als der Hälfte unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder zum Ziel gesetzt; im Vorjahr waren es gerade einmal rund 37%. Im Hinblick auf die Transparenz entwickelt sich die namentliche Nennung des unabhängigen Finanzexperten inzwischen zur Best Practice.
GoingPublic: Bei welchen Empfehlungen fällt den Unternehmen die Befolgung eher schwer?
Sitter: Auffällig schwach mit gerade einmal 54,1% ist die Befolgungsquote bei der Empfehlung, eine eventuelle erfolgsorientierte Aufsichtsratsvergütung auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten. Dabei ist zwar zu berücksichtigen, dass nicht sämtliche Unternehmen ihren Aufsichtsräten eine erfolgsorientierte Vergütung gewähren. Doch selbst der entsprechend adjustierte Wert ist mit 66,7% eher niedrig. Im General Standard befolgt sogar etwas mehr als ein Viertel der antwortenden Unternehmen diese Kodexbestimmung.

GoingPublic: Gilt weiterhin der Grundsatz „Je größer das Unternehmen, desto größer die Befolgungsquote“?
Sitter: Dies gilt grundsätzlich sowohl für die Befolgung der Empfehlungen als auch der Anregungen. Während die Befolgungsquote im DAX bei rund 92% liegt, beträgt sie im übrigen Prime Standard (ohne DAX, TecDAX, MDAX, SDAX) gerade mal knapp 70%. Bei den Anregungen zeigt sich eine noch größere Diskrepanz: Im DAX liegt die Befolgungsquote bei 81,3% gegenüber 47,2% im übrigen Prime Standard.

GoingPublic: Anders als in den Vorjahren beschränkte sich die Studie diesmal nicht auf die an der Frankfurter Wertpapierbörse notierten Unternehmen.

Sitter: Neben den im Prime und im General Standard in Frankfurt gelisteten Gesellschaften wurden auch die Unternehmen in die Untersuchung einbezogen, die ausschließlich an einem deutschen Börsenplatz außerhalb Frankfurts notiert sind.

GoingPublic: Das führte zu einem aus Sicht des BCCG bemerkenswerten Ergebnis.

Sitter: Es zeigt sich eine deutlich geringere Akzeptanz der Kodex-Empfehlungen bei den Unternehmen außerhalb Frankfurts als bei der Frankfurt-Gruppe. Die allgemeine Befolgungsquote liegt außerhalb Frankfurts bei 61,6% gegenüber knapp 80% der Frankfurt-Gruppe. Leider hat das BCCG noch nicht untersuchen können, inwieweit die beobachteten auffälligen Akzeptanzunterschiede auf governancespezifischen Besonderheiten der Unternehmen außerhalb Frankfurts beruhen. Hier muss eine Anschlussuntersuchung die notwendigen Erkenntnisse bringen.

GoingPublic: Frau Dr. Sitter, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Katharina Beyersdorfer, DIRK e.V., im Auftrag des GoingPublic Magazins.

 

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