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Dr. Franz-Josef Leven, stellvertretender Geschäftsführer DAI:

Mitte Dezember 2020 änderte der Gesetzgeber völlig überraschend – und höchst unüblich – die erst wenige Wochen zuvor verlängerten Regelungen zur virtuellen Hauptversammlung. Diese Vorgehensweise sorgte bei Unternehmen für große Verunsicherung. Vor allem Unternehmen, die ihre Hauptversammlungen Anfang des Jahres abhalten, standen plötzlich bei der – komplexen – Planung ihrer Hauptversammlung neuen Herausforderungen gegenüber.

Um sich Klarheit über die rechtlichen Folgen der Gesetzesänderung zu verschaffen, mussten einige Unternehmen den Zeitpunkt der Einberufung ihrer Hauptversammlung (HV) verschieben. Geplante Hauptversammlungsaktivitäten wie das Zulassen von Nachfragen während des HV-Tages wurden überdacht und Hauptversammlungseinladungen entsprechend umgeschrieben. Die Übergangsfrist von zwei Monaten bis zum Inkrafttreten der neuen Regelungen, die der Gesetzgeber dann noch in das Gesetz aufnahm, führte schließlich dazu, dass die Unternehmen ihre Hauptversammlung wenigstens nicht kurzfristig absagen mussten.

Inhaltlich wurden drei gravierende Änderungen vorgenommen. So sehen die Regelungen zur virtuellen Hauptversammlung in der geänderten Fassung statt einer Fragemöglichkeit des Aktionärs ein Fragerecht vor. Das pflichtgemäße, freie Ermessen des Vorstands, ob er Fragen der Aktionäre beantwortet, wurde gestrichen. Die Umwandlung der Fragemöglichkeit in ein Fragerecht führt zu einer ganz erheblichen Verunsicherung bei den Unternehmen. Ihre Sorge, dass die Hauptversammlung aufgrund des Missbrauchs des Fragerechts durch einen oder mehrere Aktionäre nicht mehr rechtssicher durchgeführt werden kann, hat neue Nahrung erhalten.

Während bei einer Präsenzhauptversammlung die Rednerliste geschlossen werden kann, ist es bei der virtuellen Hauptversammlung möglich, Tausende Fragen binnen Sekunden beim Unternehmen einzureichen. Ist der Vorstand gezwungen, alle Fragen zu beantworten, ist dies rein zeitlich nicht zu bewältigen. Deshalb ist es erforderlich, ein angemessenes Ermessen des Vorstands nicht nur beim Wie, sondern auch beim Ob der Beantwortung von Fragen gesetzlich zu verankern.

Die Ermessensvorschriften für die Präsenzhauptversammlung wie beispielsweise § 131 Abs. 2 AktG helfen nicht weiter, da nicht eindeutig geklärt ist, ob diese auf die virtuelle Hauptversammlung anwendbar sind. Die Rechtsunsicherheit, die mit der Fragebeantwortung jetzt einhergeht, ist hoch. Diese kann dazu führen, dass Unternehmen während der Hauptversammlung keine Nachfragen zulassen, da der Umgang mit einer möglichen Frageflut ungeklärt ist. Den Aktionären hat der Gesetzgeber mit der Umwandlung der Fragemöglichkeit in ein Fragerecht damit letztlich einen Bärendienst erwiesen.

Darüber hinaus wurde die Frist zur Vorabeinreichung von Fragen von zwei auf einen Tag vor der Hauptversammlung verkürzt. Unternehmen haben damit weniger Zeit, die Antworten vorzubereiten. Dies ist bedauerlich, hat sich doch gerade in der Hauptversammlungssaison 2020 gezeigt, dass die Antworten durch das Vorabeinreichen der Fragen bis zwei Tage vor der Hauptversammlung an Qualität gewonnen haben. Durch die Änderung des COVID-19-Gesetzes gelten nun vorab eingereichte Anträge der Aktionäre als in der Hauptversammlung gestellt. Auf diese Weise werden nun im Einklang mit dem Gesetz ordnungsgemäße Anträge zu Recht berücksichtigt.

Die Änderungen der Regelungen der virtuellen Hauptversammlungen hatten zum Ziel, die Interaktion zwischen Aktionären und Management zu verbessern. Allerdings droht gerade aus Anlegersicht, dass sie sich kontraproduktiv auswirken. Zielführender wäre es gewesen, den Unternehmen die Chance zu geben, die Erfahrungen zu nutzen, die sie 2020 mit dem neuen virtuellen Hauptversammlungsformat gesammelt haben, um darauf aufbauend im Jahr 2021 Neues beim Thema Aktionärsfragen auszuprobieren.

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