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Um die virtuelle Hauptversammlung der Präsenzversammlung möglichst anzugleichen, soll die direkte Kommunikation mit den Aktionären fest im Gesetz verankert werden. Viele Unternehmen gehen in der laufenden HV-Saison freiwillig in ­Vorleistung. Die gewonnenen Erfahrungen sind auch für den Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens wichtig.

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Das Bundesjustizministerium hat am 10. Februar 2022 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur ­Einführung virtueller Hauptversamm­lungen von Aktiengesellschaften veröffentlicht. In dem neuen § 118a des Aktien­gesetz-Entwurfs (AktG-E) wird definiert, an welche Voraussetzungen die Abhaltung ­einer rein virtuellen Hauptversammlung geknüpft ist. Wie schon nach der COVID-19-
Gesetzgebung muss die gesamte Versammlung in Bild und Ton übertragen, die Stimmrechtsausübung und Bevollmächtigung im Wege elektronischer Kommunikation ermöglicht sowie ein Frage- und Widerspruchsrecht eingeräumt werden.

Darüber hinaus müssen den Aktionären bestimmte weitere Rechte eingeräumt werden:

  • Das Recht, Anträge zu stellen, die nicht Gegenanträge sind, also z.B. Verfahrensanträge.
  • Das Auskunftsrecht nach § 131 AktG. Anders als bisher soll die Beantwortung von gestellten Fragen also nicht mehr im Ermessen des Vorstands stehen, sondern rechtzeitig gestellte Fragen zur Tagesordnung müssen ordnungsgemäß beantwortet werden. Das Fragerecht wird auch dahin gehend erweitert, dass Aktionären in der HV Nachfragen zu ­gestellten Fragen gestattet werden ­müssen.
  • Das Recht, vor der Hauptversammlung Stellungnahmen im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen.
  • Das Recht, in der Hauptversammlung per Videokommunikation zu sprechen (Live-Redebeitrag).

In der Praxis der vergangenen zwei Jahre sind bereits auf freiwilliger Basis von ­einigen Gesellschaften zusätzliche Mit­wirkungsmöglichkeiten insbesondere durch Nachfragen, Vorabstellungnahmen und Live-Redebeiträge angeboten worden. Der Referentenentwurf sieht diese erprobten Elemente nun als verpflichtenden Teil der virtuellen HV vor. Gelten soll dies bereits 2023. Für die Abhaltung von virtuellen HVs benötigt die Gesellschaft zwar eine ­Satzungsregelung. Diese wird in aller Regel erst 2023 von der Hauptversammlung zu beschließen sein. Für HVs, die bis einschließlich 31. August 2023 einberufen werden, sieht das Einführungsgesetz zum AktG jedoch eine Übergangsregelung vor: Hier kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats entscheiden, dass die Versammlung als virtuelle HV abgehalten wird. Umgekehrt wird die Abhaltung einer Präsenzhauptversammlung weiterhin als gesetzlicher Regelfall ohne Weiteres zulässig sein. Der Vorstand wird also je nach Zweck und Rahmenbedingungen im Einzelfall entscheiden müssen, welche Variante für die jeweilige Hauptversammlung gewählt wird.

Abb.1: Modernisierung des Aktienrechts, Quelle: ADEUS Aktienregister-Service-GmbH

Live-Redebeiträge in der laufenden HV-Saison

Bereits in der Saison 2022 werden einige Gesellschaften freiwillig die Möglichkeit von Live-Redebeiträgen anbieten und ­damit die virtuelle HV um einen direkten Dialog mit den Aktionären anreichern. Die Einbindung von Live-Redebeiträgen setzt dabei eine entsprechend sichere technische Infrastruktur, durchdachte Prozesse und die detaillierte Planung und Probe ­aller Abläufe voraus.

In einem ersten Schritt muss der Aktionär seinen Live-Redebeitrag anmelden, am besten über den Onlineservice für Aktionäre. Den Zugang hierfür erhalten Aktionäre entweder bereits mit der Einladung (Namensaktie) oder zusammen mit der über die ­Depotbank bestellten Eintrittskarte (Inhaber­aktie). Ist die Wortmeldung einmal abge­geben, erhält der Aktionär weitere Anweisungen für die Vorbereitung und den HV-Tag. Um die Bild- und Tonübertragung mit dem Aktionär zu testen, kann und sollte zur Vorbereitung einer reibungslosen Livezuschaltung ein vorheriges Onboarding des Aktionärs verpflichtend vorgesehen werden. Hier wird von einem Operator mit dem Aktionär zusammen geprüft, ob die Bild- und Tonübertragung in das Regie­system mit dem vom Aktionär verwendeten Endgerät funktioniert.

Am Tag der Hauptversammlung loggt sich der Aktionär dann in einem vorge­gebenen Zeitkorridor erneut in das Regiesystem ein. Nach Aufruf durch den ­Versammlungsleiter wird er aus dem virtuellen Warteraum auf die virtuelle Bühne ­geschaltet und spricht zu den Aktionären, zu Vorstand und Aufsichtsrat. Wie in der Präsenz-HV muss auch hier der Versammlungsleiter über die notwendigen Steuerungselemente verfügen, um die Dauer von Live-Redebeiträgen angemessen zu beschränken. Die Anzahl der möglichen ­Meldungen wird im Vorfeld festgelegt. Der Gesetzgeber wird noch überlegen müssen, wie bei einer Überschreitung der Maximalzahl priorisiert wird. Die im Referenten­entwurf vorgesehene rein zeitliche Priorisierung, in den veröffentlichten Stellungnahmen zum Teil als „Windhundrennen“ bezeichnet, ist nicht optimal, sollen doch auf der Hauptversammlung in jedem Falle unterschiedliche Investorengruppen zu Wort kommen.

Frage- und Nachfragemöglichkeit sinnvoll verknüpfen

Eine Möglichkeit, während der virtuellen Hauptversammlung Fragen zu stellen, ist im Entwurf bisher nicht vorgesehen. Fragen müssen im Vorfeld übermittelt werden. Ledig­lich Nachfragen zu vorab gestellten und in der HV beantworteten Fragen sollen zugelassen werden. Diese Einschränkung stößt auf Kritik von Investoren und Schutzvereini­gungen und wird im weiteren Gesetz­gebungsverfahren intensiv diskutiert werden.

In der Praxis hat sich die Nachfragemöglichkeit in der virtuellen HV bereits ­bewährt. Sie wurde 2021 von einigen ­Gesellschaften erfolgreich angeboten und wird sich 2022 im Vorgriff auf das Gesetz zur virtuellen HV weiter etablieren. Auch hier ist entscheidend, ein sicheres System im Einsatz zu haben, das einen nahtlosen Übergang von der Beantwortung vorab ­gestellter Fragen hin zur Zuordnung und Beantwortung in der HV gestellter Nach­fragen bietet. Während früher eine größere Zahl von Experten im Backoffice der Hauptversammlung alle Antworten live für ­Vorstand und Aufsichtsrat vorbereitet hat, kommt es bei der virtuellen HV mehr ­darauf an, diese Experten dezentral einzubinden, sowohl bei der Vorabbeantwortung als auch für Rückfragen am HV-Tag. Die Vorbereitung von zentralen Archiven spielt dabei in der Regel keine Rolle mehr.

Praxiserfahrungen wichtig für den Gesetzgebungsprozess

Mit Blick auf die anstehenden Regelungen zur virtuellen Hauptversammlung wird der Gesetzgeber die Hauptversammlungen 2022 mit besonderem Interesse beobachten. Die Praxis hat jedenfalls gut daran ­getan und ist auch weiter gut beraten, die geschilderten zusätzlichen Kommunika­tionsinstrumente bereits freiwillig anzubieten. So wird dem Gesetzgeber vor Augen geführt, dass die virtuelle Hauptversammlung funktioniert, und es werden erfolg­reiche Praxisbeispiele gesetzt. Damit wird eine wichtige tatsächliche Voraussetzung dafür geschaffen, die virtuelle Hauptversammlung neben der Präsenz-HV fest im Aktiengesetz zu verankern und diese ­Möglichkeit keinesfalls mit Auslaufen der COVID-19-Gesetzgebung zu beenden.

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Autor/Autorin

Dr. Konrad von Nussbaum

Dr. Konrad von Nussbaum ist Geschäfts­führer der ADEUS Aktienregister-Service-GmbH, ein Unternehmen der Allianz. Die HV-relevanten Regelungen der 2. EU-Aktionärsrechterichtlinie und ihre Umset­zung in deutsches Recht hat er in verschiedenen Gremien begleitet.