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Die Kürzel ESG und DEI sind inzwischen politische Kampfbegriffe. Der Grundgedanke von ESG ist zweifelsohne sinnvoll: Es gilt, unsere Umwelt vor irreparablen Schäden zu bewahren. Allerdings ist der Zeitgeist im Zeichen der „Wokeness“ manchmal über das Ziel hinausgeschossen. Eine trotzige Gegenbewegung, angeführt vom US-amerikanischen „Trumpismus“, ist die Folge. Während die EU-Regulatoren mit der CSRD zu verstärkten ESG-Aktivitäten drängen, fordert die US-Administration das glatte Gegenteil. International tätige Unternehmen geraten dabei zwischen die Fronten. Von Torsten Fues
Einerseits ist in Deutschland beispielsweise eine 30%ige Frauenquote in den Aufsichtsräten gefordert. Andererseits drohen die USA bei Bekenntnissen zur Diversität mit empfindlichen Konsequenzen. Ein Brief der amerikanischen Botschaft an deutsche Konzerne drängt diese, die neuen restriktiven US-Regeln rund um Diversität, Gleichberechtigung, Inklusion (DEI) zu beachten. Das führt international aktive Unternehmen in eine Zwickmühle. Hierzulande verbietet der Gesetzgeber nicht nur die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, sondern auch wegen der ethnischen Herkunft, der Religion oder der sexuellen Orientierung. Dagegen sind Programme zur Förderung von Vielfalt und Inklusion in den USA inzwischen de facto verboten. Diesen Spagat zwischen beiden Seiten des Atlantiks können Unternehmen kaum meistern.
Doch es gibt auch Lichtblicke. So zeigen die EU-Regulatoren erste Ansätze eines gesunden Pragmatismus. Im Lichte der schwindenden Wettbewerbsfähigkeit der EU wird die Sinnhaftigkeit der ausufernden ESG-Berichterstattung inzwischen kritisch hinterfragt. Als Konsequenz sollen beispielsweise künftig nur noch Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern berichtspflichtig sein – statt der bisher bei 250 Mitarbeitern angesetzten Schwelle. Die finanziellen Kriterien bleiben (zunächst) unverändert. Demnach soll weiterhin ein Jahresumsatz von 50 Mio. EUR und eine Bilanzsumme von 25 Mio. EUR maßgeblich sein. Zudem hat die neue deutsche Regierungskoalition das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sinnvollerweise auf das Abstellgleis gestellt.
Ungeachtet dessen sind hierzulande viele börsennotierte AGs verpflichtet, über ihre ESG-Aktivitäten zu berichten. Die Repor-tings sind ähnlich aufwendig wie die traditionellen Geschäftsberichte. Dabei verfehlen die ESG-Berichte den Informationsbedarf der meisten Aktionäre. Fondsmanager wie auch Privatanleger werfen nur selten einen Blick in die Konvolute. Den hohen Kosten steht allenfalls ein homöopathischer Nutzen für Investoren gegenüber.
CSRD: hoher Erfüllungsaufwand
Immerhin bringt die 2023 in Kraft getretene Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) mehr Vergleichbarkeit durch eine Standardisierung der ESG-Berichte. Gleichwohl ist die CSRD eine enorme Herausforderung – und das trotz sich inzwischen abzeichnender Vereinfachungen.
Dieser Artikel ist im neuen HV Magazin 2/2025 „ESG – Der neue Umgang mit der Nachaltigkeit“ erschienen.
Die Regulatoren fordern nicht nur die Offenlegung von Informationen: Die Geschäftsleitungen sollen den Einfluss auf den Klimawandel, die Wirkung auf die Biodiversität sowie den Effekt auf die Menschenrechte darlegen. Ziele müssen transparent gemacht und die Zielerreichung gemessen werden. Die Berichte binden allerdings beträchtliche Kapazitäten. Die Bundesregierung bezifferte bisher den jährlichen Aufwand auf 1,4 Mrd. EUR. Angesichts von Hunderten Datenpunkten dürfte der tatsächliche Aufwand größer sein.
EU-Taxonomie: monströse planwirtschaftliche Verirrungen
Und dann ist da noch die EU-Taxonomie. Die EU-Kommission mit ihren über 30.000 Beschäftigten hat ein 800 Seiten starkes Bürokratiemonster erschaffen, nach der CSRD-pflichtige Unternehmen gleichfalls berichten müssen. Wie sollen Unternehmen derart komplexen Vorgaben folgen? Die Taxonomie definiert, was als nachhaltig betrachtet wird und was nicht. So gelten Kernenergie und Erdgas bislang als nachhaltig. Wichtige Wirtschaftszweige, die durchaus umweltfreundlich sein können, wie die Landwirtschaft, fallen hingegen durchs Raster. Investoren sollen ihr Kapital in solche Projekte lenken, die der EU-Strategie für Nachhaltigkeit entsprechen. Die Taxonomie erinnert an die Planwirtschaften des ehemaligen Ostblocks, die nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch gescheitert sind. Das sollte eine Lehre sein.
„Ziele müssen transparent gemacht und die Zielerreichung gemessen werden.“
Sonderkonjunktur: Berater und Prüfer profitieren
Ungeachtet der Belastungen der gesamten Wirtschaft ist die verschärfte Regulatorik eine Goldgrube für Consultants und Prüfer. Mittelständler können ohne die Unterstützung von ESG-Beratern kaum fristgerecht liefern. Und auch Wirtschaftsprüfer müssen zusätzliche Aufgaben wuppen. Die Rechnungen dürfen dann die (leid)geprüften Unternehmen begleichen. Zudem sprießen ESG-Ratingagenturen wie Pilze aus dem Boden. Europaweit sind rund 60 Akteure zugelassen, weltweit ist deren Zahl dreistellig. Börsennotierte Unternehmen müssen im Ratingdschungel den Überblick behalten und sollten dabei die Ratings der großen Indexanbieter – also MSCI und S&P – priorisieren.
HV-Saison 2025: ESG könnte in den Brennpunkt geraten
In den USA wird ESG heiß diskutiert. Manche US-Anleger wollen ausschließlich in ESG-sensible Unternehmen investieren. Dagegen verbieten bereits einige republikanisch regierte Bundesstaaten öffentlichen Pensionsfonds, ESG-Kriterien zu berücksichtigen. BlackRock, Vanguard und andere Fondsgesellschaften wurden wegen „einer zerstörerischen politisierten Umweltagenda“ verklagt. Die Diskussion um ESG dürfte auch in Europa an Schärfe zunehmen. Damit ist künftig in HVs von zwei Seiten ein höheres Frageaufkommen zu erwarten: von Umweltverbänden mit der Forderung nach „noch mehr ESG“ und auch vonseiten der Skeptiker dessen strikter Ablehnung.
ESG bleibt ein „moving target“
Umweltschutz, die Wahrung der Menschenrechte und eine professionelle Governance sind zweifelsohne sinnvoll. Die Frage ist nur: Auf welchen Wegen können diese Ziele erreicht werden? Die EU nimmt die Wirtschaft an die Kandare und will globale Standards setzen, gemäß der Devise: „Am europäischen Wesen soll die Welt genesen.“ Vor 30 Jahren hätte eine solche Strategie erfolgreich sein können. Angesichts der ökonomischen Bedeutungsverlusts des alten Kontinents ist dies inzwischen aussichtslos. Asiaten belächeln diese Strategie – und die trumpistischen USA agieren sogar in die entgegengesetzte Richtung.
Fazit
Angesichts der schwindenden Wettbewerbsfähigkeit kommen die Berichtspflichten in Europa wieder auf den Prüfstand. Auch Nachhaltigkeit wird im Lichte des russischen Angriffskriegs neu definiert. Schon bald könnten Investitionen in Rüstung als nachhaltig gelten. Das politische Gezerre zur ESG-Regulatorik dürfte also weiter eskalieren. Unternehmen sind gut beraten, die Diskussionen im Auge zu behalten. Gesetzlich vorgegebene Berichtspflichten sind zu erfüllen. Darüber hinaus muss jedes Unternehmen „seinen Weg“ finden und dabei die spezifischen betriebswirtschaftlichen Erfordernisse mit einem eigenständigen moralischen Kompass in Einklang bringen.
Dieser Artikel ist im neuen HV Magazin 2/2025 „ESG – Der neue Umgang mit der Nachaltigkeit“ erschienen.
Autor/Autorin
Torsten Fues
Torsten Fues ist Managing Director und Geschäftsführer der Link Market Services GmbH, und Vorstand der Better Orange IR HV AG