Wer sein Geld in Aktien anlegt, will es irgendwann zumindest mal wiederhaben. André Kostolany („Kaufen und Schlaftabletten nehmen“) und Warren Buffett („Kaufen und liegenlassen!“) in allen Ehren, doch will man schließlich die Früchte seiner Risikoübernahme als Miteigentümer einer Unternehmung auch ernten und genießen. Wie ein Sportler ist auch ein Aktienbesitzer daran gewöhnt, daß er für eine ganze Weile Anstrengung in sein Investment stecken muß: zuerst Arbeit für die Auswahl, dann Liquidität, dann wieder Arbeit für die Betreuung der Position und die Wahl des Ausstiegszeitpunkts. Währenddessen will die Finanzierung stets sichergestellt sein. Wer es ein paar mal getan hat, weiß etwa wie es geht und hat gelernt, daß man seine Kräfte einteilen muß, um mit einer halbwegs guten Zeit (=Performance) heil im Ziel anzukommen.
Den vielen Anlegern, die üblicherweise Kurz- oder Mittelstrecke beherrschen und mit dementsprechenden Tempo gestartet sind, kann schnell die Luft ausgehen, wenn sich die Strecke als länger entpuppt, als sie eigentlich zu laufen vorhatten. Und die aktuelle Baisse hat nun wahrlich eine Marathon-Länge. Mindestens. Während die Damen und Herren in München den Vorteil hatten, eine Phalanx bullig aussehender Vertreter der Staatsgewalt auf grünweißen Krafträdern als Wegbereiter und eine schmale blaue Linie auf der Straße als Orientierungshilfe zu haben, fehlt dem Aktienanleger derartige Unterstützung. Er hat eher das Gefühl, im Nebel zu laufen und das Ziel völlig aus den Augen verloren zu haben.
Es kommt noch schlimmer: einige Profis, die auf Langstrecke eingestellt waren, haben Teams dabei, die ihnen Traubenzucker und Wasser (=Eigenkapital und Kreditlinien) reichen, damit sie das Rennen gut überstehen. Zu allem Überfluß erschwert heftiger Regen (schlechte Meldungen und Skandale) das weitere Durchhalten. So fallen viele vorzeitig aus dem Rennen (=werden insolvent) und werden schlimmstenfalls von den Sanitätern aufgelesen (=zwangsliquidiert).
Noch etwas rückt Börse und Münchner EM-Marathon zusammen: Die Akteure hecheln Runde um Runde über teures Pflaster dem fernen Ziel entgegen und haben weder Zeit noch Sinn für all die Schönheit, an der sie vorübereilen.
Die GoingPublic Kolumne erscheint jeweils montags, mittwochs und freitags in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.