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Die Welt wandelt sich – nur das Verständnis von der Bedeutung der Abschlussprüfung anscheinend nicht: Nach wie vor ist bei vielen Verwaltungsräten, Geschäftsführern, Investoren, Regulatoren, aber auch bei manchen Wirtschaftsprüfern selbst die Auffassung verbreitet, die Durchführung der gesetzlichen Abschlussprüfung sei ein homogenes Gut, der Bestätigungsvermerk das Ergebnis eines standardisierten Produktionsprozesses von Prüfungshandlungen.

Das „Produkt“ Abschlussprüfung soll selbstverständlich von hoher Qualität sein. Dafür aber trügen allein die Abschlussprüfer und deren Überwacher die Verantwortung. Eine solche „produktbezogene“ Sichtweise neigt jedoch dazu, die aktuellen Herausforderungen an die Unternehmensführung ebenso zu verkennen wie die Möglichkeiten, die eine ­moderne, technologiegestützte Abschlussprüfung bieten kann. Zielführender ist es, die Abschlussprüfung statt produktbezogen vielmehr als Service- bzw. Dienstleistung zu verstehen und in ihr eine mehrwert­generierende Unterstützungsfunktion für Corporate-Governance-Verantwortliche zu sehen. Nachfolgend werden ausgewählte Aspekte einer solchen Sichtweise dargestellt.

Abschlussprüfung ist keine Corporate-Governance-System-Prüfung

In der Schweiz kommt dem Verwaltungsrat die Aufgabe der Oberleitung der ­Gesellschaft zu. Er prägt daher auch, wie es im Swiss Code of Best Practice for ­Corporate Governance der economiesuisse heißt, die Corporate Governance und setzt diese um, etwa durch die angemessene Ausgestaltung des Rechnungs­wesens, die Implementierung eines internen Kontrollsystems (IKS) und die Über­wachung dessen Wirksamkeit durch die Geschäftsleitung.

Die Revisionsstelle berichtet an den Verwaltungsrat u.a. darüber, ob die ­Rechnungslegung den gesetzlichen Vorgaben entspricht, ob ein IKS für die ­Finanzberichterstattung existiert und ob die geforderte Risikobeurteilung durch­geführt wurde. Allerdings kann die ­gesetzliche Abschlussprüfung nur einen begrenzten Beitrag zur Stärkung einer ­effektiven Corporate Governance leisten: Anders als für den Spezialfall der Prüfung von Vorsorgeeinrichtungen zählt eine ­Prüfung der Geschäftsführung ebenso ­wenig zu den Aufgaben der Revisionsstelle wie das Formulieren eines Prüfungsurteils über die Angemessenheit und Wirksamkeit des Corporate-Governance-Systems an sich.

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Auch viele Teilbereiche dieses Systems werden durch die Abschlussprüfung nicht oder nur bedingt abgedeckt. Das betrifft etwa das Compliance-Management-­System, die nicht-finanzielle Berichterstattung und weite Teile des Risikomanagement-, des internen Revisions- sowie des internen Kontrollsystems, sofern diese nicht abschlussbezogen sind. Vor dem Hintergrund deutlich gestiegener Anforderungen an den Verwaltungsrat, komplexer werdender Geschäftsmodelle und Regulierungen sowie höherer Haftungs- und Reputationsrisiken mutet es erstaunlich an, dass gerade die Oberleitung einer ­Gesellschaft darauf verzichtet, sich über (freiwillige) Prüfungen den Nachweis ­geben zu lassen, ihren Sorgfaltspflichten bezüglich eines wirksamen, angemessenen Corporate-Governance-Systems nachgekommen zu sein.

Abschlussprüfung als Servicefunktion

Diese Zurückhaltung liegt nicht nur darin begründet, dass mancher Verwaltungsrat wohl in Sorge über die möglichen Konsequen­zen eines unabhängig erteilten Prüfungsurteils über das eigene Corporate-Governance-System geraten könnte – sie ist auch Folge eines traditionellen Verständnisses von der Tätigkeit des Prüfers. Was bedeutet es aber, die Prüfungstätigkeit nicht produkt-, sondern servicebezogen zu begreifen? Dienstleistungen schaffen erst durch Interaktion und Kooperation von Mandant und Dienstleister Werte, indem sie nämlich das jeweils spezifische Wissen und die Ressourcen beider nutzen.

Aus der Dienstleistungsperspektive ist der Verwaltungsrat kein passiver Empfänger, der einfach darauf wartet, dass der Prüfer seinen Prüfbericht abliefert. Vielmehr ist er ein aktiver Teilnehmer am Dienstleistungsprozess. Beide Parteien bestimmen gemeinsam die Bedürfnisse unter Berücksichtigung nicht nur der ­gesetzlichen Anforderungen, sondern auch der unternehmensindividuellen Erwartungen. Entscheidend ist die Erkenntnis, dass die Qualität der Dienstleistung maßgeblich von der Qualität dieser Zusammenarbeit bestimmt wird. Es ist daher falsch, wenn etwa Verwaltungsräte zwar eine hohe Prüfungsqualität einfordern, sich aber einer intensiven Zusammenarbeit mit dem ­Abschlussprüfer verweigern.

Ein Beispiel aus der Praxis hierfür ist der häufig in Neuausschreibungen von Prüfungsmandaten geforderte Einsatz neuester Technologien zur Datenanalyse, ohne aber selbst im Unternehmen die ­Systemvoraussetzungen für deren sinnvollen Einsatz geschaffen zu haben, weil man noch in einer heterogenen Systemlandschaft agiert.

„Der moderne CFO ist nicht mehr ,nur‘ ein Zahlenaufbereiter, ein für die Abschlusserstellung Verantwortlicher, sondern wandelt sich zum Co-CEO, zu einem ,Business Enabler‘.“

Mehrwert durch serviceorientierte Prüfungstätigkeiten

Das Argument für den Einsatz technologiebasierter Prüfungstechnik liegt eben nicht (nur) in den Effizienzgewinnen bei der Prüfungsdurchführung und der Steigerung der Prüfungsqualität etwa durch automatisierte Vollprüfungen statt Stichprobenprüfungen: Es liegt, dem Servicegedanken folgend, auch in der Generierung eines Mehrwerts für das Unternehmen selbst. Besonders ­anschaulich wird dies, betrachtet man die moderne Rolle des CFO: Er ist nicht mehr „nur“ ein Zahlenaufbereiter, für die Abschluss­erstellung Verantwortlicher, sondern wandelt sich zum Co-CEO, zu einem „Business Enabler“ mit umfangreichem strategischem und operativem Verständnis.

Wenn die Unternehmenssteuerung und -überwachung immer mehr datengetrieben ist und der CFO aufgrund seiner Funktion in vielen Bereichen der „Herr über die Daten“ ist, dann ist offensichtlich, dass er zwingend den digitalen Wandel in seinem Verantwortungsbereich vorantreiben muss. Ein natürlicher Begleiter auf diesem Weg der digitalen Transformation des Finanzbereichs ist der Abschlussprüfer, sofern er seine Tätigkeit serviceorientiert versteht.

Die Generierung von Echtzeitdaten, die datengetriebene Unterstützung von Entscheidungen, das Formulieren von Handlungsempfehlungen basierend auf künstlicher Intelligenz, das Durchführen von Simulations- und Prognoserechnungen, eine holistische Risikobeurteilung, die Aufbereitung nicht-strukturierter und nicht-finanzieller ­Informationen, die Generierung von ­Effizienzsteigerungen durch Prozessautomatisierungen: All dies sind Themen und Technologien, die bei großen Prüfungs­gesellschaften bereits heute und in zunehmendem Masse im Einsatz sind.

„Ein effektives Corporate-Governance-System dient nicht nur der Wahrung von Shareholder- und Stakeholderinteressen – es ist zugleich der beste Schutz für den Verwaltungsrat selbst.“

Das bedeutet nicht, dass der Abschluss­prüfer zum Berater wird. Es zeigt aber, dass eine serviceorientierte, technologiebasierte Prüfungstätigkeit die Prüfungsqualität steigert und einen Mehrwert für das Unternehmen generieren kann. Der Verwaltungsrat sollte sich bei seiner Oberleitung an der im IIRC-Rahmenkonzept ­formulierten Frage messen lassen: Wie ­unterstützt die Governancestruktur der Organisation ihre Fähigkeit, kurz-, mittel- und langfristig Werte zu schaffen?

Aus der Sicht einer serviceorientierten Prüfungstätigkeit ist die Antwort klar: freiwillige Wirksamkeitsprüfung des Corporate-Governance-Systems, Unterstützung des CFO bei der digitalen Transformation seines Verantwortungsbereichs und Schaffung der unternehmensinternen Voraussetzungen, um technologiegestützte ­Prüfungen effizienzsteigernd durchführen lassen zu können. Denn: Ein effektives Corporate-Governance-System dient nicht nur der Wahrung von Shareholder- und Stakeholderinteressen – es ist zugleich der beste Schutz für den Verwaltungsrat selbst.

Ursprünglich erschienen in:
The Reporting Times NO 18/2021, Zeitung des Center for Corporate Reporting.
reporting-times.com

Autor/Autorin

Prof. Dr. Thomas Berndt
Prof. Dr. Thomas Berndt

Prof. Dr. Thomas Berndt ist Inhaber des Lehrstuhls für Rechnungslegung und Direktor am Institut für Finanzwissenschaft, Finanzrecht und Law and Economics (IFF-HSG) an der Universität St. Gallen. In Theorie und Praxis widmet er sich ausgewählten Themen der finanziellen und nichtfinanziellen Berichterstattung, der Unternehmensbewertung, Corporate Governance und Compliance.