Prof. Dr. Baum: Ich hatte einen jugendlichen Patienten mit einem sehr seltenen Tumor (Paragangliom), der damals schon vielfach vorbehandelt worden war, aber auf die bisherigen Therapien nicht mehr ansprach. Er hatte Metastasen im gesamten Körper, litt an immensen Schmerzen infolge von Knochenmetastasen (insbesondere in der Wirbelsäule) und war deshalb morphinpflichtig. Die Kinderonkologen sagten, er hätte eine Lebenserwartung von wahrscheinlich nur noch wenigen Monaten. Ich habe diesen Jungen dann erstmals mit der neuartigen Radioligandentherapie behandelt und ich werde nie vergessen, dass die Schmerzen innerhalb weniger Tage fast vollständig verschwanden und er das Morphin absetzen konnte. Dieser Patient führte noch mehrere Jahre ein sehr gutes, fast normales Leben und konnte die Schule und sogar eine Ausbildung abschließen. Dieser Erfolg hat mein Leben als Arzt stark geprägt.
Worin sehen Sie die Vorteile der Radionuklidtherapie gegenüber Standardtherapien?
Das Prinzip der radiomolekularen Therapie, wie ich sie bevorzugt nenne, ist ihr Ansatz, gezielt nur den Tumor anzugreifen und nicht wie die Chemotherapie im Prinzip alle schnell wachsenden Zellen, wie z.B. auch Darm- oder Knochenmarkszellen. Daher der Name „radiomolekulare Präzisionsonkologie“ (RPO). Für den Patienten bedeutet dies, dass die RPO gezielter wirkt, wesentlich besser vertragen wird und mit geringeren Risiken und Nebenwirkungen verbunden ist. Dazu kommen die bildgebenden Möglichkeiten der radiomolekularen Medizin (PET/CT), die eine frühere und weitaus genauere Diagnostik von sonst schwer nachweisbaren Tumoren bzw. Metastasen erlauben.
Wo sehen Sie dieses Therapiefeld in zehn Jahren?
Mittlerweile hat sich die radiomolekulare Präzisionsonkologie stark weiterentwickelt, mit mehreren Marktzulassungen in den letzten Jahren und Monaten, z.B. für die Behandlung von neuroendokrinen Tumoren und von metastasierten Prostatakarzinomen. Wir haben kürzlich eine Art Generalschlüssel gefunden, der für die meisten Tumorarten passt und mit dem bereits eine sehr empfindliche und genaue PET/CT-Diagnostik möglich ist. Dieses trojanische Pferd könnte – in Kombination mit bestimmten tumorspezifischen Vakzinen – möglicherweise eine sehr breite Anwendung auch für die Tumorbehandlung erfahren. Ich gehe davon aus, dass diese sogenannte Theranostik (Präzisionsdiagnostik und Therapie) in Zukunft bei vielen Malignomen standardmäßig zum Einsatz kommen wird.
Herr Prof. Dr. Baum, vielen Dank für die interessanten Einblicke.
Das Interview führte Holger Garbs.
ZUM INTERVIEWPARTNER
Prof. Dr. med. Richard P. Baum ist Präsident der International Centers for Precision Oncology (ICPO) Academy und im Curanosticum Wiesbaden-Frankfurt als Leiter der Molekularen Radiotherapie in der Deutschen Klinik für Diagnostik (DKD Helios Klinik) in Wiesbaden tätig.
Autor/Autorin
Die Redaktion der Kapitalmarkt Plattform GoingPublic (Magazin, www.goingpublic.de, LinkedIn Kanal, Events) widmet sich seit Dezember 1997 den aktuellen Trends rund um die Finanzierung über die Börse. Ob Börsengang (GoingPublic) oder die vielfältigen Herausforderungen für börsennotierte Unternehmen (Being Public), präsentiert sich GoingPublic cross-medial als Kapitalmarktplattform für Emittenten und Investment Professionals.