ALeimer-kleinKann Spinnenseide wirklich die Nebenwirkungen bei Brustimplantaten reduzieren? Die Antwort lautet: ja. Wie das bayrische Unternehmen Amsilk in aktuellen Studien zeigen konnte, sind Brustimplantate, die mit Spinnenseide überzogen sind, verträglicher als herkömmliche. Gegenüber dem GoingPublic Magazin erklärt Axel Leimer, Managing Director von Amsilk, welche Vorteile Spinnenseide hat, welches wirtschaftliche Potenzial dahinter steckt und in welchen anderen medizintechnischen Branchen das Produkt noch verwendet werden könnte.

GoingPublic: Herr Leimer, Silikonbrustimplantate mit Spinnenseide überziehen – wie hat man sich das vorzustellen?
Leimer: Die Spinnenseide wird hier als Lösung aufgesprüht oder das Implantat wird in die Lösung eingetaucht. Danach bildet sich ein dünner, durchsichtiger und elastischer Film auf der Oberfläche. Das Implantat selbst bleibt unverändert, nur die Oberfläche wird modifiziert. Der Prozess kann also in jede Produktionskette leicht eingebaut werden.

GoingPublic: Wie zwei Studien an Tieren gezeigt haben, können Nebenwirkungen signifikant reduziert werden. Worin liegen die Vorteile von Spinnenseide gegenüber der herkömmlichen Beschichtung?
Leimer: Es gibt tatsächlich bereits andere Versuche, Implantate zu beschichten. Die Seide ist jedoch eines der verträglichsten Materialien und haftet zugleich gut am Silikon. Wir konnten bisher zeigen, dass das Immunsystem diese neue Oberfläche sehr gut akzeptiert und damit auch das darunter liegende Implantat, welches dann ja nicht mehr so richtig sichtbar oder zugänglich ist für die Immunzellen. Im Lauf der Zeit, nachdem die Wunde verheilt ist, wird die Seidenbeschichtung abgebaut. Die Abbauprodukte sind Aminosäuren, die vom Körper ohne Problem absorbiert werden können. Schon in der Antike hat man Spinnennetze auf Wunden gelegt, um die Heilung zu beschleunigen. Wir stellen nun ein Material her, welches von der Natur inspiriert wurde, aber in einem kontrollierten Prozess in hochreiner Form für medizinische Zwecke hergestellt wird.

GoingPublic: Wie sind nun die weiteren Schritte für dieses Produkt?
Leimer: Mit den neuen präklinischen Studienergebnissen haben wir gezeigt, dass unsere Technologie zu einer besseren Verträglichkeit von Silikonimplantaten führt – das Konzept funktioniert. Nun müssen weitere Tests für die formelle Zulassung als Medizinprodukt gemacht werden. Das wird noch ein paar Jahre in Anspruch nehmen. Hier werden wir mit Industriepartnern zusammenarbeiten.

GoingPublic: Kann die Spinnenseide auch für andere Silikonimplantate verwendet werden?
Leimer: Ja. Das Konzept funktioniert für die Modifikation aller Silikonoberflächen und auch andere Materialien, vorausgesetzt, die Spinnenseide haftet an der Oberfläche. Wir arbeiten bereits an einer zweiten Anwendung.

GoingPublic: Wie groß ist denn das wirtschaftliche Potenzial, das dahinter steckt?
Leimer: Der weltweite Markt für Brustimplantate alleine liegt bei ca. 630 Mio. EUR pro Jahr und ist stark wachsend. Dazu kommen die Implantate für die Rekonstruktion anderer Körperteile zum Beispiel nach einem Unfall oder einer Operation. Das Problem ist ja, dass die Nebenwirkungen oder ungewollten Reaktionen auf die Implantate noch zu oft auftreten und niemand vorhersagen kann, bei welchem Patienten das der Fall sein wird. Die Kosten einer Spinnenseidenbeschichtung stehen in keinem Verhältnis zu dem Aufwand einer weiteren OP, um ein Implantat wieder zu entfernen. Ganz zu schweigen von den Schmerzen. Dennoch sind Silikonimplantate eine gute Lösung, insofern man die Reaktion des Immunsystems etwas modulieren kann. Amsilk erwartet Umsätze von mehreren Millionen pro Jahr nach Zulassung unserer Technologie.

GoingPublic: Neben Silikonimplantaten – in welchen medizinischen Anwendungsbereichen sehen Sie für die Spinnenseide das größte Potenzial?
Leimer: Wir sehen Anwendungsmöglichkeiten in der Dermatologie und Wundbehandlung sowie mit Nahtmaterial aus Spinnenseide, das besonders elastisch und reißfest ist und vor allem die Narbenbildung reduziert. Mit einem Spray kann man auf der Haut oder der Wunde einen atmungsaktiven, durchsichtigen Film generieren, der wie ein Schutzschild aufliegt. Wir können uns die Seide in Form eines Gels auch als Gewebefüller vorstellen.

GoingPublic: Wann rechnen Sie damit, dass erste Produkte auf den Markt kommen?
Leimer: Wir bereiten gerade erste Dermatologie-Produkte für das kommende Jahr vor. Wir werden noch in diesem Jahr beginnen, Forschungskits für Arbeiten mit Stammzellen oder Tissue Engineering zu verkaufen. Natürlich arbeiten wir auch an einer Hochleistungsfaser, die mit ähnlichen Eigenschaften, wie man sie im Spinnennetz findet, für spezielle Sportartikel oder militärische Kleidung geeignet wäre. Das wird allerdings noch etwas Entwicklungszeit benötigen.

GoingPublic: Herr Leimer, vielen Dank für die interessanten Einblicke.

Das Interview führte Maximiliane Worch.

Ursprünglich erschienen in der GoingPublic Sonderbeilage „Medizintechnik 2012“.

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