Lange Zeit beherrschten Fitness-Apps und sonstige Lifestyle-Produkte das Bild von einer digitalisierten Gesundheit in Deutschland. Doch dieses Bild hat sich inzwischen gewandelt. Die Notwendigkeit einer zunehmenden Digitalisierung des gesamten Healthcare-Sektors wird nicht länger bestritten. Mediziner, Patienten, Kostenträger und Nutzer fassen zunehmend Vertrauen in neue Technologien – auch wenn manch Skepsis bleibt, insbesondere beim Thema Datenschutz. Von Holger Garbs

 

Im vergangenen Jahr haben die Ausgaben für die Gesundheit in Deutschland erstmals die Marke von 1 Mrd. EUR pro Tag überschritten. Entscheidend dafür war, laut Statistischem Bundesamt, das im Januar 2017 in Kraft getretene Pflegestärkungsgesetz. Insgesamt stiegen die Ausgaben auf 374,2 Mrd. EUR, im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um 4,9% (2016: 356,5 Mrd. EUR). Rund 55 Mrd. EUR wurden für Arzneimittel ausgegeben. Man darf davon ausgehen, dass die Ausgaben auch in diesem Jahr weiter steigen werden. Innovationen der digitalisierten Gesundheitsvorsorge sind in der Lage, dieser Kostenexplosion Einhalt zu bieten.

„Die zunehmende Digitalisierung erhält eine immer höhere Relevanz im Gesundheitssektor“, bestätigt auch Dr. Aristotelis Nastos, Head of Life Sciences und Cleantech bei der NRW.BANK. Faktoren wie Kostensenkungen und Umsatzsteigerungen aufseiten der Hersteller und Kostenträger gewönnen an Gewicht, ebenso wie ein zunehmendes Eigeninteresse der Nutzer und Patienten nach personalisierten und tagesaktuellen Daten. Dabei gehe der Trend zunehmend zu integrierten Plattformlösungen, die alle wichtigen Player miteinander vereine. So entstünden neue Synergien. „Was wir erleben, ist die Entstehung eines oder mehrerer Amazons der Gesundheit“, sagt Nastos.

Den roten Faden finden

Doch es ist seltsam: Einerseits bestimmt die Digitalisierung unser aller Leben immer mehr. Smartphones und Tablets sind kaum mehr wegzudenken, wir kommunizieren über Snapchat, Twitter, Instagram, Facebook & Co., Produkte aus den Häusern Apple, Google und Amazon gehören zum alltäglichen Inventar. Noch nie in der Geschichte haben die Menschen mehr persönliche Daten von sich preisgegeben, und sei es über die elektronische Einkaufsliste am Kühlschrank. Wir kommunizieren digital.

Schauen wir nun auf unser Gesundheitssystem, ergibt sich andererseits ein frappierender Dissens: Wir sind nicht miteinander vernetzt. Ein grundlegender Datenaustausch zwischen Patienten und Medizinern, Krankenhäusern und Versicherungen findet noch immer nicht statt. Und das hat nicht nur mit der viel beschworenen „German Angst“ zu tun, Stichwort Datenschutz. Es existiert schlichtweg keine passende IT-Infrastruktur für das Gesundheitswesen. Beispielsweise kann man das Vorhaben der elektronischen Gesundheitsakte getrost zu ihresgleichen legen: zu den Akten. So musste auch der Autor dieser Zeilen jüngst erfahren, dass ein Transfer von Patientendaten vom alten zum neuen Facharzt durchaus möglich ist – per Post. Und tatsächlich kommt es vor, dass Befunde mitunter per WhatsApp verschickt werden.

Zugegeben: Es ist nicht einfach, angesichts der vielfältigen Möglichkeiten und Notwendigkeiten einen roten Faden zu spinnen. Denn beim Thema „Digitale Gesundheit“ geht es ja, wie bereits erwähnt, inzwischen um weit mehr als die berühmt-berüchtigten Fitness-Apps. Neben dem Ausbau der notwendigen Infrastruktur und der Sicherung sensibler Daten gehören auch die Aus- und Weiterbildung von Medizinern und Pflegepersonal, die Erstattungsfähigkeit von Vorsorge- und Therapieangeboten, die Überwindung von Zulassungshürden oder auch schlichtweg die Finanzierung der Entwicklung neuer Technologien und Produkte dazu.