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Der ATX steht aufgrund seiner Jahresperformance derzeit verstärkt im medialen Rampenlicht: Der österreichische ­Leitindex inklusive Dividenden (Total Return) kletterte im ­bisherigen Jahresverlauf von Rekordhoch zu Rekordhoch, auch der Kursindex nähert sich seinem historischen Höchststand aus dem Jahr 2007. Ein idealer Zeitpunkt, um einen genaueren Blick auf die Struktur, Eigenheiten und langfristige Entwicklung des Nationalindex zu werfen. Von Christoph Boschan

Der Austrian Traded Index (ATX) ist seit seiner Einführung 1991 das wichtigste Barometer des österreichischen Aktienmarkts. Er umfasst die 20 liquidesten und größten börsennotierten Unternehmen des prime market der Wiener Börse. Die Methodik des ATX orientiert sich an internationalen Standards. Gewichtet werden die Titel nach der Marktkapitalisierung des Streubesitzes (Free Float), wobei eine Obergrenze pro Einzeltitel von 20 % eine zu starke Dominanz einzelner Unternehmen verhindert. Zweimal jährlich wird die Zusammensetzung überprüft und bei Bedarf angepasst. Grundlage der Indexberechnung ist eine rein quantitative Methodik nach internationalen Standards, die in einem verbindlichen Regelwerk festgehalten ist. Über Veränderungen entscheidet ein unabhängiges Indexkomitee.

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Zyklischer Charakter mit globaler Ausrichtung

Der ATX weist in seiner aktuellen Zusammensetzung einen zyklischen Charakter auf. Industriewerte, Banken, Versicherungen und Energieversorger sind im Index stark vertreten. Dadurch gilt im Regelfall: Läuft die Weltwirtschaft rund, profitiert der ATX (überproportional). In Abschwungphasen kann es vorkommen, dass er deutlicher zurückfällt als „breitere“ Indizes. In diesem Zusammenhang gab es in der jüngeren Vergangenheit Verwunderung: Während Österreich mit einer wirtschaftlichen Rezession zu kämpfen hatte, entwickelte sich der ATX geradezu diametral positiv dazu.

Der Artikel ist auch im E-Magazin erschienen.

Auf den ersten Blick mag das widersprüchlich erscheinen. Der Grund liegt darin, dass die führenden ATX-Unternehmen keine rein nationalen Player sind, sondern international agierende Konzerne, deren Geschäft maßgeblich vom zentraleuropäischen, gesamteuropäischen und globalen Konjunkturzyklus beeinflusst wird. Sie „hängen“ stärker an der Weltwirtschaft als am österreichischen Bruttoinlandsprodukt. Zudem bildet der Leitindex die kleinteilig strukturierte österreichische Wirtschaft wenig ab. Die Marktkapitalisierung aller heimischen Aktientitel bewegt sich im Bereich von 25 % des BIP, was auch das Aufholpotenzial des österreichischen Kapitalmarkts verdeutlicht. In Deutschland liegt dieses Verhältnis bei etwa 45 %, in den USA entspricht die Gesamtmarktkapitalisierung aller börsennotierten Unternehmen dem doppelten BIP.

Dividendenstärke und Langfristperspektive

Der aktuelle Erfolgslauf des Nationalindex ist jedenfalls keine kurzfristige Erscheinung. Betrachtet man die letzten fünf Jahre, liegen sowohl die Kurs- als auch die Performancevariante des ATX vor anderen namhaften Indizes wie dem DAX oder dem S&P 500. Ein Blick auf den Chart offenbart auch ein anderes wichtiges Merkmal des österreichischen Aktienmarkts: die Kluft zwischen Kursindex und jener Variante, die auch die Dividende einbezieht. Österreichs börsennotierte Unternehmen schütten durchschnittliche Dividendenrenditen zwischen 4 % und 6 % aus und gehören damit zum internationalen Spitzenfeld. Für Anleger ist daher die Performancevariante des ATX, der ATX Total Return, die entscheidende Messgröße.

An dieser Stelle sei auch auf einen markanten Unterschied zwischen europäischen und US-amerikanischen Aktienmärkten hingewiesen: US-Unternehmen setzen stärker auf Aktienrückkäufe, die den Kurs tendenziell stützen, während europäische Unternehmen vergleichsweise höhere Dividenden ausschütten. Bei vielen europäischen Leitindizes, wo diese Dividenden für die Berechnung reinvestiert werden – wie etwa dem ATX in seiner Total-Return-Variante – wirkt sich dieser Unterschied entscheidend auf die langfristige Indexentwicklung aus.

Vergleiche mit Maß und Ziel

Apropos Vergleich: Wer Börsenindizes vergleicht, sollte vor allem die falsche Gegenüberstellung von Kurs- und Performanceindizes vermeiden. Das unfaire „Duell“ des ATX als Kursvariante gegen den DAX Performanceindex ist hier ein klassischer Fall. Marktkapitalisierung und Zusammensetzung sind ebenfalls wichtige Parameter. Entscheidend bleibt, dass sich die österreichischen Leitbetriebe im präzisen Peer-­Vergleich (gleiche Industrie, gleiche Free-Float-Marktkapitalisierung) im Hinblick auf ihre Investierbarkeit nicht verstecken müssen. Im Gegenteil: Durch ihre Mitgliedschaft im österreichischen Nationalindex erreichen sie trotz ihrer inter­national moderaten Größe mehr globale Sichtbarkeit, als dies bei einer Mitgliedschaft in ausländischen Indizes der Fall wäre.

Ebenso entscheidend ist der gewählte Betrachtungszeitraum: Denn kurzfristige Ausschläge – in beide Richtungen – sagen oft wenig über die strukturelle Qualität eines Markts aus. Der ATX Total Return etwa, der die Dividenden miteinbezieht, weist seit Berechnungsstart im Jahr 1991 eine annualisierte Durchschnittsperformance von rund 7 % auf. Damit bewegt er sich im Bereich anderer etablierter internationaler Indizes und unterstreicht: Wer auf den österreichischen Kapitalmarkt setzt, trifft langfristig eine sehr wettbewerbsfähige Anlageentscheidung.

Regionale Wachstumschancen

Neben dem Dividendenaspekt sind zwei weitere Merkmale charakteristisch für den ATX: die moderate Bewertung sowie die starke Positionierung der Unternehmen in der Wachstumsregion Zentral- und Osteuropa. Mit einem durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis von ca. zehn liegt die Bewertung des ATX im unteren Bereich vergleichbarer entwickelter Märkte. Bei den amerikanischen Indizes S&P 500 oder Nasdaq 100 fällt die Bewertung etwa doppelt so hoch aus. Das moderate Bewertungsniveau des österreichischen Markts ist trotz der starken Performance in den letzten Jahren auch auf die vermeintliche Belastung durch den Ukrainekrieg zurückzuführen. Tatsächlich haben sich die österreichischen Unternehmen rasch an die veränderten Gegebenheiten angepasst.

Die vorsichtige Einschätzung internationaler Investoren eröffnet zugleich bedeut­sames Potenzial. Der österreichische ­Aktienmarkt kombiniert die Verankerung im Herzen Europas mit einer starken ­Präsenz in der dynamischen CEE-Region, deren Wirtschaft verlässlich doppelt so schnell wächst wie der Durchschnitt der Eurozone (vielfach zwischen 2 % und 3 % jährlich) – und sollte damit als schlummernder Performancetreiber ein fester Bestandteil in jedem diversifizierten euro­päischen Portfolio sein.

Fazit

Die aktuelle Performance des ATX wirft ein Schlaglicht auf einen oft unterschätzten Markt. Die strukturelle Zusammensetzung, die internationale Geschäftsorientierung der Indexmitglieder sowie das starke Engagement in der Wachstumsregion Zentral- und Osteuropa prägen das Profil des österreichischen Leitindex. Hinzu kommen eine moderate Bewertung und eine hohe Ausschüttungsquote. Gleichzeitig bestehen geopolitische Unsicherheiten, die sich weiterhin auf die Bewertung auswirken. Der ATX zeigt damit, wie stark regionale Kapitalmärkte von globalen Faktoren beeinflusst werden – und wie wichtig differenzierte Analysen jenseits vereinfachter Indexvergleiche sind.

Autor/Autorin

Christoph Boschan