Holger Lehnen, Referent für Kapitalmarktrecht, DIRK, und Peter Staab, Direktor Investor Relations, MEDION AG und Vorstandsmitglied des DIRK

Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) hat das Ziel, die Grundsätze guter Unternehmensführung darzustellen. Neben der Wiedergabe bereits bestehender Vorschriften werden dort Empfehlungen („soll“) und Anregungen („sollte“) aufgeführt, die in ihrer Gesamtschau allgemein anerkannte Prinzipien guter Unternehmensführung kodifizieren. Die Empfehlungen und Anregungen werden grundsätzlich jährlich geprüft und an die aktuellen Anforderungen des Kapitalmarkts und die Weiterentwicklung bei Gesetzen und Rechtsprechung angepasst. Doch ein zentraler Bestandteil guter Unternehmensführung fand bisher keinen eindeutigen Eingang in den DCGK: die Kapitalmarktkommunikation, Investor Relations (IR). Gerade die betriebswirtschaftliche Seite guter Investor-Relations-Arbeit, zum Beispiel bei Kapitalmaßnahmen oder der Nutzung der Aktie als Akquisitionswährung, ist bisher – anders als so manche Themen wie Diversity – im DCGK nicht verankert. Dabei existieren schon Vorschläge, wie dies umgesetzt werden könnte.

Die Einführung einer neuen Ziffer 6.9 DCGK
„Der Vorstand legt die Grundzüge und Ziele der Kommunikation mit den Aktionären (Investor Relations) unter Berücksichtigung der finanzwirtschaftlichen Belange der Gesellschaft fest und soll darüber einmal jährlich im Geschäftsbericht berichten.“

Denn in Ziffer 4.1.1 verpflichtet der DCGK den Vorstand, die Unternehmensführung in eigener Verantwortung und Unternehmensinteresse, also unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen, mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung zu gestalten. Günstige Eigen- oder Fremdkapitalkosten und die Etablierung der Aktie als Akquisitionswährung lassen sich hierunter einfach subsumieren.

Dies verlangt damit von den börsennotierten Aktiengesellschaften, sich den Anforderungen moderner Investor-Relations-Arbeit offensiv zu stellen, und sollte dazu führen, dass alle Stakeholder einer kapitalmarktorientierten Gesellschaft nachlesen können, welche kommunikativen und finanzwirtschaftlichen Ziele mit welcher Investor-Relations-Strategie erreicht werden sollen. Mehr Transparenz und Offenheit in diesem Bereich dient allen Beteiligten und wird mit dazu beitragen, dass sich die schon heute anerkannten Standards guter Finanzmarktkommunikation, die beispielsweise vom Deutschen Investor Relations Verband e.V. (DIRK) und der DVFA entwickelt worden sind, noch mehr in das Bewusstsein der Gesellschaften und der Öffentlichkeit bringen. Investor Relations muss daher mit einer eigenen Erwähnung in 6.9 DCGK als Bestandteil der Grundsätze guter Unternehmensführung im Deutschen Corporate Governance System etabliert werden.

Die Anpassung von 6.1 DCGK
Darüber hinaus gibt es in anderen Bereichen Anpassungsbedarf. Die Ziffer 6.1 DCGK gibt den Regelungsgegenstand von § 15 WpHG wieder. Dort steht: „Der Vorstand wird Insiderinformationen, die die Gesellschaft unmittelbar betreffen, unverzüglich veröffentlichen, soweit er nicht im Einzelfall von der Veröffentlichungspflicht befreit ist.“

Der DIRK plädiert des Weiteren dafür, dass diese Wiedergabe um eine Empfehlung erweitert wird, damit häufiger von der Möglichkeit der Selbstbefreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG Gebrauch gemacht werden soll. Folgenden Absatz 2 schlägt der DIRK vor: „Die Voraussetzungen zur Befreiung von der Veröffentlichungspflicht soll er im Einzelfall prüfen, um eine Vorabmitteilung zu den Ergebnissen der Regelberichterstattung zu vermeiden.“

Warum diese Forderung? Der deutsche Gesetzgeber sieht in seinen §§ 37v ff. WpHG vor, dass Emittenten im vierteljährlichen Rhythmus bestimmte Finanzzahlen vorlegen (Jahres-, Halbjahres-, Quartalsfinanzberichte bzw. Zwischenmitteilungen). Im Zuge von Analysten- und Pressekonferenzen stehen die Unternehmen dann kurz nach Veröffentlichung der Zahlen bereit, um ihre Bedeutung zu erläutern. Nicht vorhergesehene Abweichungen können hier erläutert, begründet und die Sorge vor einem Kursverfall durch Hinweis auf eine erwartete bevorstehende positive Entwicklung genommen werden. Um Finanzzahlen und insbesondere Abweichungen von bestehenden Prognosen oder Markterwartungen erklären zu können, benötigt man aber Zeit und eine überprüfbare Zahlengrundlage.

Nachprüfbare Fakten statt schneller Veröffentlichung – laut DIRK sollte dies die Leitlinie für Ad-hoc-Mitteilungen sein. Foto: PantherMedia / pixelery

Nachprüfbare Fakten statt schneller Veröffentlichung
§ 15 WpHG und die Verpflichtung zur unverzüglichen Veröffentlichung von Insiderinformationen geben den Emittenten diese Zeit jedoch nicht. Insofern einem Emittenten die ggf. sogar nur ungeprüften Zahlen vorliegen und er trotz fehlender unterjähriger Prognose feststellt, dass diese von den entsprechenden Vorjahreszahlen oder der Markterwartung deutlich abweichen oder einen Bruch zur bisherigen Geschäftsentwicklung darstellen, ist er im Normalfall ad-hoc-pflichtig (vgl. BaFin-Emittentenleitfaden IV.2.2.9.1 Abs. 4). Die Veröffentlichung einer entsprechenden Ad-hoc-Mitteilung wird die jeweiligen Anleger auf den Plan rufen und diese werden im Regelfall die IR-Abteilungen fragen wollen, wie sich die Abweichung erklärt und auf welchen Prämissen sie beruht. Das können die Investor-Relations-Abteilungen aber in Anbetracht der kurzen Zeit im Zweifel noch nicht sachgerecht beantworten. Analysten empfehlen eventuell aufgrund der Unsicherheit und der geänderten Erwartung den Verkauf einer Aktie, ohne abschließend eine fundamentale neue Bewertung vornehmen zu können. Dies passiert dann unter Umständen, ohne dass alle Beteiligten sicher wussten, warum die Zahlen sich geändert haben. Es erscheint daher eher im Interesse von Emittenten und allen Marktteilnehmern, eine sachgerechte und aufgrund nachprüfbarer Fakten gründliche Erläuterung von Zahlen zu ermöglichen, als über eine zu schnelle Bekanntgabe einer unter Umständen später zu korrigierenden neuen Einschätzung der Kursentwicklung einer Aktie zu erzwingen.

Richtig ist zwar, dass eine möglichst zeitnahe Veröffentlichung von Informationen auch zu einer möglichst zeitnahen Anpassung des Kursziels führt mit der Folge, dass der neue Zielkurs eine möglichst aktuelle Einschätzung des Marktes wiedergibt. Das zu gewährleisten, sei zentraler Sinn und Zweck von § 15 WpHG und zur Vermeidung von Informationsasymmetrien und der Privilegierung von Insidern grundsätzlich erforderlich. Im Falle der Regelpublizität kann dies jedoch so nicht übernommen werden. Denn hier sind ergänzend die zwingenden Regelungen des Wertpapierhandelsgesetzes, der Börsenordnung und des DCGK zur Regelpublizität zu beachten. Die Zeiträume, über die zu berichten ist, werden vom WpHG festgelegt und im Unternehmensfinanzkalender veröffentlicht. Es wird folglich großer Wert darauf gelegt, dass sich alle Anleger jederzeit darüber informieren können, wann die nächsten Geschäftsergebnisse publiziert werden. Der Kleinanleger, der ansonsten nur in der Tageszeitung, und damit vermeintlich erst am nächsten Tag, von der Publikation einer Ad-hoc-Mitteilung erfährt, kann sich ohne Ad-hoc zum selben Zeitpunkt wie der institutionelle Investor, der aufgrund seiner erheblich größeren Markteinbindung schneller Zugang zu allen Marktinformationen erfährt, über die Geschäftsergebnisse und die Finanzzahlen des Unternehmens informieren. Gerade die überraschende Ad-hoc zu erst später erwarteten Quartalszahlen, die vielleicht sogar nur von einer Markterwartung, aber nicht von der Guidance abweichen, führt doch erst zur Informationsasymmetrie und sollte im Interesse der Integrität des Marktes vermieden werden.

Fazit
Gute Corporate Governance verlangt nach guter Investor-Relations-Arbeit. Dass soll und muss auch im Kodex stehen. Zudem sollte die Selbstbefreiung bei der Regelpublizität viel häufiger und bewusster genutzt werden, um den Markt nicht mit Ad-hoc-Mitteilungen zu Abweichungen von Zahlen zu fluten, die sehr häufig so von den Unternehmen gar nicht kommuniziert wurden. Auch das sollte im Kodex verankert werden.

Dieser Artikel ist erschienen im GoingPublic Magazin 12/2012.

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