Würde sich der Kapitalmarkt nicht als gute Chance zur weiteren Wachstumsfinanzierung anbieten für so manchen Mittelständler? 

Natürlich! Aber ich würde zu einer weiteren Perspektive raten und mich nicht auf die Kapitalbeschaffung beschränken. Das Beispiel von Rational illustriert, dass es um mehr gehen kann. So sollte man beim Thema Börsengang auch den Arbeitsmarkt im Auge behalten, zumal sich der Kampf um Talente verschärft. Auch die Beteiligung von Führungskräften, Thema Stock Options, wird durch die Notierung erleichtert.

Wo liegen dann die Kernprobleme?

Viele der Hidden Champions sind hochspezialisiert und vergleichsweise klein. Das führt einerseits dazu, dass Anleger und selbst Analysten kaum verstehen, was diese Firmen machen, und dass sie andererseits von Analysten und der Presse kaum Aufmerksamkeit erfahren. Ich habe das selbst erlebt. So war ich an der Börseneinführung der Exceet Group SE, die sogenannte „embedded computers“ für sehr spezielle Anwendungen in der Medizin- und der Sicherheitstechnik herstellt, beteiligt. Ich kann nicht sagen, dass der Börsenkurs unsere Erwartungen erfüllt hat. Die komplexen Produkte kann kaum jemand beurteilen. Und mit einem 2015er-Umsatz von 186 Mio. EUR ist es nicht leicht, auf die relevanten Radarschirme zu geraten.

In welchen anderen Ländern außer Deutschland kann das Phänomen Hidden Champions noch beobachtet werden?

Im Grunde nur in der Schweiz und in Österreich. Beide Länder sind ähnlich strukturiert wie Deutschland und haben pro Kopf etwa die gleiche Zahl an Hidden Champions. Auf eine Million Einwohner bezogen sind das etwa 15 an der Zahl. Danach folgen mit deutlichem Abstand die skandinavischen Länder, wo wir etwa drei bis fünf Hidden Champions pro einer Million Einwohner finden. Alle anderen Länder weisen nur wenige Hidden Champions auf, typischerweise einen bis zwei pro Einwohnermillion.

Wie ist dort das Verhältnis dieser Unternehmen zum Kapitalmarkt?

In der Schweiz ist das Verhältnis sehr viel enger. Hidden Champions wie Straumann, Weltmarktführer bei Zahnimplantaten, oder Geberit, die globale Nr. 1 bei Hinterwand-Sanitäranlagen, sind quasi selbstverständlich börsennotiert. Geberit passt auch in das Muster von Rational. Bei einem Umsatz von 2,8 Mrd. CHF wird das Unternehmen an der Börse mit 14 Mrd. CHF bewertet. Die Einstellung der Schweizer Unternehmen und der Bevölkerung zum Kapitalmarkt ist eben eine ganz andere als in Deutschland. Österreich ist hingegen Deutschland ähnlicher.

Herr Prof. Simon, vielen Dank für das äußerst aufschlussreiche Gespräch.

Das Interview führte Svenja Liebig und erschien zuerst in der April-Ausgabe des GoingPublic Magazins.

Vita:

Prof. Dr. Dr. Hermann Simon ist Gründer und Chairman bei der global tätigen Unternehmensberatung Simon, Kucher & Partners. Er berät Unternehmen weltweit. Simon arbeitete als Gastprofessor an zahlreichen Hochschulen, darunter u.a. der Harvard Business School. Er ist Autor zahlreicher Bücher, darunter die Hidden Champions-Buchreihe.

Titelbild: industrieblick/fotolia.com

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