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Der Klimawandel und die dadurch notwendigen Investitionen sind ein weltweit dominierendes Thema.

Von der Nische zum Mainstream

Vor zehn Jahren hätte man die Abkürzung ESG noch erläutern müssen, heute ist sie in der Wirtschafts- und Finanzwelt selbsterklärend. Bei Betrachtung der drei Buchstaben stellt man fest, dass S (Social) und G (Governance) wichtig sind, aber das E (Environment) dominiert.

Die ESG-Diskussion fokussiert sich darauf, wie die Klimaerwärmung verlangsamt werden kann. Die Herausforderung trifft Unternehmen wie auch Investoren in gleicher Weise.
Die Klimadiskussion ist älter als die Partei der GRÜNEN und wurde bereits in der Studie des „Club of Rome“ von 1972 thematisiert.

Bereits in den 1990er-Jahren wurden die ersten Nachhaltigkeitsfonds aufgelegt. Das Fondsmanagement hat eigene Ratingmethoden entwickelt und die Zahlen oft selbst erhoben. „Non-Financial Figures“ wurden von nur sehr wenigen Unternehmen veröffentlicht. Falls dies geschah, waren die Angaben meist unsystematisch und ungeprüft.

Im Jahr 2000 wurde das Carbon Disclosure Project in London gegründet mit dem Ziel, dass Unternehmen und Kommunen ihre Umweltdaten erfassen. Es ging zunächst nur um die systematische und möglichst vollständige Erfassung.

Vereinfacht lässt sich zusammenfassen: Die letzten 20 Jahre dienten der Entwicklung einer verlässlichen Berichterstattung und der Analyse- und Ratingmethoden wie auch der Vermeidung bzw. dem Blacklisting von unethischem Verhalten oder Management einiger Unternehmen.

Dies war die Voraussetzung für das systematische Management und den Erfolg nachhaltiger Anlagen. Während im Jahr 2000 noch weniger als 1% der Assets in Nachhaltigkeitsfonds (enge Definition) investiert wurden, sind es aktuell bereits mehr als ein Drittel aller Anlagen.

Vergleichbares weltweites Reporting

Es haben aber nicht nur nachhaltige Anlagen Marktanteile gewonnen – gleichzeitig ist gleichzeitig der Anteil der passiven Fonds auf nahezu 25% angestiegen. Die meisten Vorhersagen sind sich einig, dass beide Anlageformen Marktanteile gewinnen werden.

Larry Fink, CEO des weltgrößten Assetmanagers, spricht von einer tektonischen Verschiebung hin zu nachhaltigen Anlagen, abgeleitet von dem Ziel einer CO2-neutralen Wirtschaft spätestens im Jahr 2050.

BlackRock steht mit dieser Meinung nicht allein: Nahezu alle großen Assetmanager sind sich einig, dass die Offenlegung von nicht-finanziellen Daten nach einem weltweit vergleichbaren Standard erfolgen muss. Um dies zu gewährleisten, hat das „Who’s who“ der Finanzindustrie die „Value Reporting Foundation“ gegründet und sich auf den SASB-Standard geeinigt.

Der Wunsch der Assetmanager ist bei der aktuellen Machtverteilung für die Unternehmen nahezu ein Befehl. Das Wertpapierhandelsgesetz untersagt zwar das „Acting in concert“; in der Praxis stellt dieses Verbot aber keine Hürde dar. Die Mitglieder der Value Reporting Foundation vertreten auf den meisten deutschen Hauptversammlungen mehr als ein Drittel der Stimmen.

Erwartungen an die Klimaperformance

Auch dazu nimmt Larry Fink in einem Brief an CEOs und Investoren Stellung:

BlackRock wird eine Kennzahl zur Messung des Erwärmungsbeitrags („Temperature Alignment Metric“) für seine Aktien- und Anleihe-Publikumsfonds sowie ein Zwischenziel für den Anteil des verwalteten Vermögens, das im Jahr 2030 auf das Netto-Null-Emissionsziel ausgerichtet sein wird, veröffentlichen.

Ein Aspekt ist die Berichterstattung, der andere sind die Konsequenzen für die Portfolioentscheidungen. Die Anforderungen von Nachhaltigkeitsfonds an die Klimaziele und -performance der Unternehmen, in die sie investiert sind bzw. investieren wollen, werden deutlich zunehmen. Erste Fonds werben damit, dass ihr Portfolio „Paris aligned“ ist bzw. sie dies anstreben. In der Konsequenz ist zu erwarten, dass die Nachhaltigkeitsanforderungen in Abstimmungsrichtlinien dieser Fonds deutlich verschärft werden.

Dies gilt aber nicht nur für aktiv gemanagte Nachhaltigkeitsfonds – auch passiv verwaltete Fonds planen strengere Richtlinien. Hier geht es um die Risikominimierung für deren Investoren. Vereinfacht zusammengefasst bedeutet das, dass nur solche Unternehmen anlagefähig sind, die sich an eine klimaneutrale Wirtschaft anpassen können.

ESG-Aktivismus

Bezüglich der Notwendigkeit der Anpassung sind sich alle Stakeholder weitgehend einig, anders sieht es bei der Geschwindigkeit der Transformation aus.
Investoren erwarten häufig ein höheres Tempo, als es die Unternehmen für umsetzbar halten.

Um den Erwartungen Nachdruck zu verleihen, wurden Non-Profit-Organisationen (NPOs) wie „Climate Action 100+“ gegründet, die sich als „Investor Engagement Initiative on Climate Change“ verstehen. Dies klingt eleganter als ESG-Aktivismus, dürfte sich aber aus Sicht der Unternehmen nicht wesentlich davon unterscheiden.

Es geht um die aktive Einflussnahme auf die ESG-Strategie der Unternehmen. Man findet bereits einige Beispiele, wie die Wahl des Board of Directors bei ExxonMobil, bei der Climate Action 100+ gemeinsam mit dem Aktivisten „Engine No. 1“ drei eigene Kandidaten gegen den Vorschlag der Verwaltung durchgesetzt hat – und das, obwohl Engine No. 1 weniger als 1% der Aktien hält. Climate Action 100+ wie auch andere vergleichbare Organisation planen weiterhin verstärkt Kampagnen in Europa. Auch Deutschland rückt in den Fokus.

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„Es wird nicht einfach sein, Klimaneutralität zu erreichen, und die Uhr tickt“, wurde Alexander Burr, Leiter Nachhaltigkeit bei Legal & General Investment Management (LGIM), letztes Jahr im Handelsblatt zitiert. „Ein Reduktionsziel von 55% bis 2030 zu setzen ist ehrgeizig, aber jetzt nicht mehr verhandelbar.“ LGIM ist, ebenso wie die Allianz, Munich Re und die DWS, Mitglied der Institutional Investors Group on Climate Change (IIGCC).

Enkraft Capital, ein deutscher „activist investor“ und Aktionär bei RWE, hat das Management aufgefordert, schneller aus der Braunkohleverstromung auszusteigen. Auch wenn Enkraft Capital zu wenige Aktien hält, um dies durchsetzen zu können, ist es durchaus möglich, dass die Initiative ausreichend Unterstützung von anderen Investoren erhalten würden.

Steigende Bedeutung von ESG-Ratings

Investoren können nicht alle Nachhaltigkeitsdaten selbst erheben und analysieren. Es gibt kaum einen großen Investor, der nicht eine, oft auch zwei oder drei ESG-Ratingagenturen für seine Analysen nutzt. Wie bei den Proxy Advisors sind die Analyseverfahren vielfältig. Teilweise nutzen die Investoren die Daten für eigene Modelle, teilweise werden die Ratings unverändert integriert.

Wir beobachten diesen Trend schon längere Zeit und haben daher die letzten Jahre ein schlagkräftiges ESG-Expertenteam aufgebaut. ESG-Ziele und deren Erreichung spielen auch bei der klassischen „Proxy Solicitation“ eine immer größere Rolle. Gleiches gilt für die Vorbereitung des Investorendialogs. ISS entscheidet bei ESG-Anträgen von Fall zu Fall ohne eine feste Policy, Glass Lewis hat eine Policy bei ESG-Anträgen für 2022 angekündigt. Die Kunden der Proxy Advisors dürften nach unserer Einschätzung strengere ESG-Regeln begrüßen/fordern.

ESG – das dominierende Thema auf den Hauptversammlungen der Zukunft?

Die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsziele der Unternehmen und deren Erreichung werden deutlich zunehmen. In der Praxis bedeutet dies neben ESG-Aktionärsanträgen größere Hürden für Vergütungssysteme und -berichte, aber auch die Entlastung von Vorständen und Aufsichtsräten. Auch die Klimaklagen gegen Unternehmen, die sich den Herausforderungen aus Sicht der Stakeholder zu zögerlich stellen, dürften zunehmen.

Die besondere Hausforderung für die Unternehmen ist, dass sich die Ansprechpartner verändern: Es sind nicht ausschließlich die Investoren, sondern zunehmend von Investoren gegründete NPOs und kooperierende Hedgefonds.

Die ersten NPOs haben angekündigt, dass sie auch in Deutschland aktiv werden wollen.

Autor/Autorin

Christof Schwab

Christof Schwab ist Director Business Development bei Computershare Deutschland. Er verantwortet die Weiterentwicklung des gesamten Leistungsportfolios, von der Aktienregisterführung über Versammlungsservices bis hin zu Proxy-Solicitation-Maßnahmen und Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen (Employee Equity Plans).