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In den vergangenen Jahren hat die Bedeutung von umweltverträglichem Handeln, sozialen Kriterien und guter Unternehmensführung stark zugenommen. Doch plötzlich scheint sich das Blatt zu drehen. US-Präsident Donald Trump hat deutlich gemacht, wie wenig er von diesen Themen hält, und setzt Unternehmen sowie Behörden unter Druck. Auch in Europa sind Tendenzen zur Abspeckung auszumachen: Die EU will die Anforderungen an Nachhaltigkeitsdaten senken, die neue Bundesregierung das Lieferkettengesetz außer Kraft setzen. Was das für Unternehmen und deren Berichtserstattungspflichten bedeutet.
Es scheint, als sei etwas ins Rutschen gekommen. Über viele Jahre haben sich Schlagworte und Kürzel wie Nachhaltigkeit, ESG und CSRD tief in die Unternehmenswelt eingegraben. Abteilungen wurden gegründet, um diese Themen abzudecken und gesetzliche Anforderungen zu erfüllen. Dicke Reports wurden erstellt, um sichtbar zu machen, was Firmen in Sachen Umweltverträglichkeit tun, wie sie ihre Lieferketten kontrollieren und die Gleichbehandlung von Geschlechtern gewährleisten.
Und plötzlich soll alles anders sein? Matthias Schellenberg, Vorstandsvorsitzender der Düsseldorfer Apotheker- und Ärztebank (Apobank), fasst in Worte, wie sich die Welt mit einem Mal verändert: „In den vergangenen Monaten ist der Eindruck entstanden, dass einzelne Player im Markt oder in der Politik dieses elementare Thema abgewählt haben.“
Kritik an ESG
Es sind Kürzel, die schwer über die Lippen kommen: ESG steht für Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung), CSRD ist die Abkürzung für die Corporate Sustainability Reporting Directive, eine EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Sie legt einheitliche Standards für die Kommunikation von ESG-Kriterien fest. Diese regulatorischen Erziehungsmaßnahmen sollen Unternehmen zu guten Marktteilnehmern machen, doch sie stoßen nicht nur auf Gegenliebe: Zu viele Datenpunkte müssten erhoben werden, die Daten seien vielfach nicht aussagekräftig genug und zudem oft nicht miteinander vergleichbar, lautet vielfach geäußerte Kritik. Auch Schellenberg hält die Regulatorik für verhandelbar und beklagt den Aufwand, den Unternehmen für die Berichtspflichten betreiben müssen: „Das hat mit Nachhaltigkeit nichts mehr zu tun. Die Devise muss heißen: Konzentration auf das Wesentliche.“
Ähnlich sieht das Volker Sack, Vorstand und Co-Founder des Researchhauses DAN/AG – Deutsches Analyse Netzwerk AG sowie Leiter der DVFA-Kommission Unternehmensanalyse. Die bisherigen Erfahrungen mit der CSRD würden Zweifel in Bezug auf Aufwand und Nutzen bei der Umsetzung dieser Richtlinie nähren. „Neben den erheblichen Mehrarbeiten für die Erstellung der Nachhaltigkeitsberichte für Unternehmen und Wirtschaftsprüfer sehen auch Anwender wie Assetmanager und Analysten die erwartete Datenflut von bis zu 1.200 überwiegend textuellen ESG-Datenpunkten eher kritisch. Zudem hakte es in einigen europäischen Staaten wie auch in Deutschland bei der Umsetzung der CSRD in nationales Recht bis zum Jahresende 2024. Unterschiedliche Umsetzungsstände der CSRD, die ab 2025 für große börsennotierte Unternehmen verpflichtend ist, führten sowohl auf nationaler Ebene als auch bei Unternehmen zu gewisser Verunsicherung.“
Beispiel Volkswagen. Das Unternehmen verweist auf einen FAZ-Bericht, in dem Daniel-Sascha Roth, Leiter der Abteilung ESG/Nachhaltigkeitsmanagement, seine Erfahrungen zusammenfasst: „Der Aufwand ist immens. Ein Team im deutlich zweistelligen Bereich ist aktuell dauerhaft damit befasst, hinzu kommt je nach Fragestellung eine dreistellige Zahl weiterer Kollegen.“ Er bemängelt, dass nicht alle von Brüssel geforderten Informationen oder Datenpunkte steuerungsrelevant seien. Ungünstig sei auch, dass auf ESG spezialisierte Ratingagenturen andere Datenerfordernisse hätten. Roth: „Die Informationsmenge, die ein Stakeholder verdauen muss, führt dazu, dass Orientierung verloren geht.“
EU startet den Omnibus
Immerhin zeichnet sich ab, dass die Unternehmen von dieser Daten- und Berichtsflut zumindest teilweise entlastet werden könnten. Ende Februar 2025 wurde das „Omnibus-Paket“ bekannt, mit dem die Europäische Kommission gegensteuern will. Ziel ist es, Standards zu vereinfachen, Bürokratiehemmnisse abzubauen und somit Kosten zu reduzieren. Gleichzeitig soll der Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen zunächst auf die größeren börsennotierten Adressen der sogenannten ersten Welle beschränkt bleiben, während kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) erst ab 2028 die Anforderungen aus der CSRD zu erfüllen haben. Als Größenkriterien für eine Berichtspflicht wurden Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von mehr als 50 Mio. EUR oder einer Bilanzsumme von über 25 Mio. EUR genannt.
Dazu sagt Jessica Göres, Leiterin Sustainability Reporting des Deutschen Aktieninstituts (DAI): „Die Omnibus-Initiative ist zu begrüßen, greift aber noch zu kurz, denn es fehlen einige zentrale Maßnahmen zur Vereinfachung und Fokussierung der Berichtspflichten. Die verschlankte CSRD muss die Basis für alle Nachhaltigkeitsberichtspflichten werden, und die sie konkretisierenden European Sustainability Reporting Standards (ESRS) dürfen nicht mehr 1.100 Datenpunkte fordern, sondern müssen drastisch reduziert werden. […] Außerdem ist eine Angleichung der ESRS an die ISSB-Regeln (ISSB = International Sustainability Standards Board; Anm. der Red.) notwendig, wenn teure und unnötige Doppelberichterstattungen vermieden werden sollen.“
DVFA-Mann Sack begrüßt einerseits, dass die vorgesehenen Regelungen vor allem für KMU zumindest temporäre Erleichterungen bei der Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten bringen. Diese könnten sich nun besser vorbereiten und sich an Best-Practice-Beispielen größerer Gesellschaften wie der DHL Group orientieren. Aber: „Auch wenn seitens der EU-Kommission vorgesehen ist, sektorspezifische Standards zu streichen, die Menge der Datenpunkte um mindestens 25% zu reduzieren und sich stärker auf quantitative ESG-Kennzahlen auszurichten, bleibt für Unternehmen die Herausforderung, über den Ansatz der doppelten Wesentlichkeit die wichtigen unternehmensspezifischen ESG-Kennzahlen zu identifizieren.“
Wenige Daten zur Steuerung
Aus Sicht von Analysten hält Sack eine Konzentration auf bis zu zehn ESG-Kennzahlen für wünschenswert. Insbesondere cashflownahe Kennzahlen wie Tonne CO2-Äquivalent (tCO2e) dürften künftig gerade in den energieintensiven Industrien an Bedeutung für die Unternehmensbewertung gewinnen, während weiche Faktoren aus den Bereichen Soziales und Unternehmensführung unter Risikoaspekten in die sogenannte SWOT-Analyse und Bewertungsmodelle einfließen könnten. „Eine Reduzierung von Standards und ESG-Datenmengen geht zwar in die richtige Richtung – allerdings bleiben bis zur finalen Festlegung gewisse Unsicherheiten bestehen. Insofern kann auf einen schnellen Abschluss des Omnibus-Vorhabens nur gehofft werden, um Klarheit für alle Beteiligten zu erhalten.“ Je nach Ausgestaltung und unter dem Grundsatz „so wenig wie möglich, so viel wie nötig“ könnten positive Effekte erzielt werden, die zu Effizienzgewinnen, zu mehr Transparenz und verbessertem Risikomanagement bei Unternehmen bis hin zu Vertrauensgewinnen bei Investoren führen.
Trump macht Druck
Gegenwind für die jahrelangen Nachhaltigkeitsbemühungen kommt seit Anfang des Jahres auch aus den USA. Mit Donald Trump ist im Weißen Haus ein Präsident eingezogen, der keinen Klimawandel sieht, Geschlechtervielfalt negiert und soziale Gleichbehandlung ablehnt. Nachhaltig ausgerichtete Banken und „woke“ US-Unternehmen spüren in den USA zunehmend Gegenwind. Erste Vermögensverwalter investieren nur noch in unpolitische Unternehmen. Firmen erklären ihre Diversity-Personalpolitik für beendet. Neben zahlreichen US-Großbanken verabschiedeten sich auch Amerikas größtes Geldhaus, J.P. Morgan, sowie der Vermögensverwalter BlackRock von der Klimaallianz der Banken.
Mittlerweile drängt der US-Präsident auch europäische Unternehmen dazu, von Diversität und Inklusion abzurücken. Im März berichtete das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), dass der Pharmariese Roche die Einstellung seines Diversitätsprogramms bekannt gegeben habe. Der Konzern wolle nicht länger an seinen Zielquoten für Frauen in Führungspositionen und für ethnische Minderheiten festhalten. Auch deutsche Unternehmen mit großem USA-Geschäft planen offenbar, ihre Diversitätsprogramme zu ändern oder zu streichen. „Die Verunsicherung und Sorgen in den US-Tochtergesellschaften sind groß“, zitierte das Handelsblatt die Führungskraft eines großen DAX-Konzerns. Konkret hat die Telekom-Tochter T-Mobile US ihre Regeln für Diversität geändert. In einem Brief an die Federal Communications Commission (FCC) teilte das Unternehmen mit, seine Diversitätsprogramme zurückzufahren. Auch der deutsche Softwarekonzern SAP streicht offenbar mit Rücksicht auf die Politik von Trump seine Programme für mehr Geschlechtervielfalt, wie das „Handelsblatt“ berichtete. Bei der Vergütung des Vorstands solle Diversität ebenfalls kein Bewertungsmaßstab mehr sein.
Aus für Lieferkettengesetz?
Dr. Jan-Hendrik Gnändiger,
KPMG
Auch beim Thema Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) sollen die Zügel gelockert werden. Die neue Bundesregierung will das LkSG abschaffen und damit zum Bürokratierückbau beitragen. KPMG-Manager Dr. Jan-Hendrik Gnändiger mahnt allerdings vor zu viel Euphorie: „Der genaue Wortlaut im Koalitionsvertrag, ‚Darüber hinaus schaffen wir das nationale LkSG ab‘, muss exakt interpretiert werden, denn er kann unter schneller Betrachtung in die Irre führen, weil das Thema auch auf EU-Ebene behandelt wird.“ So sei die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) eine geplante EU-Richtlinie, die ähnliche Ziele wie das LkSG verfolge. Sie solle Unternehmen dazu verpflichten, Nachhaltigkeitsrisiken zu identifizieren und zu managen. Auch wenn die Ablösung des LkSG durch die CSDDD im Koalitionsvertrag als Erleichterung aufgeführt wird, gehe die CSDDD im ursprünglichen Gesetzestext weit über das LkSG hinaus. Dr. Gnändiger geht davon aus, dass das Lieferkettengesetz letztlich in Kraft bleibt, es aber bis zur Anwendung der neuen CSDDD Erleichterungen geben wird.
Fonds streichen „ESG“
Der Wandel bei der Nachhaltigkeit hat auch die Fondsbranche erfasst. Verschärfte Vorgaben der EU sorgen dafür, dass sich viele sogenannte ESG-Fonds umbenennen. Seit November 2024 müssen in der EU neue Fonds und ETFs, die sich mit nachhaltigen Namen schmücken, nachweisen, dass sie mindestens 80% ihres Vermögens nachhaltig investieren. Finanzprodukte, die bereits vor dem Stichtag am Markt waren, haben ihre Namen bis 21. Mai 2025 anzupassen, sofern sie nicht den neuen Vorgaben entsprechen. Der Anpassungsbedarf scheint groß zu sein. Zahlreiche Fonds haben in den vergangenen Wochen und Monaten Begriffe wie „nachhaltig“ oder „ESG“ aus ihrem Namen gestrichen oder die Anlagekriterien in den Verkaufsprospekten angepasst. „Wir schätzen, dass bei 30% bis 50% der ESG-Fonds – das sind etwa 1.200 bis 2.200 Produkte – die Namen geändert werden könnten“, zitiert das Magazin ECOreporter Hortense Bioy, Chefin des Nachhaltigkeitsresearchs bei Morningstar Sustainalytics.
Standards haben sich etabliert
Trotz dieser Turbulenzen ist nicht davon auszugehen, dass der Nachhaltigkeitsaspekt wieder aus der Unternehmenswelt verschwinden wird. Der Klimawandel ist ein Fakt, unabhängig von einzelnen politischen Ansichten. Und das Bewusstsein für faire Arbeitsbedingungen, klare Unternehmensregeln und transparente Lieferketten ist mittlerweile so weit ausgeprägt, dass es schwerfallen dürfte, diese Standards zurückzudrehen. KPMG-Partner Dr. Gnändiger verweist auf eine Umfrage seines Hauses, die zeigt, „dass trotz der gestiegenen Unsicherheiten rund um den Omnibus-Vorschlag 88% der Unternehmen ihre Projekte zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsberichterstattung nach CSRD und ESRS nicht stoppen. Drei von vier Unternehmen planen, die ESRS bereits vor der obligatorischen Einführung umzusetzen; etwa zwei Drittel der Unternehmen setzen die Berichterstattung freiwillig fort.“
Dies verdeutliche, wie wichtig die Nachhaltigkeitsberichterstattung für Unternehmen geworden ist. Die Transparenz der Berichterstattung bediene das Informationsinteresse von vielschichtigen Adressaten, diene aber auch der übergeordneten Nachhaltigkeitsstrategie. „Unternehmen nutzen die neu gewonnenen Datengrundlagen für die Analyse von Klimarisiken sowie zur Stärkung der Resilienz bei Umweltthemen. Die derzeitige Unsicherheit zur weiteren Gesetzgebung wird von Unternehmen als Gelegenheit genutzt, ihre internen Prozesse zu stärken und Entscheidungsprozesse anzupassen.“ Auch für Apobank-Chef Schellenberg ist klar: „Für uns als Bank der Gesundheit gehören die Herausforderungen des Klimawandels zu den zentralen Themen der heutigen Zeit. Das ist nicht verhandelbar – denn Nachhaltigkeit ist Haltung.“
Fazit
Auch wenn von politischer Seite derzeit teilweise eine Rolle rückwärts bei den Nachhaltigkeitsanforderungen zu beobachten ist, sind Unternehmen gut beraten, ihre Aktivitäten nicht einzustellen. Nachhaltigkeit bedeutet auch, mehr Klarheit über die eigenen Prozesse zu haben; umweltbewusstes Produzieren geht oft einher mit mehr Effizienz; wer seine Lieferketten kennt, ist besser vor Überraschungen bei seinen Zulieferern gewappnet; und wer soziale Aspekte berücksichtigt, kann im Zweifel auf motiviertere Mitarbeiter zählen. Übrigens: Möglicherweise dreht sich morgen der politische Wind hinsichtlich ESG wieder. Dann sind all jene im Vorteil, die vorbereitet sind und Erfahrung gesammelt haben.
Autor/Autorin
Thorsten Schüller
Freier Wirtschafts- und Finanzjournalist. Für GoingPublic Media betreut er das viermal jährlich erscheinende HV Magazin.