Prognosen zufolge steht Europas Autobranche vor einer Rezession. Völlig anders sehen da die Prognosen des Anlagenbauers Dürr aus. Das schwäbische Familienunternehmen blickt diesem Trend gelassen entgegen, sind die Orderbücher doch gut gefüllt. Dem Unternehmen geht es gut – was nicht immer so war. Dürr hat schwere Zeiten hinter sich, und die Familie war immer dabei.

Die Wurzeln des Unternehmens reichen bis ins Jahr 1895 zurück. Damals gründet Paul Dürr im schwäbischen Canstatt eine Bauflaschnerei und beginnt 1917 mit der Blechbearbeitung. Unter Leitung seines Sohnes Otto wird Dürr zu einem Industrieunternehmen. Inspiriert durch eine Reise in die USA steigt Dürr in den Anlagenbau ein. Die erste Anlage für die chemische Oberflächenbehandlung entsteht 1950. Darauf folgen weitere Aufträge aus der Automobilindustrie, wo Dürr dann 1963 den Durchbruch schafft.

Vorzeigegeschichte

Unter der Führung des Gründerenkels Heinz Dürr, der auch heute noch im Aufsichtsrat vertreten ist, wächst Dürr kräftig weiter. Von Anfang an steht die Expansion ins Ausland auf dem Programm der Dürrs. Bereits in den 1960er Jahren entstehen erste Tochterunternehmen in Brasilien und Mexiko. Nur ein paar Jahre später wird die erste Gesellschaft in den USA eröffnet. In der Folge expandiert das Familienunternehmen weiter, indem die Bereiche Automation und Fördertechnik hinzukommen.

1989 folgt der Gang an die Börse. Die Familie gibt die Kontrolle jedoch nicht auf – zum Vorteil des Unternehmens, wie der heutige Vorstandsvorsitzende Ralf W. Dieter findet: „Ich sehe keine Nachteile, aber viele Vorteile. In unserem extrem internationalen Geschäft sorgt der Charakter von Dürr als Familienunternehmen für Teamgeist und Kooperation. Dürr-Werte wie Vertrauen, Innovationskraft und Einsatzbereitschaft sind der gemeinsame Nenner im Konzern. Das merken wir zum Beispiel bei der Abwicklung von Großprojekten, an denen mehrere Dürr-Gesellschaften aus unterschiedlichen Ländern beteiligt sind.“

Rundum kapitalmarktorientiert

Doch nicht auf der Eigenkapitalseite bedient sich Dürr am Kapitalmarkt, sondern sammelt 2011 auch Fremdkapital über die Begebung einer Mittelstandsanleihe ein. Familienunternehmen und Kapitalmarkt – im Falle von Dürr eine gelungene Kombination, bestätigt Dieter dem GoingPublic Magazin: „Die Dürr-Firmenkultur wird von typischen Merkmalen eines mittelständischen Familienunternehmens geprägt: Flexibilität, Teamgeist, Entrepreneurship, Innovationskraft und Qualitätsorientierung. Diese Erfolgsfaktoren werden bei der Beurteilung unseres Unternehmens am Kapitalmarkt sehr geschätzt. Und umgekehrt wissen wir: Ohne den Kapitalmarkt wären wichtige Entwicklungsschritte für Dürr kaum möglich gewesen, zum Beispiel der Einstieg in die Applikations- und Robotertechnik in den 1990er Jahren. Wenn wir den Kapitalmarkt für Dürr nutzen wollen, müssen wir kontinuierlich und transparent kommunizieren. Das tun wir, wie ich denke, sehr systematisch und erfolgreich.“

Natürlich gibt es in der über 20-jährigen Börsenhistorie der Schwaben nicht nur Glanzzeiten. Dies räumt auch Dieter ein, erklärt dennoch: „Wir haben den Schritt an den Kapitalmarkt nie bereut, weil wir auch nach dem IPO immer wieder erfolgreiche Finanzierungstransaktionen durchführen konnten. Natürlich gibt es hier und da Situationen, wo die quartalsorientierte Sichtweise am Kapitalmarkt nicht unbedingt zu unserem langfristigen Geschäft als Maschinen- und Anlagenbauer passt. Aber damit können wir gut leben, zumal unsere Analysten unser Geschäftsmodell verstehen. Die schwierigste Phase war sicherlich 2004/2005, als Dürr infolge von Akquisitionen mit hohen Schulden und Fremdkapitalkosten zu kämpfen hatte.“

Neue Herausforderungen

Nachdem Heinz Dürr das Unternehmen auf internationalen Erfolgskurs geschickt hat, nimmt er eine neue Herausforderung an und versucht ab 1980, den maroden AEG-Konzern vor der Insolvenz zu retten. 1991 übernimmt Dürr dann den Chefposten bei der Bundesbahn, die er während seiner Amtszeit in ein privates Wirtschaftsunternehmen umwandelt. Dort blieb er bis 1997.

In der Zwischenzweit wächst auch der Konzern stetig weiter unter anderem durch verschiedene Akquisitionen: 1999 übernimmt Dürr die französische Alstom Automation, im Jahr 2000 folgt das Messtechnik-Unternehmen Schenk. Damit kann sich Dürr als Komplettanbieter für die Fahrzeugmontage etablieren und übernimmt im Bereich der Auswucht- und Diagnosetechnik die Führungsposition.

Neuer Lack

Doch im Zuge der Einkaufstouren scheint es, als habe sich der heutige MDAX-Konzern übernommen. Die Folge: 240 Mio. EUR Schulden, die auf dem Unternehmen lasten. 2003 müssen die Schwaben zum ersten Mal in der über 100-jährgien Firmengeschichte einen Verlust ausweisen. Die Lösung: Gesundschrumpfen und die Konzentration auf die Kernbereiche. Der Plan geht auf – Dürr zählt heute zu den führenden Anbietern von Produkten, Systemen und Dienstleitungen vorrangig für die Automobilfertigung weltweit und beschäftigt rund 7.300 Mitarbeiter. Im Jahr 2011 konnte der Umsatz um 52% auf 1,9 Mrd. EUR gesteigert werden. Das EBIT lag bei 106,5 Mio. EUR und überschritt damit zum ersten Mal die 100-Mio.-EUR-Grenze.

Fazit

Das schwäbische Familienunternehmen ist ein gutes Beispiel für den soliden deutschen Mittelstand. Das familiäre Engagement tut dem Anlagenbauer gut. Den Kapitalmarkt hat sich Dürr zunutze gemacht – und das mit Erfolg. Im Falle von Dürr passt der Börsenschuh – sowohl auf der Eigen- als auch auf Fremdkapitalseite.

Autor/Autorin