Ansonsten ist über das Unternehmen – gemessen an einem Umsatz von mehr als 12 Mrd. Euro (2006) und über 11.000 Mitarbeitern – in der breiten Öffentlichkeit vergleichsweise wenig bekannt. Das mag auch an der Unternehmensstruktur liegen, die Heraeus als ein „Konglomerat von Mittelstandsunternehmen“ bezeichnete. In seiner über 150-jährigen Geschichte hat sich Heraeus in verschiedene Richtungen entwickelt; „das“ Kerngeschäft gibt es streng genommen nicht – eher die Grundlinie, dass die Kernkompetenz im „Umgang mit Edelmetallen“ und der „Innovationskraft in der Werkstofftechnologie“ liegt. Die Diversifikation, aber auch die langfristige Ausrichtung eines Familienunternehmens sorgten in der Vergangenheit für Konstanz. Aktuell laufen die meisten Sparten gut – so konnte Heraeus für 2006 das beste Ergebnis der Unternehmensgeschichte vermelden; auch der Ausblick auf das laufende Geschäftsjahr stimmt optimistisch.

Es begann mit einer Apotheke

1851 übernahm Wilhelm Carl Heraeus die „Einhorn-Apotheke“ seines Vaters in Hanau. Die bereits damals in der Stadt präsente Goldschmiedezunft gab den Anstoß für Entwicklungen in Richtung Schmuckerzeugung, aus der dann die „erste Deutsche Platinschmelze W.C. Heraeus“ hervorging. Neue physikalische Erkenntnisse des späten 19. Jahrhunderts flossen bald in die Entwicklung neuer Verfahren und Produkte ein. Dazu zählte ein 1899 entwickeltes Verfahren zur Erzeugung von hochreinem Quarzglas, das Auslöser für eine Produktgattung war, in der beispielsweise in den 1960er Jahren spezielles optisches Quarzglas für Reflektoren gefertigt wurde, die – auf dem Mond im Zuge der Apollo-Missionen aufgestellt – noch heute zur Entfernungsmessung Erde-Mond dienen. Heute finden ähnliche Produkte ihre Anwendung in der Kommunikations- und Halbleiterindustrie. Heraeus ist zumeist als Komponentenlieferant tätig. Für den Endverbraucher taucht das Label üblicherweise nicht auf. Doch auch hier gibt es Ausnahmen wie die „Höhensonne Original Hanau“, die auf eine Entdeckung des frühen 20. Jahrhunderts im Zuge der Quarzglasforschung zurückging: Eine von Heraeus zusammen mit der AEG gegründete „Quarzlampengesellschaft“ vermarktete diesen seinerzeit neuartigen Lampentyp für den Endkunden. Heute ist die Sparte „Heraeus Noblelight“ in diesem Bereich mit UV- und Infrarot-Strahlern als Zulieferer präsent.

Stärke in Vielfalt

Die Verschiedenheit der Bereiche „Quarzglas“ und Platinverarbeitung im Schmuckbereich veranschaulicht die Bandbreite der heutigen Heraeus Holding GmbH. Die in der Vergangenheit häufig naturwissenschaftlich geprägte Unternehmensleitung war ein Garant für innovative Verfahren, die sich zum Teil in der heutigen Struktur des Unternehmens, die in fünf Konzernbereiche untergliedert ist, niederschlägt. Zwar ist die Werkstoffbe- und Verarbeitung und insbesondere der Edelmetallbereich eine der Kernkompetenzen des Unternehmens; es finden sich aber auch Produkte aus der Zahnmedizin (Heraeus Kulzer), Sensorik zur Stahlindustrie (Heraeus Electro-Nite), Quarzglas bzw. Speziallichtquellen (Heraeus Noblelight). In der fast verwirrenden Vielfalt sieht der langjährige Geschäftsführer Jürgen Heraeus einen unschlagbaren Vorteil: Diversifikation sei Stärke des Unternehmens, denn florierende Geschäftsfelder könnten vorübergehende Probleme in anderen Bereichen abfedern, wie er sich in einem Interview äußerte. Das langfristige Denken eines Familienunternehmens zahle sich hier aus. Eine Einschätzung, die durchaus in Kontrast zur gängigen Lehrmeinung einer kennzahlenorientierten Unternehmensführung steht. Damit dies auch weiterhin möglich ist, wird ein Börsengang nicht erwogen – dann sei man zu sehr dem Druck des Kapitalmarkts ausgesetzt, der Mischkonzernen nicht besonders gewogen sei. Heutiger Eigentümer des Familienunternehmens ist die 1995 gegründete „Einhorn Verwaltungsgesellschaft“, in die Familiengesellschafter und Familienmitglieder ihre Anteile einbrachten.

Globalisierung made in Hanau

Mehr als 70% der heutigen Umsätze werden im Ausland erwirtschaftet; auch gut 60% der Beschäftigten arbeiten außerhalb Deutschlands. Der Grundstein zur internationalen Expansion wurde bereits in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg mit der Gründung von Vertriebsgesellschaften in Frankreich und Italien gelegt. 1972 folgte die Gründung von Auslandstöchtern und Beteiligungen in England, den USA und Japan. Entscheidend für die Umwandlung in einen global operierenden Konzern war die Gründung der Heraeus Holding GmbH (1985) und die anschließende Dezentralisierung bzw. Umstrukturierung verschiedener Geschäftsbereiche. Die Holding steht heute einem Netzwerk von mehr als 100 Tochter- und Beteiligungsunternehmen voran. Das Konzept eines Verbundes, der den einzelnen Teilen Freiheiten gewährt, scheint sich auszuzahlen: Heraeus ist über die letzten Jahre hinweg kontinuierlich gewachsen; der Umsatz stieg von 4,6 Mrd. Euro (1997) auf 12,1 Mrd. Euro (2006) – auch eine Folge der Rohstoffpreisentwicklung und einer hohen Nachfrage aus der Chemie- und Elektronikindustrie.

2007 kürten die Financial Times Deutschland, Intes und Impulse Jürgen Heraeus zum „Familienunternehmer 2007“ – eine Anerkennung für das Werk des mittlerweile 71-Jährigen, der bei Heraeus 2000 in den Aufsichtsrat wechselte und nun zum neuen Vorsitzenden von Unicef ernannt wurde.

Fazit

Vom Produktspektrum und der Ausrichtung auf Nischenmärkte mit innovativen, spezialisierten Komponenten und Produkten her repräsentieren die einzelnen Teilbereiche der Heraeus Holding GmbH den klassischen deutschen Mittelstand. Der Verbund eines „Mischkonzerns“ und das längerfristige Denken eines Familienunternehmens können aber für die „Einzelteile“ von Vorteil sein, da im Hause Heraeus das Stützen von zeitweilig schlechter laufenden Geschäftsbereichen durch die rentableren einkalkuliert wird. In Bezug auf die Umsatzentwicklung der letzten Jahre sollte dennoch nicht vergessen werden, dass einer der Kernbereiche des Unternehmens, der Handel mit Edelmetall, in den letzten Jahren aufgrund der Rohstoffpreisentwicklung seinen Beitrag zu den Umsätzen deutlich ausbauen konnte (Anteil des Edelmetall-Handelsumsatzes am gesamten Umsatz 1997: 63%; 2006: 77%). Den Ankauf von privatem Gold hat das Unternehmen dennoch bereits im Februar gestoppt, als es aufgrund hoher Goldpreise mit Anfragen von Privatkunden eingedeckt wurde. „Wir sind ein Industrieunternehmen und keine Bank, wo man sein Gold auf den Tresen legen kann“, so der zuständige Bereichsleiter. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Jörg Müller

Kurzprofil

Heraeus Holding GmbH

Gründungsjahr

1851

Branche

Mischkonzern

Unternehmenssitz

Hanau

Mitarbeiter 2005

10.625

Mitarbeiter 2006

11.275

Umsatz 2005 (Mio. Euro)

9.311

Umsatz 2006 (Mio. Euro)

12.080

davon Edelmetall Handelsumsatz 2005 (Mio. Euro)

7.200

davon Edelmetall Handelsumsatz 2006 (Mio. Euro)

9.390

EBIT 2005 (Mio. Euro)

178

EBIT 2006 (Mio. Euro)

291

Dieser Artikel erschien ursprünglich im GoingPublic Magazin 5/2008.
(Erscheinungsdatum 26. April 2008)

 

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