Diese Probleme hätte ich gerne, wird sich die deutsche Regierung denken – und nicht nur die deutsche. Während es in Deutschland nur noch Defizite und soziale Einschnitte zu verwalten gibt, existieren weltweit doch tatsächlich noch eine Handvoll Länder, denen am Ende eines Fiskaljahres noch etwas Sand im Sieb hängenbleibt.
Eines davon ist Kanada. Dies ist auch deshalb erwähnenswert, weil es sich bei Kanada nicht um einen erdölexportierenden Mittlerer-Osten-Staat handelt, sondern um ein Land der sogenannten nördlichen Hemisphäre, nicht zuletzt ein G7-Partizipant und hierunter der einzige mit einem Überschuß. Der Abschluß für das im Frühjahr zu Ende gegangene Fiskaljahr weist ein Plus von 7 Mrd. CAN-$ aus, doppelt so viel wie ursprünglich im Etat vorgesehen und im übrigen auch schon das sechste Haushaltsjahr in Folge im grünen Bereich.
Bevor es um die Verteilung des Happens geht, ist die Frage berechtigt, wieso Kanada ein Plus präsentieren kann, während andere G7-Staaten in Diskussionen über ihre ausufernden Haushaltsdefizite zu zerbrechen drohen. Noch-Premier Chrétien schaffte es im Laufe seiner vieljährigen Amtszeit, rigorose Sparprogramme durchzuboxen. Damit tut sich keine Regierung der Welt leicht. Operation gelungen, aber Patient tot? Das kanadische Gesundheitswesen braucht Milliardenzuschüsse, die Sozialabsicherung allein erziehender Eltern ist Besorgnis erregend und auch die Wohnungsnot sowie die Kinderarmut sind eines Landes wie Kanada unwürdig. Im wahrsten Sinne des Wortes mangelhaft stellt sich auch die Situation im Bildungssektor dar sowie diejenige im Militär. Studenten werden durch hohe Studiengebühren abgeblockt und Anfragen nach gebotenen UNO-Einsätzen muß Kanadas Militär abschlägig erteilen.
Der Sparkurs hat deutliche Risse im sozialen Gefüge mit sich gebracht, doch scheint dies der Preis zu sein, den eine Regierung für die Vermeidung von Haushaltsdefiziten heute zahlen muß. Großbritannien und mit Abstrichen Schweden sowie die Niederlande haben einen ganz ähnlichen Weg beschritten. Haushaltsüberschüsse und ein für alle Bürger komfortabler Sozialstaat, in dessen sozialem Netz niemand durch die Maschen rutscht, scheinen nicht miteinander vereinbar, das eine ohne das andere nicht konstruierbar. Daß Kanada überhaupt noch einen Milliardenüberschuß hat, verdanken sie auch der sturen Weigerung von Chrétien, sich an der Irak-Besatzung zu beteiligen. Nicht zufällig wartet man im Weißen Haus auf eine US-freundlichere kanadische Regierung ab nächstem Jahr, wenn Martin ins Amt kommt.
In welche Bahnen Paul Martin, der erste kanadische Regierungschef aus Unternehmenskreisen, die Haushaltsüberschüsse lenken wird, ist noch unklar. Forderungen haben natürlich sämtliche Interessensgruppen angemeldet, obwohl laut Gesetz Überschüsse in die Schuldentilgung zu fließen haben. Dies führte in den letzten fünf Jahren dazu, daß Kanada seine Verschuldung, ausgedrückt als Verhältnis zwischen Schulden und Bruttoinlandsprodukt, von 70 % auf 40 % senken konnte. Ziel sind 25 % – aber zu welchem Preis? Nicht ganz zu unrecht werden inzwischen die Bedenken immer lauter, daß der massive Sparkurs an den notwendigsten Bedürfnissen der kanadischen Bevölkerung vorbeigeht. Hier eine Balance zu finden, dürfte keiner Regierung, nirgendwo, in den Schoß fallen. Aber es bleibt dabei: Andere Länder – wie Deutschland, Frankreich, Italien und nicht zuletzt Schuldenmacher- und -verursacher Nummer Eins: die USA – würden mit Kanada wahrscheinlich dennoch gerne tauschen.
Die GoingPublic Kolumne erscheint zweimal wöchentlich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.