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Ein ereignisreiches Jahr 2020 und ein ebenso spannendes wie herausforderndes erstes Halbjahr 2021 liegen hinter uns. Die Erkenntnisse, die der Markt in den vergangenen Monaten mit Blick auf den Underwriting-Prozess sammeln konnte, waren selten so facettenreich und prozessgestaltend in der noch immer vergleichsweise jungen Branche.

Natürlich lag dies überwiegend an der COVID-19-Pandemie. Der Markt hat diese zum ­Anlass genommen, rechtliche wie praktische ­Themen des Underwriting-Prozesses zu besprechen und neu zu bewerten. Es lohnt daher eine Betrachtung der gegenwärtig intensiv diskutierten Themen, hier mit besonderem Blick für rechtlich ­aktuell bedeutsame Praxisfelder, die natürlich nach wie vor ganz im Zeichen der durch die Deltavarianten erneut aufflammenden Pandemie stehen.

Initialzündung für intensive Marktdiskussionen war der signifikante Rückgang der globalen M&A-Aktivitäten 2020. ­Verschiedene Quellen gehen von einem Einbruch von ca. 25% allein in den ersten drei Monaten aus, für das gesamte Jahr 2020 wohl von ca. 50%. Das ist historisch, war aber natürlich zugleich eine Chance des Markts, bestimmte Deckungsthemen genauer auf den Prüfstand zu stellen und einem Test auf Praxistauglichkeit zu ­unterziehen: Denn weniger Deals heißt weniger Grundrauschen bei allen Beteiligten, aber auch veränderte Anforderungen an die Coverage-Positionen.

Blanket Exclusions für Pandemie­risiken setzen sich nicht durch

Nicht wenige Berater hatten sich mit Ausbruch der Pandemie zunächst mit ihren Mandanten sowie den zumeist umfang­reichen Kaufvertragswerken zurückge­zogen und die ggf. vereinbarte sogenannte MAC-Clause analysiert, die z.B. ein Rücktrittsrecht vom Vertrag oder von der Vollziehungspflicht desselben bei erheblichen unternehmens- oder marktbedingten Veränderungen des zugrunde gelegten ­Zustands einräumt.

Es war zudem erstaunlich, wie schnell und in welcher Form die Versicherer auf die Pandemie reagiert ­haben – nämlich mit dem Ausrufen einer globalen, versicherungsspezifischen „Schutz­maske“ gegen COVID-19-indizierte Pro­blemfelder, also in Form eines Generalausschlusses (Blanket Exclusion). Angesichts der allgemeinen Unsicherheit ­einer völlig neuen ­Risikokategorie war es durchaus logisch, dass der Markt versucht hat, dem Thema möglichst systematisch zu ­begegnen und größtmögliche Vorsicht walten zu lassen. Dabei galt es zu beachten, dass der ­Charakter der garantie­basierten Police ohnehin nicht vorausschauender Natur ist. Ebenso schnell, wie dieses Universalinstrumentarium gegen etwaige Pandemierisiken in den Markt ­eingebracht ­wurde, war es dann allerdings auch schon wieder verschwunden – nicht durchsetzbar und im Allgemeinen viel zu grobmotorisch, als dass es die tatsäch­lichen Risiken des Targets passgenau ­abfangen könnte, wie es eine Police auch zum Ziel hat. Mit fortschreitender Pandemie konnten aber auch potenzielle Risiko­felder besser eingeschätzt und branchenspezifisch bewertet werden.

Lesen Sie hier unser M&A Insurance Special 2020.

Due Diligence als zentrale ­Schaltstelle der Risikoallokation

Logische Konsequenz war die Rückverortung des Problemkreises COVID-19 in das allgemeine Underwriting. Dort wurde dann eine andere Form des Abklopfens ­etwaiger Risiken aus der Pandemie ­etabliert, nämlich standardisierte COVID-19-Fragestellungen im Rahmen der Underwriting Questionnaires, unterstützt durch zielgerichtete weitere Nachfragen im ­Underwriting Call und einer passgenauen Bewertung für die Police, etwa in den ­Bereichen Human Resources und Beihilfen (Kurzarbeit!), Fortbestehen der Lieferketten oder auch Compliance.

Dass Industriezweige wie Hotellerie, die Reisebranche insgesamt, und der ­ohnehin schwer zu greifende und damit zu bewertende Bereich der Freizeitindustrie mit ihren teils herausragenden Margen ­besonders intensiv unter die Lupe genommen wurden und werden, ist daher nur ­folgerichtig.

Entscheidend für das erfolgreiche ­Underwriting sind aber vor allem Nachweise im Rahmen des gesichteten Due-­Diligence-Materials, die zeigen, dass die Fortführung des Geschäftsbetriebs und dessen generelle Robustheit im Rahmen des Businessmodells eingehend geprüft wurden. Lücken in diesen Bereichen ­machen es dem Underwriter schwer, die damit zusammenhängenden Themen im Rahmen der Police als gedeckt vorzu­sehen.

Hier finden Sie die Beiträge unseres M&A-Insurance-Themenmonats.

Spezielle Themenkomplexe, die im Rahmen der Due Diligence in den Vordergrund rücken, können etwa die eingehende Untersuchung einer lückenlosen Unter­suchung der Bereiche Customer and ­Supplier sein. Wie bereits erwähnt stellen Lieferkettenthematiken mittlerweile heraus­ragende Eckpfeiler dieser Prüfung dar. Klar ist inzwischen allerdings auch, dass eine ausreichend nachvollziehbare und weitgehend lückenlose Due Diligence in diesen Bereichen entsprechende Deckungen in den Policen nach sich ziehen wird. Man hat also auf beiden Seiten gelernt, mit den Themen sinnvoll und risikogerecht umzugehen.

Vollsynthetische Coverage bereitet nach wie vor Schwierigkeiten

Aktuell rückläufig ist die Forderung nach, aber auch die reine Diskussion zu voll­synthetischen Coverage-Positionen. Als Rettungsanker für Distressed-M&A-Transaktionen hat sich das Produkt bislang nicht etablieren können. Neue Aktualität wird die Diskussion möglicherweise nach dem Auslaufen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zum 30. September 2021 (Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur ­Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVID-19-Insolvenzaussetzungs­gesetz – COVInsAG)) erhalten, aber auch das bleibt unklar.

Anders verhält es sich bei punktuellen teilsynthetischen Deckungen oder den etablierten synthetischen Steuerfreistellungen, wenn der Kaufvertrag selbst keine Steuerfreistellung enthält. Hier ergibt sich der Marktstandard vor allem daraus, dass die Steuerfreistellung selbst den Richtlinien des Marktüblichen folgt. Die Due Diligence gibt erneut die entsprechenden Rahmenparameter vor.

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Enhancements als Dauerbrenner

Synthetische Verbesserungen (Enhancements), die im Rahmen der Police Erleichterungen gegenüber dem Wortlaut des Kaufvertrags festschreiben, sind ebenso wie teilsynthetische Lösungen in Form von Management Warranty Deeds Dauerbrenner geblieben. Bekannte und bewährte Standorte sind die Verjährungsfristen, ­Offenlegungsgrundsätze sowie Materiality- und Knowledge Scrapes, bei denen die ­Garantie zur objektiven Garantie wird. ­Gerade Knowledge Scrapes werden standardmäßig bereits im Rahmen der Non-Binding Indication des Underwriters abgefragt, womit dieser erklären soll, ob eine wissensqualifizierte Garantie für die ­Zwecke der Police als objektive Garantie gelten kann. Hier hat sich der Markt schlicht weitergedreht und für Standar­disierung gesorgt. Natürlich liegt damit ein weiteres Thema im Feld des Under­writers, das er seinen etwaigen Beratern entsprechend mit auf den Weg gibt.

Versicherung bekannter Transak­tionsrisiken auf dem Vormarsch

Ebenfalls aktuell geblieben sind Versicherungen bekannter Risiken (etwa zu Title; Steuern). Haben diese transaktionsrelevante Bedeutung, kann deren Eintritt also die Transaktion insgesamt gefährden, so verlangt der Markt immer häufiger nach gesondertem Versicherungsschutz. Hier kommen spezielle Versicherungspolicen ins Spiel, die sich auf gut dokumentierte und vor allem eingrenzbare bekannte Risiken beziehen. Die Dokumentation selbst wird zumeist flankiert durch eine recht­liche Einschätzung seitens des Versicherungsnehmers (zumeist durch dessen ­Berater), die das zu versichernde Risiko auch rechtlich qualifiziert und spezi­fiziert.

Fazit

Der Markt bleibt in Bewegung. Während Blanket Exclusions für COVID-19 Themen vom Tisch sein dürften, verlagern sich das Underwriting und die Risikodeckung hin zu punktuellen, teilweise synthetischen Erweiterungen der Deckung. Diese dürften in Zukunft weiter zunehmen. Die Qualität der Due Diligence wird weiter entscheidend die Richtung der Deckungspositionen vorgeben, wodurch der Versicherungsnehmer im Vorfeld maßgeblich den ­Umfang und die Qualität der zu erreichenden Deckung beeinflussen kann.n

Zum Autor
Dr. Marco Niehaus, LL.M. (Cambridge), LL.M. Eur. ist Rechtsanwalt und Partner bei Norton Rose Fulbright im Bereich Corporate, M&A und Securities, mit besonderem Beratungsschwerpunkt in den Bereichen Restrukturierungen, Insolvenzen und Distressed M&A.

Autor/Autorin

Dr. Marco Niehaus

Dr. Marco Niehaus, LL.M. (Cambridge), LL.M. Eur. ist Geschäftsführer und Head of M&A für Deutschland, Österreich und die Schweiz (DACH) bei Acquinex. Vor seiner Bestellung als Geschäftsführer war er langjähriger Partner bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Norton Rose Fulbright LLP. Insgesamt blickt er auf mehr als 15 Jahre Transaktionserfahrung vor allem in den Bereichen Strategic M&A und PE-Investments (Sell Side und Buy Side) bei verschiedenen Großkanzleien zurück und veröffentlicht regelmäßig zu den Themen Corporate/M&A, Private Equity und W&I.