GoingPublic: Wie wird sich die Nutzung von Nebenstoffströmen in den nächsten fünf bis zehn Jahren verändern? Welchen Einfluss auf die Industrie wird die Entwicklung haben?

Meurer: Kohlenstoffreiche Nebenströme werden in steigendem Maße für die industrielle Produktion nutzbar gemacht, was zu einer Verlagerung der Produktionsstätten an die Orte der NSS-Entstehung führen wird. Die Technologien zur Verwertung bzw. Veredelung von NSS basieren hier u.a. auf einer mikrobiellen Umwandlung der Stoffströme in für die Produktion von Wertstoffen verwendbare Ausgangsstoffe. Es ist beispielsweise sinnvoll, im Umfeld der CO2 emittierenden Kraftwerke und Industriebetriebe Bioraffinerien entstehen zu lassen, um einen lokal geschlossenen Kohlenstoffkreislauf zu etablieren. Wir sind dabei in Deutschland gut aufgestellt und auf einem erfolgreichen Weg.

Riesmeier: Im Vordergrund der Nutzung von NSS steht die Ressourcenschonung. Die optimale Ausnutzung von Rohstoffen im Produktionsprozess eröffnet durch den Einsatz von Biotechnologie bisher unbekannte Möglichkeiten. Wir rechnen damit, dass in der nächsten Dekade eine Vielzahl von Prozessen entwickelt und in bestehende Produktionen integriert wird, um hier neue Wertstoffe bzw. „wertvollere“ Produkte wie biobasierte Chemikalien und Biokunststoffe herzustellen.

da Fonseca-Zang: Die Nutzung von Nebenstoffströmen wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Wettbewerb um die interessantesten Nebenstoffströme führen, wird sich aber aus wirtschaftlicher und umweltpolitischer Hinsicht überwiegend zum Vorteil aller Beteiligten herausstellen. Ein Beispiel ist die Entwicklung in der Ethanol- und Zuckerindustrie, die sich selbst bereits seit einigen Jahren als zuckerenergetischer Industriebereich bezeichnet, da neben Zucker und Ethanol Elektrizität durch Verbrennung von Bagasse in nennenswertem Umfang erzeugt wird.

GoingPublic: Meine Damen und Herren, vielen Dank für das Gespräch.

Den Roundtable leitete Tobias Gimpel.

 

Dr. Martina Döring ist Agrarwissenschaftlerin und gründete 2009 zusammen mit Dr. Landschütz die aevotis GmbH. Für ihre Kunden entwickelt die aevotis GmbH biotechnologische Prozesse zur Produktion hochwertiger Kohlenhydratprodukte auf Basis ungenutzter pflanzlicher Biomasse.

 

Dr. Guido Meurer ist Biologe und seit 2003 Leiter der Abteilung Stammentwicklung der BRAIN AG in Zwingen-berg. Im Rahmen der Innovationsallianz ZeroCarbFP entwickelt die BRAIN AG mit der RWE Power AG Techniken zur biotechnologischen Kohlenstoffdioxidfixierung aus Kraftwerksabgasen.

 

Dr. Jörg Riesmeier ist Geschäftsführer der DIREVO Industrial Biotechnology GmbH. Das Unternehmen ist spezialisiert auf die Entwicklung von biologischen Lösungen zur nachhaltigen Verwertung von Biomasse. Der Einsatz von maßgeschneiderten Enzymen und Mikroorganismen erlaubt die Optimierung bestehender Prozesse und die Herstellung neuer, umweltfreundlicher Produkte.

 

PD Dr. Jens Schrader ist Biotechnologe und Vorstandsmitglied des im März 2012 gegründeten DECHEMA-Forschungsinstituts, einer gemeinnützigen Stiftung, welche die Forschung des früheren Karl-Winnacker-Instituts der DECHEMA e.V. fortführt. Für seine Forschungen zur biotechnologischen Konversion von Terpenoiden erhielt er 2011 den Otto von Guericke-Preis der AiF.

 

Marie Shrestha ist Biologin und seit 2006 Teamleiterin des Bereichs Food Technology & Bioprocess Engineering am ttz Bremerhaven. Hier entwickelt sie Verfahren zur Gewinnung von gesundheitsfördernden Substanzen aus Nebenstoffströmen der Lebensmittelindustrie.

 

Prof. Dr. Warde Antonieta da Fonseca-Zang ist Chemikerin und Koordinatorin des Masterstudiengangs „Nachhaltige Prozesstechnologien“ an der brasilianischen TH des Bundes (IFG) am Campus Goiânia. Dabei sucht sie nach neuen Anwendungsmöglichkeiten für die Nebenstoffe der brasilianischen Zucker- und Ethanolindustrie.

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