Ist der DiGA-Hype schon wieder vorbei? Gab es ihn überhaupt? Wie schätzen die Krankenkassen die Entwicklungen in ­diesem neuen Bereich der Gesundheitsanwendungen ein? Wir sprachen dazu mit Felix Bücke, Produktmanager digitale ­Gesundheitsanwendungen der DAK-Gesundheit. Von Urs Moesenfechtel

 

Plattform Life Sciences: Herr Bücke, DiGAs waren in den letzten Jahren in aller Munde. War der Hype gerechtfertigt?

Bücke: Der zuletzt veröffentlichte DiGA-­Bericht des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) machte sehr deutlich: DiGAs haben zahlreiche Vorschusslorbeeren erhalten, die Erwartungen waren hoch. Praxiserfahrungen haben bisher aber nur wenige ­unserer Kundinnen und Kunden gemacht. Für die allermeisten hat sich durch DiGAs erst einmal nicht viel geändert. Nach ärztlicher Verschreibung können Versicherte das Rezept bei ihrer Krankenkasse einreichen. Diese übernimmt dann die Kosten für eine jeweils 90-tägige Nutzung. Die Krankenkassen haben dafür auch intern neue Bearbeitungsprozesse aufgesetzt. Die Ärzteschaft ist gespalten: Die einen bilden sich weiter und nehmen DiGAs in ihre Patientenbehandlung auf, andere ­stehen dem Thema eher skeptisch gegenüber. Der Hype spielte sich vor allem auf medialer Ebene ab; er spiegelt sich in der Praxis so nicht wider.

Wie schätzen Sie angesichts dieser ­Bestandsaufnahme die Entwicklungs­potenziale ein?

Wir haben eine Art Plateau erreicht. Ob jetzt der nächste große Entwicklungs- und Nutzerzahlenaufschwung kommt, wird sich zeigen. Dabei werden vor allem ­folgende Faktoren entscheidend sein: ­Welche neuen Indikationen erschließen sich die DiGA-Hersteller, wie erfolgreich werben sie für ihre Produkte, wie binden sie die Ärzteschaft ein und wie arbeiten sie mit den Krankenkassen zusammen. Es haben sich beispielsweise einige wenige Hersteller gleich zu Beginn ihrer Entwicklungstätigkeit mit den Krankenkassen in Verbindung gesetzt und Patientenbedarfe sowie Abrechnungsmodalitäten erfragt. Die Erkenntnisse daraus haben sie bei ­ihren Entwicklungen berücksichtigt. Die Mehrzahl der Hersteller hat das aber nicht getan – das müsste sich ändern. Durchschnittliche DiGA-Nutzerinnen und -Nutzer sind 45 Jahre alt. Die meisten DiGA-Anbieter werben aber auf Plattformen, die vorwiegend jüngere Leute erreichen. Von den jüngeren, digitalaffinen Zielgruppen werden DiGAs jedoch weniger stark genutzt.

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Welche „DiGA-Trends“ sind denn zu beobachten?

Derzeit sehen wir einen leichten Zuwachs bei Femtechs, also DiGAs zu Frauen­themen wie Brustkrebs, Vaginismus oder auch Migräne. Stand heute gibt es aber überhaupt nur 45 (28 vorläufige und 17 dauerhafte) DiGAs in Deutschland, die beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelistet sind und die dadurch grundsätzlich nach § 33a Sozialgesetzbuch V erstattungsfähig sind, wenn keine Kontraindikationen beim Patienten vorliegen. 45! Das ist eine kleine Anzahl. Der Trend geht aktuell in Richtung Mental Health. Fast die Hälfte aller zugelassenen Produkte beschäftigt sich mit diesen Inhalten.

DiGAs sind von vielen Akteuren mit dem Argument der Kostensenkung im Gesundheitswesen gepusht worden. Hat sich dieser Wunsch erfüllt?

DiGAs sind aufgrund des vorherrschenden Angebots und ihrer Nutzerzahl weit davon entfernt, diesen Anspruch zu erfüllen oder bisherige Behandlungsformen zu ­ersetzen. Deshalb ist eine nennenswerte Kostensenkung nicht zu erwarten. Es ist eher so: DiGAs werden in der Regel on-top zu anderen Behandlungsformen verschrieben oder überbrücken Wartezeiten auf einen Therapieplatz. Sie sind also kein Ersatz für andere Therapieformen. Hersteller können den Preis für ihr Produkt zunächst beliebig festlegen und verlangen nicht selten weit über 500 EUR für eine 90-Tage-Nutzung. Damit sind DiGAs im Vergleich zu anderen Anwendungen sehr hochpreisig. Daher sind auch keine Kostensenkungen möglich. Besonders problematisch ist: Entwickler müssen eine Zulassung ihrer DiGA beim BfArM beantragen. Darauf folgt ein „Fast-Track-Verfahren“, also die „schnelle Prüfung“, ob die DiGA die Datenschutzbestimmungen erfüllt und eine medizinische Evidenz vorliegt. Im ­Optimalfall wird die abgeschlossene ­Studie, der Evidenznachweis, bereits bei Beantragung auf Listung vorgelegt. Das ist aber kein Muss. Es besteht die Möglichkeit, den Evidenznachweis erst ein Jahr später vorzulegen. Die Nachweisfrist kann sogar verlängert werden. Das bedeutet, dass eine DiGA, deren Evidenznachweis noch aussteht, dennoch bereits „auf ­Probe“ in die BfArM-Liste aufgenommen werden kann. Ab diesem Zeitpunkt ist sie voll erstattungsfähig.

Felix Bücke. Copyright: Felix Bücke

Sind die DiGAs also ein Flop?

Die große Chance der DiGAs sehen wir bei der Therapieunterstützung oder -über­brückung, z.B. im Psychotherapie- oder Physiotherapiebereich. Auch wenn DiGAs gegenwärtig die gängigen Behandlungsformen nicht ersetzen, ergibt ihre Nutzung in Kombination mit anderen Behandlungsformen Sinn. Positiv ist auch, dass sie praktisch von jedem Ort aus nutzbar sind und in der Regel keine Dritten benötigt werden. Nur müsste hier die Motivation zur eigenverantwortlich gesteuerten regelmäßigen Nutzung verbessert werden. Wir als Krankenkassen wünschen uns mehr „Nutzer-Insights“. Wir haben an der Stelle einen blinden Fleck, weil wir nicht wissen, ob die Anwendung dem ­Patienten einen subjektiven Nutzen ­gebracht hat oder nicht. Hier gilt es nachzubessern.

Es fehlt also an Feedbackschleifen …

Ja. Diese sollten standardisiert und aus­sagekräftig sein. Modular aufgebaute ­DiGAs brächten sicher einen Fortschritt. Durch sie ließe sich besser nachvoll­ziehen, ob unsere Versicherten die Bausteine einer DiGA in Anspruch genommen haben und ob Heilungserfolge erzielt wurden. Die DAK-Gesundheit steht DiGAs positiv ­gegenüber. Aber es gilt: Wir haben mit ­unserem Angebot den ­Patientennutzen im Blick und nicht die Anzahl der Downloads der Anbieter. Bisher hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 16 DiGAs dauerhaft und 27 vorläufig in ­seine Liste aufgenommen. Es besteht die Gefahr, dass ein Großteil wieder von der Liste genommen werden muss, weil ihre Evidenz nicht nachgewiesen werden kann. Würden Hersteller stärker mit Patienten, Ärzten und Krankenkassen zusammen­arbeiten, wäre diese Gefahr geringer. Ein positives Gegenbeispiel sind die digitalen Pflege­anwendungen (DiPAs). Hier werden nur die Anwendungen in die Liste der ­erstattungswürdigen Produkte aufgenommen, deren Evidenz bereits nach­gewiesen wurde. Darüber hinaus gibt es einen ­monatlichen Nutzungsfestbetrag von 50 EUR, der von den Pflegekassen übernommen wird. Das könnte auch für DiGAs gelten.

Herr Bücke, danke für das informative Gespräch.

Das Interview führte Urs Moesenfechtel.

Dieser Artikel ist in der Plattform Life Sciences-Ausgabe „Smarte Medizin“ 1/2023 erschienen, die Sie hier als E-Magazin abrufen können.


Zum Interviewpartner:

Felix Bücke ist Produktmanager bei der DAK-Gesundheit und dort verantwortlich für die interne Prozessbetreuung und -weiter­entwicklung sowie die Vertretung der politischen Interessen der DAK-Gesundheit im Bereich digitaler Anwen­dungen wie DiGAs, DiPAs und digitaler Versorgungsprodukte.

Autor/Autorin

Redaktionsleiter Plattform Life Sciences at GoingPublic Media AG | Website

Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.