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Deutschland steht vor Herausforderungen beim Transfer von Forschung in Märkte. Die Prozesse für Zulassungen sind oft langwierig, es gibt finanzielle Hürden sowie einen Mangel an unterstützenden Netzwerken. Um diese Blockaden zu überwinden, sind klare politische Rahmenbedingungen für die Life Sciences erforderlich. Ein „Anruf“ in Berlin. Von Dr. Sven Wagner

 

München und Göttingen gehören zu den bekanntesten Life-Science-Standorten Deutschlands.[1] Beide Regionen zeigen eindrucksvoll, welches Potenzial in spezialisierten Gründungszentren liegt: Die Life Science Factory fördert forschungsnahe Innovationen und stärkt mit Partnern wie dem Life Science Valley oder Initiativen wie GOe FUTURE das regionale Ökosystem. [2] Der Leuchtturmstatus Göttingens und Südniedersachsens im Bundeswettbewerb „Startup Factories“ unterstreicht, dass hier bereits wichtige Strukturen entstehen.

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Doch das Beispiel macht auch deutlich: Ein innovationsfreundliches Klima wächst nicht allein aus Ideen und regionalem Engagement. Gründende und etablierte Unternehmen der Lebenswissenschaften brauchen verlässliche Rahmenbedingungen, die über allgemeine Förderzusagen hinausgehen.

Dieser Beitrag zeigt, welche konkreten Erwartungen sie an die Politik haben – damit Deutschland seine Chancen im globalen Wettbewerb um Life-Science-Innovationen nicht verspielt.

Regulatorik beschleunigen, ohne Sicherheit zu kompromittieren

Die regulatorischen Hürden gehören zu den größten Herausforderungen – sowohl im MedTech- und Diagnostikbereich als auch im Biotech-Bereich sowie der Wirkstoffentwicklung. Viele Startups berichten, dass sich Produktentwicklungszyklen durch langwierige Zulassungsprozesse über Jahre verzögern. Das bremst nicht nur Innovation, sondern gefährdet in der Frühphase auch die Finanzierung.

Dr. Felix Carl Wiegandt, Gründer und CEO des Startups InhalPlus berichtet: „Als junges MedTech-Unternehmen stehen wir vor der Herausforderung, eine innovative Inhalationstherapie für Frühgeborene durch den CE-Zertifizierungsprozess zu bringen – ein Schritt, der hohe Anforderungen an klinische Daten und Dokumentation stellt. Gerade für forschungsnahe Startups wie InhalPlus bedeutet das: viel Koordinationsaufwand, lange Vorlaufzeiten und ein spürbares regulatorisches Risiko – trotz frühen klinischen Nutzens und positiver Resonanz von Klinikpartnern.“

Forschungsarbeiten in den Räumlichkeiten der Life Science Factory – hier Laborforschung bei Avocet Bio. Copyright Foto: Tillmann Franzen
Forschungsarbeiten in den Räumlichkeiten der Life Science Factory – hier Laborforschung bei Avocet Bio. Copyright Foto: Tillmann Franzen

Was es braucht, sind differenzierte, risikobasierte Zulassungswege, transparente Anforderungen und beschleunigte Prüfprozesse – gerade für klinisch validierte Technologien. Internationale Vorbilder wie die „Breakthrough Device“-Designationen der FDA oder spezielle Startup-Pilotprogramme bieten hier wichtige Impulse.[3] Die Politik sollte regulatorische Behörden stärker für kollaborative Formate öffnen und mutige Experimentierräume für Innovationsprodukte schaffen.

Finanzierungslücken gezielt schließen – besonders in der klinischen Phase

Der viel zitierte Zukunftsfonds ist ein wichtiges Signal, deckt aber nicht alle Bedarfe.[4] Für forschungsintensive Startups bleiben die kapitalintensiven Phasen – etwa IP-Sicherung oder klinische Studien – oft unterfinanziert. Hier sind maßgeschneiderte Instrumente gefragt: beispielsweise zweckgebundene Zuschüsse für klinische Studien, frühphasige Matching-Fonds oder steuerliche Anreize für Investitionen in High-Risk-Projekte.

„Gerade für visionäre Technologien in frühen Phasen fehlt oft das passende Kapital“, erklärt Dr. Serghei Glinca, Gründer des Biotech-Unternehmens CrystalsFirst. „In Deutschland investieren viele lieber in bewährte Produktideen als in visionäre Ansätze – selbst wenn diese global konkurrenzfähig wären. Für unsere Plattform zur strukturgeleiteten Medikamentenentwicklung bedeutet das: Wir müssen internationale Wege mitdenken, weil die Finanzierung hierzulande nicht mit der Innovationshöhe mitwächst.“

Zudem sollte der Bund systematisch Kooperationen mit privaten Investoren fördern – etwa durch Public-Private-Partnerships oder Co-Investment-Plattformen mit klarer Sektororientierung.

Ausgründungen aus der Wissenschaft gezielt fördern

Der Übergang von der exzellenten Forschung in die unternehmerische Praxis bleibt eine der zentralen Schwachstellen im deutschen Innovationssystem. Viele vielversprechende Projekte bleiben im akademischen Raum stecken – aus Mangel an Finanzierung, Know-how oder Mut zur Kommerzialisierung. Dabei wären gezielte Anreize für Ausgründungen aus Hochschulen und Kliniken ein starker Hebel.

Was es braucht, sind meilensteinbasierte Förderprogramme, systematische Transferformate sowie niedrigschwellige Unterstützungsangebote für wissenschaftsnahe Gründungsteams. Die Life Science Factory arbeitet hier eng mit Partnern wie der Universitätsmedizin Göttingen zusammen, um genau diese Brücke zu bauen.

Forschungsarbeiten in den Räumlichkeiten der Life Science Factory - hier Laborforschung bei Avocet Bio. Copyright Foto: Tillmann Franzen
Laborforschung bei Avocet Bio. Copyright Foto: Tillmann Franzen

So kam auch Prof. Dr. Elisabeth Zeisberg, Gründerin von Avocet Bio, mit ihrem Startup zur Life Science Factory. „Die Idee zu unserer antiviralen Therapie entstand im universitären Labor. Doch für die Umsetzung brauchten wir nicht nur andere Fachrichtungen, sondern auch mehr Kapital als über klassische Forschungsförderung möglich war. Die organisatorische Unterstützung durch die UMG – inklusive der Möglichkeit, in der Startphase CEO zu sein und gleichzeitig Professorin zu bleiben – war entscheidend für die erfolgreiche Ausgründung.“

Rahmenbedingungen für Deep-Tech-Ökosysteme schaffen

Die Standortpolitik darf nicht nur in Einzelförderungen denken, sondern muss Ökosysteme bauen – mit langfristiger Perspektive. Dazu gehören steuerliche Innovationsanreize, eine modernisierte IP-Strategie, attraktive Talentprogramme und sektorübergreifende Vernetzung. Länder wie Singapur zeigen, wie mit steuerlichen Anreizen, einem zentralen Tech-Transfer-System und fokussierten Talent-Initiativen eine gezielte Startup-Dynamik in den Life Sciences geschaffen werden kann.[5]

Forschungsarbeiten in den Räumlichkeiten der Life Science Factory - hier Laborforschung bei Avocet Bio. Copyright Foto: Tillmann Franzen
Laborforschung bei Avocet Bio. Copyright Foto: Tillmann Franzen

Die Bundesregierung sollte daher gezielt mit Regionen und Akteuren zusammenarbeiten, um starke Knotenpunkte für Deep-Tech-Innovationen zu etablieren. Ein gelungenes Beispiel dafür ist die Initiative GOe FUTURE unter der Trägerschaft des Life Science Valley in Göttingen, die im Rahmen des Bundeswettbewerbs ‚Startup Factories‘ als Leuchtturmprojekt ausgewählt wurde. Diese Entscheidung ist ein starkes Signal für den Standort und zeigt, wie durch strategische Förderung zukunftsfähige Ökosysteme entstehen können – auch im Bereich der Life Sciences.

Infrastruktur verstehen als Innovationstreiber

Neben Finanzierung und Regulatorik ist auch die Infrastruktur entscheidend für den Erfolg junger Unternehmen. Gründungsteams brauchen moderne Laborräume, flexible Mietmodelle, technische Services und Zugang zu einem erfahrenen Mentoring-Netzwerk und Industriepartnern. Das ist das „Hardware & Software“-Prinzip, dem wir in der Life Science Factory folgen: Ein Ort, der nicht nur Raum, sondern auch Gemeinschaft, Wissenstransfer und Austausch bietet.

Startups wie CrystalsFirst, Ucaneo, AvocetBio oder Digity haben hier nicht nur Raum und Infrastruktur gefunden, sondern auch Zugang zu Coaching, Community und Vertrauen. Es ist diese Kombination aus Flexibilität, fachlicher Exzellenz und strategischer Förderung, die aus visionären Ideen konkrete Innovationen macht. „Man teilt sein Wissen – ohne Beraterverträge – vernetzt sich, tauscht sich aus und lernt voneinander“, so Dr. Serghei Glinca. Florian Tiller, Co-Founder von Ucaneo, ergänzt: „Als Einzelperson ist es schwierig, Zugang zu Labors, Geräten oder Chemikalien zu erhalten. Unsere Lösung: die Life Science Factory. Innerhalb von nur drei Monaten konnten wir erste wertvolle Daten im Labor generieren.“

Deutschland braucht Mut zur Spezialisierung

Die Life Sciences sind eine der Schlüsselbranchen des 21. Jahrhunderts – für Gesundheit, Wirtschaft und gesellschaftlichen Fortschritt. Doch ohne passgenaue politische Rahmenbedingungen und langfristige Strategien für Startups riskieren wir, Innovationspotenziale zu verschenken. Was es jetzt braucht, ist Mut zur Spezialisierung: in Förderlogiken, in Regulatorik und in der Standortentwicklung. Nur so entsteht ein nachhaltiges, international sichtbares Deep-Tech-Ökosystem.

Quellen:

[1] GWG Wirtschaftsförderung Stadtentwicklung Göttingen: Life.Science.City. Göttingen. https://www.gwg-online.de/wp-content/uploads/2022/09/22-09-27_GWG-Standortbroschuere-digital-medium.pdf
[2] Life Science Valley: Startup Unterstützung für Gründungen aus den Life Sciences. https://lifescience-valley.de/ / Life Science Factory: https://lifescience-factory.com/de/
[3] FDA: Breakthrough Devices Program. https://www.fda.gov/medical-devices/how-study-and-market-your-device/breakthrough-devices-program
[4] Bundesministerium der Finanzen: Zukunftsfonds. https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Internationales_Finanzmarkt/zukunftsfonds.html
[5] Deutsch-Singapurische Industrie- und Handelskammer (AHK Singapur): Zielmarktanalyse Singapur und Malaysia Pharma- und Biotechnologien. https://www.gtai-exportguide.de/resource/blob/1051152/0e409654cf605895a8ce00f5116a5116/ZMA_Pharma-%20und%20Biotechnologien,%2026.05.2023.pdf

Autor/Autorin

Dr. Sven Wagner
Dr. Sven Wagner
Managing Director at  | Website

Dr. Sven Wagner ist ausgebildeter Naturwissenschaftler und seit 15 Jahren im Life Science Konzern Sartorius als Leiter der Abteilung Business Development für Strategie und Akquisitionen verantwortlich. Darüber hinaus ist er Gründer und Geschäftsführer der Life Science Factory und des Life Science Valley, General Partner des Life Science Valley Venture Fonds sowie Mitglied in diversen Beiräten u.a. von Biotech Start-Ups und der lokalen Patent-Verwertungsagentur.