GoingPublic: Herr Prof. Baetge, seit vielen Jahren stellen Sie fest, dass die Unternehmen die Qualität ihrer Geschäftsberichte kontinuierlich erhöhen. In diesem Jahr hat sich aber die durchschnittliche Gesamtbewertung leicht verschlechtert. Warum?

Baetge: Dass die durchschnittliche inhaltliche Qualität der Geschäftsberichte des Jahres 2011 leicht unter der des Vorjahres liegt, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass wir die Checkliste für den Anhang nach IFRS für den diesjährigen Wettbewerb überarbeitet und damit an die aktuellen Regelungen und Angabepflichten nach IFRS sowie an die Informationsbedürfnisse der Adressaten angepasst haben. Wir haben zum Beispiel Checkpunkte gestrichen, die mittlerweile IFRS-Pflichtangaben sind und dadurch kein Differenzierungspotenzial für die Bewertung der Berichterstattungsqualität aufweisen.

GoingPublic: Gibt es auch Bereiche, in denen sich beim award 2012 die Qualität der Geschäftsberichte verbessert hat?

Baetge: Ja, vor allem konnte die Qualität der Teilberichte des Lageberichts – mit Ausnahme des Prognoseberichts – erhöht werden. Das heißt, in den Bereichen Geschäft und Rahmenbedingungen, Ertrags-, Finanz- und Vermögenslage, Nachtragsbericht und Risikobericht informieren die von uns analysierten 160 Unternehmen im Durchschnitt aussagekräftiger als im Vorjahr.

GoingPublic: Wie ist die Situation bei den Prognose-Berichten?

Baetge: Unser „Sorgenkind“ bleibt die zukunftsgerichtete Berichterstattung im Lagebericht, die unverändert vorsichtig bzw. zurückhaltend ist. Zwar ist in den letzten Jahren die Qualität in den Prognoseberichten gestiegen – allerdings nur im Durchschnitt und auf sehr niedrigem, noch unzureichendem Niveau. Die 2011er Prognoseberichte zeigen eine etwas geringere Qualität als die 2010er-Berichte. Um den Unternehmen die Scheu vor der Gefahr zu nehmen, dass sie zu optimistisch prognostiziert haben könnten, empfehle ich, in die Prognose-Berichte anstelle von Prognosen Aussagen über konkret angestrebte Ziele aufzunehmen. Dies zeigt den Adressaten, wo die Reise nach dem Willen des Managements hingehen soll.

GoingPublic: Was zeichnet Geschäftsberichte aus, die beim award 2012 vorne liegen?

Baetge: Sie überzeugen durch eins: Kontinuität. Zum einen legen diese Unternehmen seit Jahren Berichte vor, die inhaltlich stimmig und frei von Widersprüchen sind. Zum anderen ist die inhaltliche Aussagekraft dieser Berichte – unabhängig von der konkreten wirtschaftlichen Unternehmenslage – auf einem hohen Niveau. Typisch für einen guten, inhaltlich aussagekräftigen Bericht ist, dass die vorhandenen Informationsspielräume im Sinne der Adressaten genutzt werden. Die Leser werden also im Konzernlagebericht nicht nur informiert, wie die im Vorjahr gesetzten Ziele erreicht wurden, sondern auch ausführlich und segmentspezifisch über Soll-Ist-Abweichungen bei Ergebnis-, Umsatz- und Aufwandsprognosen oder den Zielvorgaben. Solche Abweichungsangaben werden bisher weder gemäß DRS 15 noch in den IFRS verlangt oder empfohlen. Erst mit den Abweichungsangaben kann man sich aber einen raschen Überblick über die Prognosefähigkeit des berichterstattenden Unternehmens verschaffen.

GoingPublic: Internet, Smartphone und Tablet-PC – der Trend geht zum mobilen Geschäftsbericht. Müssten nicht in Zukunft solche Aktivitäten beim mm-award stärker berücksichtigt werden?

Baetge: Für den award ist das Medium der Informationsvermittlung zwar grundsätzlich irrelevant. Doch prüfen wir auch, wie Unternehmen medienspezifische Möglichkeiten nutzen. Die Informationen in Non-Print-Medien und im gedruckten Geschäftsbericht müssen aber identisch sein. Ein Online-Geschäftsbericht bietet die Möglichkeit, die Informationen für den Leser spannender aufzubereiten. Doch dürfen solche Möglichkeiten den sachlichen Inhalt weder verfälschen noch verdecken. Bei manchen Online-Geschäftsberichten wird bisher nicht klar, welche Informationen vom Wirtschaftsprüfer geprüft sind und welche nicht. Das ist für unsere Arbeit aber sehr wichtig. Hier besteht noch eine Regelungslücke. Und solange es hier keine klaren Regeln gibt, werden wir weiterhin die gedruckten Geschäftsberichte analysieren.

GoingPublic: Herr Prof. Baetge, vielen Dank an Sie und Ihr Team, dass Sie uns wieder Rede und Antwort gestanden haben.

Das Interview führte Thomas Müncher.

Autor/Autorin