Dr. Matthias Terlau, Rechtsanwalt und Partner, Osborne Clarke

Die Vorschriften über Interessenkonflikte von Aufsichtsratsmitgliedern werden immer umfangreicher und komplexer. Gerade die jüngsten Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (in Kraft getreten am 15. Mai 2012) haben hier noch einmal einige Verschärfungen gebracht. Im Zuge der Vorbereitung des Geschäftsberichts und im Vorfeld der ordentlichen Hauptversammlung ist es wichtig, dass sich börsennotierte Gesellschaften und insbesondere deren Aufsichtsräte hierzu einen Überblick verschaffen. Das gilt sowohl für die Anteilseignerseite des Aufsichtsrats wie auch – in vermindertem Maße – für die Arbeitnehmerseite.

Überblick: Behandlung von Interessenkonflikten im Kodex und im Aktiengesetz

Im Überblick spielen Interessenkonflikte eine Rolle, wenn es darum geht, dass der Aufsichtsrat konkrete Ziele für seine Zusammensetzung benennen soll, dass er Vorschläge zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern an die Hauptversammlung unterbreiten und Interessenkonflikte der Kandidaten offenlegen soll, dass er (diesmal als gesetzliche Pflicht) den unabhängigen Financial Expert berufen und (wiederum nach dem Kodex) im Übrigen die angemessene Zahl unabhängiger Mitglieder bestimmen soll. Zuletzt sollen die einzelnen Mitglieder des Aufsichtsrats konkrete und aktuelle Interessenkonflikte gegenüber dem Aufsichtsrat offenlegen; es wird empfohlen, deren Behandlung sodann im Aufsichtsratsbericht zu erläutern; diese Vorschrift ist aus dem Fall Kirch/Breuer des BGH aus dem Jahr 2009 hinlänglich bekannt.

Vorbereitung der Entsprechenserklärung mit Blick auf die Hauptversammlung

Bei der Abfassung der Entsprechenserklärung – in der Regel im Vorfeld der Hauptversammlung – ist ganz erhebliches Augenmerk auch auf die Empfehlungen zu Interessenkonflikten zu legen. Die hierzu in der Entsprechenserklärung abgegebenen Stellungnahmen haben unmittelbare Rückwirkung auch auf die Hauptversammlung, insbesondere die Rechtmäßigkeit bzw. Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen sowie auf die Vorbereitung von Aufsichtsratswahlen.

Dabei ist die Empfehlung zur Benennung konkreter Ziele der Aufsichtsratszusammensetzung sehr gut bekannt und vor allem unter dem Gesichtspunkt der „Diversity“ Gegenstand umfangreicher Debatten in den letzten zwei bis drei Jahren gewesen. Die Berücksichtigung potenzieller Interessenkonflikte, die dabei verlangt wird, ist allein schon wegen der gesetzlichen Vorschrift über den Financial Expert sowie auch im Hinblick auf die Empfehlung, selbst eine angemessene Anzahl unabhängiger Mitglieder festzulegen, zu berücksichtigen.

Auch die Empfehlung, von der in der Praxis sehr wenige Gesellschaften abweichen, dass jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied konkrete und aktuelle Interessenkonflikte dem Aufsichtsrat gegenüber offenlegen soll und dieser im Aufsichtsratsbericht an die Hauptversammlung darüber berichten solle, ist gut bekannt. Die Möglichkeit der Aktionäre, bei Vernachlässigung dieser Bestimmung den Beschluss über die Entlastung des Aufsichtsrats mit einer entsprechenden negativen Publizität für die Gesellschaft anzufechten, sollte dabei nicht aus den Augen verloren werden. Das Kirch/Breuer-Verfahren hat dies gezeigt.

Illustration: PantherMedia / dirk ercken

Offenlegung von Beziehungen

Erhebliche Schwierigkeiten bereitet die neuerliche Empfehlung des Kodex in der Fassung vom 15. Mai 2012, die persönlichen und geschäftlichen Beziehungen eines jeden Kandidaten zum Unternehmen etc. bei Wahlvorschlägen an die Hauptversammlung offenzulegen. Vorstand und Aufsichtsrat sollten sorgfältig erwägen, ob sie dieser Empfehlung entsprechen wollen. Die verlangte Offenlegung hätte wohl in der Einladung zur Hauptversammlung oder spätestens – mündlich oder schriftlich – während der Hauptversammlung zu erfolgen. Dabei wird man sich – entsprechend dem Standard für den Aufsichtsratsbericht – auf die Offenlegung der wesentlichen Kernpunkte der persönlichen oder geschäftlichen Beziehung konzentrieren können. Größere Schwierigkeiten können hier allerdings mit gesetzlichen oder vertraglichen Verschwiegenheitspflichten des jeweiligen Aufsichtsratskandidaten entstehen. Bei Kandidaten, die Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater sind, kann das Mandatsgeheimnis in Rede stehen, bei Vertretern von Banken das Bankgeheimnis. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass solche gesetzlichen und vertraglichen Verschwiegenheitspflichten der Empfehlung zur Offenlegung im Kodex vorgehen. Im Einzelfall mag es zwar möglich sein, eine Einwilligung der als Mandant/Kunde betroffenen Gesellschaft, des Organs oder des kontrollierenden Aktionärs zu erhalten. Dies dürfte aber nicht immer der Fall sein.

Hat deshalb die Gesellschaft sich durch eine uneingeschränkte Entsprechenserklärung zur Offenlegung solcher Interessenkonflikte verpflichtet, so kann dies bei der Vorbereitung von Aufsichtsratswahlen zu Schwierigkeiten führen. Die Folge mag zum einen sein, dass der Aufsichtsrat davon absehen muss, einen möglichen Kandidaten für die Wahl vorzuschlagen. Will er dies dennoch tun, so bietet sich die Möglichkeit, die bereits abgegebene Entsprechenserklärung zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu ändern. Spätestens im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Wahlvorschlag müssten Vorstand und Aufsichtsrat eine geänderte Entsprechenserklärung abgeben. Dies gilt, soweit sie von Interessenkonflikten Kenntnis haben, die nicht offengelegt werden dürfen. Würde die Offenlegung unterbleiben und die uneingeschränkte Entsprechenserklärung dennoch nicht abgeändert, so ergäbe sich die Anfechtbarkeit der Aufsichtsratswahl nach den Grundsätzen der Kirch/Breuer-Entscheidung.

Möglich erscheint es allerdings auch, dass Vorstand und Aufsichtsrat von vorneherein eine eingeschränkte Entsprechenserklärung abgeben und der Empfehlung zur Offenlegung von Interessenkonflikten nicht folgen. Im Grundsatz ist zwar zu erwarten, dass der Markt eine Abweichenserklärung an dieser Stelle besonders negativ wertet. Auch bleibt abzuwarten, welche Richtlinien Proxy Advisors hierzu aufstellen werden. Es liegt nahe, dass sie bei Abweichenserklärung die Wahl des vom Aufsichtsrat vorgeschlagenen Kandidaten ablehnen werden. Möglich erscheint allerdings die Abgabe einer Abweichenserklärung mit gerade der Begründung, dass zwar der Aufsichtsrat in eine sorgfältige Prüfung von potenziellen Interessenkonflikten eines Kandidaten eintreten wird, dass man den Kandidaten zur uneingeschränkten Offenlegung auffordern wird, man es aber dem Kandidaten überlassen muss zu entscheiden, ob er die jeweiligen Beziehungen offenlegen darf.

Resümee: Vorbereitung von Aufsichtsratswahlen

Steht in der Hauptversammlung die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseignerseite an, so hat der Aufsichtsrat seine zuvor veröffentlichten, konkreten Zielsetzungen, die gesetzliche Pflicht zum Vorhalten eines unabhängigen Financial Expert und die selbst auferlegte Verpflichtung auf die angemessene Anzahl unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder zu berücksichtigen. Zudem spielt nunmehr eine ganz entscheidende Rolle auch eine zuvor möglicherweise uneingeschränkt abgegebene Entsprechenserklärung zur Offenlegung von Interessenkonflikten des vorgeschlagenen Kandidaten. Weil all dies die Auswahl der möglichen Kandidaten durchaus beschränkt und die Vorbereitung von Aufsichtsratswahlen hierdurch zu einer komplexen Angelegenheit wird, ist es ratsam, sich sehr frühzeitig hiermit zu befassen.

Autor/Autorin