Gerd Dürr, Kapitalmarktdienstleistungen, Baader Bank
Gerd Dürr, Kapitalmarktdienstleistungen, Baader Bank

Schlangestehen, Tee mit Milch, warmes Bier und Corporate Broking werden in Kontinentaleuropa gerne als anachronistische Merkmale der britischen Insel angeführt. Die Tradition des Corporate Broking steht dabei den hierzulande bizarr anmutenden kulinarischen Genüssen aus dem Mutterland des Kapitalmarkts um nichts nach.

Auf einen Nenner gebracht steht Corporate Broking für die ganzheitliche und langfristig orientierte Kapitalmarktberatung. Mit der zunehmenden Öffnung der Kapitalmärkte und dem im Zuge der Bankenkrise steigenden Finanzierungsbedarf über den Kapitalmarkt gewinnt das Thema Corporate Broking zusehends auch in Kontinentaleuropa an Bedeutung. Ziel des Corporate Broker ist es, zu jeder Zeit die reibungslose Kommunikation zwischen Unternehmen und (institutionellen) Investoren zu ermöglichen und somit die Finanzierungskonditionen über den Kapitalmarkt zu optimieren. Hervorzuheben ist dabei, dass sich das Engagement des Corporate Brokers nicht auf die Vermarktung einer Aktie im Primärmarkt beschränkt, sondern ebenso eine umfassende Betreuung im Sekundärmarkt beinhaltet.

Vorteile des Corporate-Broking-Ansatzes für kleine und mittelständische Unternehmen
Die zentrale Aufgabe eines Corporate Brokers ist es, das Ohr des Unternehmens am Kapitalmarkt zu sein: Er analysiert das Unternehmensprofil aus Kapitalmarktsicht, bringt Einschätzungen und Erwartungen von Investoren in Erfahrung und prüft die Akzeptanz der Unternehmensstrategie bei Kapitalgebern kritisch. Zudem steht der Corporate Broker im kontinuierlichen Dialog mit dem Kapitalmarkt und kann so die Wahrnehmung des Unternehmens im Markt erhöhen, das Verständnis der bestehenden und potenziellen Investoren für die unternehmerischen Entscheidungen verbessern und gegebenenfalls das Unternehmensprofil bei Marktteilnehmern schärfen.

Ein besseres Verständnis für die Unternehmensstrategie und eine schärfere Abgrenzung des Investment-Profils am Kapitalmarkt reduzieren zum einen die Kapitalkosten des Unternehmens, indem Bewertungskorrekturen als Folge von Intransparenz für Käufer am Primärmarkt vermieden werden. Zum anderen kann eine größere Nachfrage im Sekundärmarkt erzielt werden, da ebenso wie in der Realwirtschaft aus einer besseren Positionierung und Visibilität des Produkts eine relative Erhöhung des Kaufinteresses im Vergleich zu anderen Konkurrenzprodukten resultiert. Zudem orientiert sich die Bewertung eines Unternehmens im Sekundärmarkt auch an der Liquidität der Aktie, da Anleger aus Risikogesichtspunkten einen Abschlag auf illiquide Anlagen vornehmen. Eine Erhöhung der Liquidität in der Aktie über Corporate-Broking-Maßnahmen ist auch deswegen von Vorteil, da sich die Größe der Aktienbestände institutioneller Investoren und damit deren Aktiennachfrage in der Regel an der Liquidität in der Aktie bemessen.

Kleine und mittlere Unternehmen stehen oft nicht wie große Unternehmen im Fokus der Wirtschaftspresse sowie der Research-Abteilungen der Banken und sind in der Regel auch nicht in den bekannten Aktienindizes vertreten. Daher stellt für diese eine aktive und transparente Kommunikation mit dem Kapitalmarkt ein zentrales Instrument dar, um den Bekanntheitsgrad des Unternehmens bei Anlegern und Analysten sowie deren Bewusstsein für die Aktie zu erhöhen.

Ebenen des Dialogs zwischen Corporate Broker und Marktteilnehmern
Der Dialog mit den Marktteilnehmern erfolgt hierbei über drei Ebenen:

1) Das Equity Research des Corporate Brokers stellt die Basis für den unternehmensunabhängigen Dialog mit den Investoren dar. Die Aufnahme der Research-Coverage über die Analysten des Corporate Brokers erhöht die Wahrnehmung des Unternehmens am Kapitalmarkt und bietet zudem die Möglichkeit der gezielten Ansprache von bestehenden und potenziellen Investoren. Die Analyse der Unternehmensperspektive durch die Wertpapieranalysten ist dabei nicht Selbstzweck, sondern der Türöffner für weiterführende Investorengespräche und liefert die Basis für das Feedback zur Wahrnehmung des Unternehmens im Kapitalmarkt. Des Weiteren ermöglichen die Studien des Equity Research dem Unternehmen, die Strategie mit der Sicht des Kapitalmarkts respektive der Aktienanalysten abzugleichen und gegebenenfalls anzupassen.

2) Der direkte Dialog mit institutionellen Investoren wird durch die Organisation von Roadshows sowie die Teilnahme von Investorenkonferenzen gewährleistet. Dabei beschränken sich die Roadshow-Aktivitäten des Corporate Brokers nicht auf die einmalige Vermarktung von Kapitalmarkttransaktionen, sondern werden im Bedarfsfall genutzt, um relevante Unternehmensnachrichten schnellstmöglich zu transportieren.

3) Die Übernahme der Betreuerfunktion des Market Makers und/oder Spezialisten sichert schließlich den stetigen Handel an der Börse (prime market, mid market continuous, standard market continuous) und liefert damit wichtige Informationen zu aktuellen Marktbewegungen. Der Corporate Broker tritt immer dann ein, wenn keine Gegenpartei am Markt zur Verfügung steht, und verbessert dadurch die Liquidität der betreffenden Wertpapiere im Sekundärmarkt durch die Sicherstellung einer Mindestliquidität auf Basis einer maximalen Preisspanne. Durch Informationen zu Marktbewegungen und die damit verbundene Erfassung der Aktienpositionen von Anlegern kann deren Preissensitivität und Nachfrageverhalten im Vorfeld einer möglichen Kapitalaufnahme ermittelt werden.

Ausblick
Veränderte Rahmenbedingungen zur Unternehmensfinanzierung, u.A. ausgelöst durch die Folgen der internationalen Finanzkrise sowie das zu erwartende restriktivere Verhalten von Banken im Zuge von veränderten Eigenkapitalanforderungen nach Basel III, werden dazu führen, dass mehr Unternehmen als bisher auf die Finanzierung über den Kapitalmarkt ausweichen. Einhergehend mit dem Werben um eine bankenunabhängigere Unternehmensfinanzierung ist davon auszugehen, dass die Bedeutung des Corporate Brokerage deutlich zunehmen wird.

Aber eins darf bei aller Sinn- und Vorteilhaftigkeit des Corporate Brokerage nicht übersehen werden: Der Corporate Broker ist kein Zauberer, der den kleinen und mittleren Unternehmen mit Leichtigkeit die Investoren herbeizaubert. Der Corporate Broker ist der Intermediär, der die Equity Story und die Rahmenbedingungen zu den Kapitalmarktteilnehmern transportiert und diese moderiert. Für die operative Performance, die gelebte Transparenz sowie die strukturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen muss weiterhin das Unternehmen selbst Sorge tragen.

Ursprünglich erschienen im Österreich-Special 2011.

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