Für den Emittenten stellt sich dabei in der Praxis häufig die Frage, ob vor Veröffentlichung der Geschäftszahlen im Rahmen der Regelpublizität möglicherweise schon eine Ad-hoc-Publizitätspflicht ausgelöst wird. Während die Regelpublizität der umfassenden Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Emittenten dient, soll die Ad-hoc-Publizität kursrelevanter Insiderinformationen sowohl zeitlich als auch inhaltlich die Möglichkeit des Insiderhandels einschränken. Da beide Veröffentlichungspflichten unterschiedliche Regelungsziele verfolgen und unterschiedliche Informationen umfassen, stehen beide Veröffentlichungspflichten unabhängig nebeneinander. Grundsätzlich entsteht bei Vorliegen – belastbarer – Kennzahlen (Umsatz, EBITDA, EBIT etc.) eine gleichzeitige Ad-hoc-Veröffentlichungspflicht nur dann, wenn diese erhebliche preisrelevante Informationen enthalten. Der Emittent muss jeweils im Einzelfall prüfen, ob diese Voraussetzungen vorliegen. Eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation liegt üblicherweise immer dann vor, wenn diese Kennzahlen aus Sicht der Markteilnehmer kurserheblich sind, weil sie z.B. in wesentlichen Punkten von den Markterwartungen abweichen.

Der richtige Zeitpunkt
Besondere Schwierigkeiten bereitet hierbei die Bestimmung des richtigen Zeitpunkts der Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung. Zum einen stellt sich die Frage, ob schon im Verlauf der Vorbereitung und Aufstellung des Abschlusses bei den damit betrauten Personenkreisen kursrelevante Insiderinformationen entstehen, die vorab ad-hoc-pflichtig sein könnten. Zum anderen, ob die Veröffentlichung bis zu einer Kenntnisnahme des Aufsichtsrats oder des Prüfungsausschusses aufgeschoben werden kann.

In diesem thematischen Zusammenhang steht eine überarbeitete Passage im Kapitel zur Ad-hoc-Publizität in der Neufassung des Emittentenleitfadens, der am 20. Mai 2009 nach Durchführung eines vorherigen Konsultationsprozesses von der BaFin veröffentlicht wurde.

Darin bestätigt die BaFin ihre Verwaltungspraxis der Erforderlichkeit einer Ad-hoc-Veröffentlichung bei von der Markterwartung abweichenden unterjährigen Geschäftsergebnissen selbst im Falle der Aufrechterhaltung der Jahresprognose. Hat der Emittent eine Jahresprognose für seine Geschäftszahlen abgegeben und stellt er bei der Aufstellung unterjähriger Geschäftszahlen fest, dass diese – bezogen auf das Quartal – von der Markterwartung abweichen, hält die BaFin eine Ad-hoc-Veröffentlichung auch dann für erforderlich, wenn der Emittent gleichwohl an seiner Jahresprognose festhält. Diese Ansicht der BaFin hatte schon im Verlauf des Konsultationsprozesses vor der Verabschiedung der Neufassung des Emittentenleitfadens für Kritik seitens der Verbände und der Beratungspraxis geführt.

Hierbei wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass durch die Verwaltungspraxis der BaFin der Bedeutung der Quartalsergebnisse im Verhältnis zu einer veröffentlichten und aufrechterhaltenen Jahresprognose künftig noch mehr (unangemessenes) Gewicht beigemessen werde und die Gesamtjahreszahlen dadurch an Bedeutung verlieren würden. Zudem sei es gerade für kleinere Nicht-Indexemittenten ohne regelmäßige oder häufig nur sehr geringe Research Coverage (ein oder zwei Analysten) schwierig, die Markterwartungen auf Quartalsbasis ex ante zu bestimmen.

Trotz der kritischen Stimmen hat die BaFin in der Endfassung des Emittentenleitfadens an ihrer Ansicht festgehalten. Die BaFin stützt sich dabei auf eine empirische Analyse der Kursreaktionen auf die Veröffentlichung von positiv oder negativ abweichenden Quartalszahlen bei gleichwohl beibehaltener (Jahres-)Prognose.

Berechtigt ist die nunmehr bestätigte BaFin-Praxis allerdings in den Fällen, in denen ein Quartalsergebnis deutlich von den Erwartungen des Unternehmens sowie des Marktes abweicht und die Jahresprognose unter normalen Umständen nicht mehr gehalten werden kann. Die pauschale Vermutungswirkung für eine Ad-hoc-Veröffentlichungspflicht ist aber weiterhin für die Fälle abzulehnen, in denen etwa der verspätete Eingang von Großaufträgen oder die Verzögerung bei der Abrechnung lediglich zu einer Verschiebung der entsprechend zu berücksichtigenden Zahlen in das nächste Quartal führt und damit die aufgestellte und deswegen aufrechterhaltene Jahresprognose aus Sicht des Emittenten nicht gefährdet.

Was ist „DIE“ Markterwartung?
Eine gewisse Zurückhaltung bei der Bewertung der „Markterwartungen“ ist darüber hinaus gerade bei kleineren Emittenten mit erhöhter Volatilität der Aktie zu üben. Hier können insbesondere Zufallseffekte, wie vereinzelt auf falscher Tatsachengrundlage formulierte und damit irreführende oder auch einzelne „euphorische“ Analystenerwartungen, nicht gleichzeitig zu einer Markterwartung aufgewertet werden, die bei jedweder Abweichung eine Ad-hoc-Publizitätspflicht des Emittenten auslösen. Hier ist dem Emittenten auch im Interesse der Informationseffizienz des Kapitalmarktes ein gewisser Einschätzungsspielraum einzuräumen, da nicht jede einzelne „ausscherende“ Analystenbewertung zu einer Trendkorrektur im Wege der Ad-hoc-Publizität führen kann. Es wäre gleichwohl wünschenswert gewesen, hätte die BaFin für solche Fälle in ihrem aktuellen Leitfaden präzisere Leitlinien formuliert oder erkennen lassen, dass sich der neue Abschnitt auf den Regelfall eines „breiten Analystenkonsenses“ bezieht; im Falle einer soliden Research Coverage ist es zudem wahrscheinlicher, dass die Analysen auch tatsächlich auf Aussagen und Prognosen des Emittenten beruhen.

Es bleibt daher zu hoffen, dass die BaFin ihre nunmehr in der Neufassung des Emittentenleitfadens aufgestellten Grundsätze mit der nötigen Zurückhaltung und mit dem nötigen Blick auf die tatsächlichen Informationsbedürfnisse des Kapitalmarkts in der Praxis anwendet.

Von Otmar Winzig, Vice President Investor Relations & Compliance, Software AG, und Vizepräsident des DIRK, und Kay Bommer, Geschäftsführer des DIRK

Der Beitrag erschien ursprünglich in der GoingPublic Ausgabe 10/2009.

 

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