Lothar Sindel, Berater, Haubrok Corporate Events

Jeder Vorstand oder Verantwortliche für eine Hauptversammlung wünscht sich hohe Zustimmungsquoten zu allen Tagesordnungspunkten. Zumindest jedoch die jeweils erforderliche Mehrheit, um die einzelnen Themen nachher auch umsetzen zu können. Verpasste Mehrheiten sind nicht nur peinlich für die Beteiligten, sie können auch akute und lebenswichtige Maßnahmen verhindern. Dies kam in der Praxis durchaus schon vor. Häufig liegt das Scheitern z.B. in einer mangelhaften Erklärung und einer unterlassenen Abstimmung der Tagesordnung mit den Proxy Advisors oder einer suboptimalen Kommunikation mit den Investoren.

Selektive Researchaufgaben werden übernommen
Proxy Advisors beraten institutionelle Investoren bei der Stimmabgabe auf Hauptversammlungen und untersuchen die Tagesordnung der Emittenten insbesondere hinsichtlich deren Aktionärsfreundlichkeit bei Themen wie z.B.:

  • dem Entlohnungssystem von Aufsichtsrat und Vorstand,
  • der Zusammensetzung dieser beiden Gremien,
  • der Kapitalstruktur und Maßnahmen zu deren Veränderung,
  • Corporate Governance,
  • M&A,
  • Sozial- und Umweltstandards
  • sowie operativen Fragestellungen.

Damit übernehmen sie selektive Researchaufgaben der institutionellen Investoren, die ihre Fachkompetenz auf andere Aspekte der Unternehmensanalyse konzentrieren. Hier findet aufgrund der zunehmenden Komplexität der Corporate-Governance-Themen eine Ausdifferenzierung der Unternehmensanalyse statt und verleiht den Proxy Advisors einen immer wichtigeren Stellenwert. Obwohl die Proxy Advisors über viele Seiten lange Kriterienlisten verfügen und diese jährlich erweitern, behalten sie sich für viele Aspekte eine fallweise Entscheidung vor. Hier empfiehlt es sich dringend, im Vorfeld mit den Proxy Advisors Kontakt aufzunehmen und erklärungswürdige Maßnahmen in einem persönlichen Gespräch zu erläutern. Leider sind nicht alle Proxy Advisor für Emittenten ansprechbar. Wenn es gelingt, den Proxy Advisors darzulegen, dass die geplanten Abstimmungspunkte im Interesse der Aktionäre sind, werden diese Maßnahmen auch deren Zustimmung finden. Da die Masse der Hauptversammlungen sich auf wenige Monate im Jahr konzentriert, müssen die Proxy Advisors hunderte von Tagesordnungen nahezu gleichzeitig untersuchen. Dabei steht ihnen für jede Firma nur ein sehr enges Zeitfenster von rund zwei Wochen nach Veröffentlichung der Tagesordnung zur Verfügung. Wünschenswert wäre eine Regelung, die Proxy Advisors verpflichten würde, ihre Stimmempfehlungen mit ausreichendem zeitlichen Abstand vor der HV zu veröffentlichen, der Gesellschaft unverlangt zugänglich zu machen sowie eine Kommentierung der betroffenen Gesellschaft ebenfalls mit zu veröffentlichen – analog zu den Gegenanträgen auf Hauptversammlungen.

Empfehlungen aus dem Hintergrund
Auf Seiten der institutionellen Investoren stimmen häufig nicht die jeweiligen Fondsmanager über die Tagesordnung ab, sondern das Backoffice, das sich die Abstimmungsempfehlung von einem der Proxy-Dienstleister einkauft. Diese Backoffice-Mitarbeiter kennen die notierten Gesellschaften – im Gegensatz zu den Fondsmanagern – nicht aus persönlichen Gesprächen mit dem Vorstand oder der Investor-Relations-Abteilung und sind daher für Kontaktanfragen nur begrenzt zugänglich. Eine IR-Abteilung, die zum Fondsmanager einen guten Draht hat, kann jedoch über diesen nicht selten erreichen, dass er in begründeten Fällen das Backoffice von einer abweichenden Stimmabgabe überzeugt. Da diese Gespräche häufig auch die Equity Story berühren, sind Proxy-Solicitation-Dienstleister für diese Kontaktaufnahme nur geeignet, wenn sie über eine langjährige Investor-Relations-Erfahrung verfügen. Auch die Statuten der Investoren sehen in einigen Punkten eine fallweise Entscheidung und Abweichung von starren Regeln vor. Das sehr enge Zeitfenster zwischen der Veröffentlichung einer Abstimmungsempfehlung und der HV setzt diesen Erklärungsversuchen gegenüber einer breiten Investorenbasis allerdings Grenzen.

Jeder Vorstand oder Verantwortliche für eine Hauptversammlung wünscht sich hohe Zustimmungsquoten zu allen Tagesordnungspunkten. Illustration: PantherMedia / Juergen Priewe

Die wichtigsten Player im Überblick
Zu den bekanntesten Proxy Advisors zählen Institutional Shareholder Services Inc. (ISS), Glass Lewis & Co, IVOX und viele kleinere spezialisierte Firmen. Aus Platzgründen kann hier nicht auf die jeweils über 20-seitigen Kriterienkataloge der Proxy-Firmen eingegangen werden. Sowohl ISS als auch Glass Lewis setzen die Schwerpunkte ihrer Analyse auf die Zusammensetzung der Gremien und die Entlohnung ihrer Mitglieder. Sie wollen die „richtigen“ Leute auf den jeweiligen Positionen sehen und Steuerungsinstrumente einführen, die dafür sorgen, dass die Handlungen der Vorstände und Aufsichtsräte sich am Wohl der Aktionäre und nicht den Eigeninteressen des Managements orientieren. Dabei berücksichtigt Glass Lewis insbesondere die relative Performance der Gesellschaft zu den Wettbewerbern und setzt dazu die relative Entwicklung der Managemententlohnung ins Verhältnis. IVOX orientiert sich an den Richtlinien des Bundesverbands Investment und Asset Management (BVI), untersucht allerdings auch Tagesordnungen nach den hauseigenen Regeln von Kunden.

Die ISS-Richtlinien für 2013
ISS hat für HVs, die ab dem 1. Februar 2013 stattfinden, einige Änderungen eingeführt. Dazu zählen:

  • Es wird keine Zustimmung zu der Wahl von Gremienmitgliedern erteilt, wenn deren Namen nicht rechtzeitig vor der Wahl veröffentlicht werden.
  • Es wird keine Zustimmung zu der Wahl eines ehemaligen Vorstandsvorsitzenden in den Aufsichtsrat erteilt, wenn dieser sich nicht verpflichtet, das Amt des Vorsitzenden nicht zu übernehmen. Allerdings kann im begründeten Einzelfall davon abgewichen werden.
  • Die Anzahl möglicher Mandate wird begrenzt. Aktive Vorstände können bis zu zwei Aufsichtsratsmandate außerhalb des Konzernverbunds wahrnehmen. Aufsichtsratsvorsitzende können nur noch einen weiteren Vorsitz innehaben bzw. bis zu drei weitere reguläre AR-Mandate wahrnehmen. Die Zahl der Aufsichtsratsmandate wird auf fünf begrenzt, wenn kein Vorsitz dabei ist.
  • Neu aufgenommen werden Empfehlungen zu TOPs, die Umwelt- und Sozialfragen betreffen. Hierfür behält sich ISS eine fallweise Entscheidung vor.

Handlungsempfehlungen
Als Handlungsempfehlung im Umgang mit Proxy Advisors sind folgende Maßnahmen sinnvoll:

  • Die Tagesordnung sollte schon im Vorfeld auf Konfliktpotenzial hin untersucht werden.
  • Das Gespräch mit Proxy Advisors suchen (entweder direkt oder über spezialisierte Dienstleister).
  • Bei unflexibler und kritischer Tagesordnung sollte nicht eine reine Proxy-Solicitation-Kampagne betrieben werden, da die Erhöhung der Präsenz nicht automatisch die Zustimmungsquote erhöht, sondern es sollte eine Kampagne zur Mehrheitsbeschaffung über spezialisierte IR-erfahrene Dienstleister gestartet werden.

Aus der Praxis
In jüngster Zeit hat Pfleiderer drei Beispiele von Haupt- und Gläubigerversammlungen mit sehr kritischen Tagesordnungspunkten geliefert, die aufgrund geeigneter Maßnahmen trotzdem alle die erforderlichen Mehrheiten erhalten haben. So hat z.B. die HV 2010 Kapitalerhöhungen von in Summe 30% unter Ausschluss des Bezugsrechts vorgesehen. Die Hauptversammlung 2011 sah eine massive Verwässerung der Altaktionäre im Zuge einer Restrukturierung vor. Auch hier konnte die erforderliche 75%ige Mehrheit durch gezielte Maßnahmen sichergestellt werden. Die Gläubigerversammlung im Jahr 2011 sah eine Umwandlung der Anleihe in Aktien vor und hat sowohl die erforderliche Mindestpräsenz von 50% als auch eine Zustimmung von mindestens 75% erreicht. Bei solchen Versammlungen steht zu viel auf dem Spiel, um Mehrheiten dem Zufall zu überlassen.

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