Es ist der erste größere Börsengang hierzulande seit dem IPO der Parfümeriekette Douglas im März vergangenen Jahres: Der Prothesenhersteller Ottobock hat am 9. Oktober ein erfolgreiches Debüt hingelegt. Der erste Kurs wurde an der Frankfurter Börse mit 72 EUR festgestellt – 9 % über dem Ausgabepreis von 66 EUR, der am oberen Ende der Preisspanne von 62 bis 66 EUR lag. Damit wurde das Unternehmen an der Börse mit 4,22 Mrd. EUR bewertet. Am Nachmittag des ersten Handelstags pendelte sich der Aktienkurs bei rund 70 EUR ein. Von Gian Hessami
Die Nachfrage war enorm – das Angebot war zwölfmal überzeichnet. Insgesamt wurden über den IPO rund 12,3 Mio. Aktien ausgegeben. Der Erlös belief sich auf gut 800 Mio. EUR. Das Unternehmen gab rund 1,6 Mio. neue Aktien aus einer Kapitalerhöhung aus. Hinzu kamen rund 9,1 Mio. bestehender Anteilsscheine des bisherigen Eigentümers, der Näder Holding, sowie 1,6 Mio. Aktien im Rahmen einer Mehrzuteilungsoption (Greenshoe-Option).
Rund 100 Mio. EUR gehen abzüglich IPO-Kosten an das Unternehmen und sollen unter anderem für mögliche Zukäufe und Investitionen in Technologie genutzt werden. Ottobock-Chef Oliver Jakobi sprach von einem wichtigen Meilenstein: „Seit mehr als 100 Jahren steht das Unternehmen für Innovation und Verantwortung gegenüber den Menschen, die wir versorgen. Mit dem Börsengang schaffen wir die Grundlage, um diese Tradition in die Zukunft zu tragen – mit Investitionen in Spitzentechnologien, nachhaltigem Wachstum und dem klaren Anspruch, Maßstäbe in Human Bionics zu setzen.“
Weltmarktführer aus Niedersachsen
Der Hersteller von Prothesen und orthopädischen Hilfsmitteln hat seinen Hauptsitz im niedersächsischen Duderstadt. Gegründet wurde das Unternehmen 1919 in Berlin. Heute sind bei Ottobock fast 9.300 Mitarbeiter an 45 Standorten weltweit beschäftigt. Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben Weltmarktführer in Prothetik, Neuroorthetik, Exoskeletten & digitalen Lösungen.
Umsatz und Gewinne wachsen
Im ersten Halbjahr 2025 steigerte das Unternehmen im Kerngeschäft den bereinigten Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen („Underlying EBITDA“) von 132 auf 175 Mio. EUR gegenüber dem Vorjahr. Der Umsatz kletterte in dem Zeitraum von 666 auf 760 Mio. EUR. Für das gesamte Jahr 2024 lag der Umsatz bei 1,6 Mrd. EUR und das Underlying EBITDA bei 326 Mio. EUR.
Die Eigentümerfamilie hält nach dem Börsengang 81 % der Anteile. 19 % des Grundkapitals sind im Streubesitz, dazu zählen auch die beiden Ankeraktionäre Klaus-Michael Kühne, der Aktien für 125 Mio. zeichnete, und ein Fonds der US-Vermögensverwalters Capital Group, der für 115 Mio. EUR eingestiegen ist.
Fragen bleiben
Im Vorfeld des Börsengangs wurde von vielen Seiten, auch von der Finanzpresse, eine Reihe negativer Themen in die Öffentlichkeit getragen, so die gegen den Mehrheitseigner Hans Georg Näder laufenden Strafverfahren, die Ertragsschwäche des Unternehmens bei Betrachtung der echten EBIT- und EBITDA-Kennziffern anstelle des konstruierten „Underlying EBITDA“, die hohe Verschuldung bzw. niedrige Eigenkapitalquote und die kurze Lock-up-Frist für die Großaktionäre. Hier bleibt abzuwarten, wie sich das Unternehmen in den ersten Quartalen an der Börse entwickelt, und wie sie die Themen in den Griff bekommt.
WKN / ISIN | BCK222 / DE000BCK2223 |
Anzahl der Aktien | 475.000 |
Grundkapital | 990.151 EUR |
Blockbuilding-Spanne | 62-66 EUR |
Platzierungspreis | 66 EUR |
Erstnotiz | 72 EUR |
Market Cap | 4,36 Mrd. EUR (Kurs: 69,85 EUR) |
Investor Relations | https://investors.ottobock.com/ |
Fazit
Angesichts der Kaufzusagen der beiden Ankeraktionäre, der guten Geschäftsentwicklung und der allgemein starken Nachfrage bei den Anlegern deutet vieles darauf hin, dass das Traditionsunternehmen auf einem guten Weg ist, in den kommenden Monaten und Jahren an der Börse zu reüssieren. Ottobock schaffte den Börsengang im zweiten Anlauf. Bereits 2022 wollte das Unternehmen, das sich selbst als MedTech Champion bezeichnet, aufs Parkett. Das Vorhaben scheiterte jedoch im Zuge des schlechten Marktumfelds. Bereits in den 2000er Jahren war Ottobock als Börsenkandidat gehandelt worden. GoingPublic freut sich über die Verlängerung des Kurszettels, und wird aufmerksamer Beobachter der Aktie bleiben.
Autor/Autorin
Gian Hessami
Gian Hessami ist freiberuflicher Finanzjournalist und schreibt für GoingPublic Beiträge rund um Aktien und den Kapitalmarkt. Dabei stehen die Perspektive des Anlegers sowie die Chancen und Risiken der Investments im Vordergrund. Mit den Finanzmärkten beschäftigt sich der gelernte Zeitungsredakteur bereits seit 2004. Bei Investments fokussiert er sich auf Anlageklassen wie Aktien, Anleihen und Rohstoffe. Darüber hinaus hat er sich auf Derivate wie Zertifikate und Hebelprodukte spezialisiert. Hessami Corporate Publishing