Das Biotechnologieunternehmen Abivax SA (WKN: A14UQC / ISIN: FR0012333284) konzentriert sich auf die Entwicklung von Medikamenten, die die natürlichen, körpereigenen Mechanismen nutzen, um die Immunreaktion bei Patienten mit chronischen Entzündungskrankheiten zu modulieren. Seit dem 20. Oktober 2023 ist das Unternehmen nun auch an der US-Nasdaq gelistet. Plattform Life Sciences sprach über die jüngsten Entwicklungen bei Abivax mit CEO Marc de Garidel.


Plattform Life Sciences: Lieber Herr de Garidel, wo sehen Sie für Abivax die Chancen und Herausforderungen am US-Biotechmarkt?

Marc de Garidel: Global gesehen ist der US-Biotechnologiemarkt der mit Abstand größte und er ist zudem dynamischer als der europäische Markt, da der Zugang zu Risikokapital in den USA einfacher ist als in der EU. Das Positive daran ist, dass mehr Biotech-Unternehmen gegründet werden, die medizinische Innovationen vorantreiben, mit dem Ziel und der Möglichkeit, neue und wirksame Therapien auf den Markt und zu den Patienten zu bringen.

Der US-Markt hat auch tiefere Taschen, sodass er die Finanzierung großer, klinischer Studien in fortgeschrittenen Entwicklungsphasen stemmen kann, die in der Regel Hunderte von Millionen Dollar kosten. Andererseits ist es aber auch ein Markt, der mit seinen sehr anspruchsvollen Investoren höhere Anforderungen stellt und in dem Unternehmen einer gründlicheren Prüfung unterzogen werden als dies beispielsweise in Europa der Fall ist.w

Marc de Garidel, CEO

Wir sehen für Abivax viele gute Möglichkeiten auf dem US-amerikanischen Finanz- und Arzneimittelmarkt. So ist es Abivax gelungen, unter diesen sehr schwierigen Rahmenbedingungen Finanzmittel in Höhe von EUR 223,3 Mio. einzuwerben. Damit ist unser US-Börsengang der größte, der je von einem in Frankreich notierten Biotechunternehmen an der Nasdaq durchgeführt wurde. Das ist ein Beleg dafür, dass die auf den Biotechnologiesektor spezialisierten US-Investoren sowohl an Abivax als auch an das Potenzial unseres vielversprechenden Lead-Produktkandidaten Obefazimod glauben.

Mit dem US-Börsengang haben wir die erste, der sich uns bietenden, finanziellen Möglichkeiten in den USA erfolgreich genutzt.

Darüber hinaus stellt der US-Markt im Bereich der chronischen Entzündungskrankheiten und bei unseren ersten Indikationen Colitis ulcerosa und Morbus Crohn mit 70% des weltweiten Marktes, der eine Größenordnung von über USD 20 Mrd. hat, den Löwenanteil dar. Aus diesem Grund wollen wir Obefazimod zunächst auf den US-Markt bringen und die Markteinführung in Europa und anderen Regionen anschließend mit einem Partner durchführen.

Ankündigung des Abivax-Listings auf der Nasdaq MarketSite (Times Square, New York City). Copyright: Abivax
Ankündigung des Abivax-Listings auf der Nasdaq MarketSite (Times Square, New York City). Copyright: Abivax

Natürlich sehen wir auch zahlreiche Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, darunter den Abschluss der laufenden Phase-3-Induktion- und Erhaltungsstudien unseres ABTECT-Programms zur Behandlung von Colitis ulcerosa, den für Anfang nächsten Jahres geplanten Start unserer Phase-2a-Studie zur Behandlung von Morbus Crohn, die Erteilung aller notwendigen behördlichen Genehmigungen und nicht zuletzt der harte Wettbewerb im Bereich der chronischen Entzündungskrankheiten. Wir sind davon überzeugt, dass Obefazimod die sehr vielversprechenden Daten aus den Phase-2-Studien in der laufenden Phase 3 bestätigen kann. Damit hätte unser Produktkandidat alle nötigen Eigenschaften, um diese vielfältigen Herausforderungen zu meistern, eine Marktzulassung zu erhalten und die Lebensqualität der bedürftigen Patienten mit einer verträglichen, dauerhaft wirkenden, oralen Behandlungsmöglichkeit deutlich zu verbessern.

Wem gehört Abivax jetzt?

de Garidel: Die Hauptaktionäre von Abivax sind hochkarätige auf den Biotechnologiesektor spezialisierte europäische und US-amerikanische Investoren. Bereits vor dem Nasdaq-Börsengang hielten die US-Investoren einen Anteil von ca. 50% am Unternehmen, nach dem US-Börsengang ist deren Anteil nun auf über 60% gestiegen. Ich kann die Investmentfonds hier nicht explizit benennen, aber wir sind sehr zufrieden mit der Qualität der Fonds, die wir überzeugen konnten.

Warum geht Abivax ein „zweites Mal“ den Weg an die Börse, denn die Kosten für ein Listing und für „Being Listed“ in den USA sind ja recht hoch.

de Garidel: Wir sind überzeugt, dass der Nutzen und die Vorteile einer Börsennotierung in den USA die Kosten einer doppelten Notierung überwiegen. Wie bereits erwähnt, ist Kapital in den USA leichter zugänglich, insbesondere für den kostenintensiven Biotechnologiesektor, in dem wir große, globale Studienprogramme mit viel Geld finanzieren müssen. Der US-Aktienmarkt ist zudem liquider als sein europäisches Pendant. US-Investoren haben eine Präferenz für ein hohes Handelsvolumen, sodass sie schnell ein- und aussteigen können, um sich eine Position in einem Unternehmen zu sichern oder diese auch wieder zu verkaufen. Und, als abschließender Punkt, sind die Unternehmensbewertungen auf dem US-Markt tendenziell höher als in Europa.

Wird die Listung an der Euronext perspektivisch aufgegeben?

de Garidel: Unser Fokus war und ist es, zusätzliches Kapital für Abivax zu sichern, um alle laufenden und geplanten Projekte durchführen zu können. Ein Delisting von der Euronext in Paris steht derzeit nicht zur Debatte.

Links: Didier Blondel, Chief Financial Officer; Mitte: Marc de Garidel, Chief Executive Officer; Rechts: NASDAQ. Copyright: Abivax
Überreichung der Nasdaq-Listing-Urkunde. Links: Didier Blondel, Chief Financial Officer; Mitte: Marc de Garidel, Chief Executive Officer; Rechts: NASDAQ-Vertreter. Copyright: Abivax

Ist der Nasdaq-Börsengang eine „Flucht aus Europa“?

de Garidel: Abivax ist ein französisches Unternehmen, und wir haben definitiv nicht vor, die Flucht aus Europa anzutreten. Das Gegenteil ist der Fall. Die Einführung an der Nasdaq ermöglicht uns eine Diversifizierung unserer Finanzierungsmöglichkeiten, um zusätzliche Mittel einzuwerben und damit unsere Gesamtposition zu stärken, auch in Europa. Natürlich konnten wir mit der US-Börsennotierung verstärkt die Aufmerksamkeit US-amerikanischer, aber auch europäischer auf den Biotechnologiesektor spezialisierter Investoren auf unsere Technologie, unsere Innovationen und unsere klinischen Fortschritte lenken. Dies stärkt die Glaubwürdigkeit von Abivax, sich als ein künftiger Player auf dem Markt für chronisch entzündliche Darmerkrankungen etablieren zu können.

die Einführung an der Nasdaq LÄSST UNS unsere finanziellen Möglichkeiten für die Zukunft breiter AUFSTELLEN UND ERWEITERN, SIE STÄRKT unsere US-amerikanische, aber auch unserer europäische Positionierung.

Warum entscheiden Sie sich jetzt für diesen Schritt, in einem derzeit sehr unsicheren Umfeld, in diesen unsicheren Börsen-Zeiten?

de Garidel: Wie Sie wissen, ist eine US-Notierung ein sehr langwieriger Prozess. Die internationalen Rahmenbedingungen, mit denen Sie zum geplanten IPO-Termin konfrontiert werden, lassen sich nicht vorhersagen. Umso beindruckender ist es, dass Abivax in dieser derzeit sehr instabilen Situation, den größten US-Börsengang abschließen konnte, der jemals von einem in Frankreich gelisteten Biotechunternehmen durchgeführt wurde. Zudem ist unser IPO eines von nur neun Biotech-Börsengängen an der Nasdaq in diesem Jahr überhaupt. Wir haben in den vergangenen Monaten, Wochen und Tagen sehr intensive Gespräche mit den Banken und Investoren geführt und wussten, dass wir auf solidem Grund stehen, um unser Ziel zu erreichen, nämlich genügend Geld für die vollständige Finanzierung unseres klinischen Phase-3-Programms in Colitis ulcerosa und unserer klinischen Phase-2a-Studie in Morbus Crohn aufzubringen.

Wie lange reicht der bestehende Cash-Bestand des Unternehmens?

de Garidel: Wir gehen davon aus, dass wir auf der Grundlage unseres derzeitigen klinischen Entwicklungsplans und des erwarteten Nettoerlöses aus dem veröffentlichten globalen Offering, zusammen mit unseren vorhandenen Barmitteln, dem Nettoerlös aus der Inanspruchnahme der ersten beiden Tranchen aus der im August 2023 abgeschlossenen Finanzierungsvereinbarung und der erwarteten Rückerstattung der französischen Forschungssteuergutschrift, bis zum Ende des vierten Quartals 2025 finanziert sind. Sollten wir darüber hinaus noch die dritte Tranche der Finanzierungsvereinbarung in Anspruch nehmen, werden wir über ausreichend Mittel zur Finanzierung unserer Geschäftstätigkeit bis zum Ende des ersten Quartals 2026 verfügen.

Abivax-Labor. Foto Copyright: Amelie Corneille Photographie

Suchen Alt-Eigentümer mit dem Börsengang eine mittelfristige Exit-Möglichkeit? In der Platzierung werden ja nur neue Aktien angeboten.

de Garidel: Unsere historischen und aktuellen Aktionäre sind auch nach dem US-Börsengang davon überzeugt, dass sie mit Abivax und Obefazimod an einer Erfolgsgeschichte teilhaben.

Aus unseren regelmäßigen Gesprächen mit unseren Aktionären hören wir heraus, dass sie nicht nach einer Exit-Möglichkeit suchen, sondern die Absicht haben, Abivax auf dem Weg zur Markteinführung zu begleiten.

Wie wollen Sie die Emissionserlöse für die weitere Unternehmensentwicklung verwenden?

de Garidel: Wie in der Pressemitteilung zur Preisgestaltung aufgeführt, planen wir ca. 160,0 Mio. Euro zur Finanzierung der Entwicklung von Obefazimod in seiner ersten Indikation, Colitis ulcerosa, zu nutzen. Etwa 14,0 Mio. Euro werden zur Finanzierung der Entwicklung von Obefazimod für die Behandlung von Morbus Crohn benötigt, einer Krankheit, die Colitis ulcerosa sehr ähnlich ist und die ebenfalls zu den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen gehört. Der verbleibende Erlös soll als Betriebskapital und für andere allgemeine Unternehmenszwecke verwendet werden, darunter die weitere Forschung zur Identifizierung neuer Wirkstoffe und die Begleichung bestehender Schuldvereinbarungen bei Fälligkeit.

Nach dem Zinsschock in den letzten 6 Monaten ist die Unsicherheit der Investoren in Bezug auf Wachstumswerte an der NASDAQ sehr hoch. Sind sie auf das eher frostige Umfeld an den Märkten entsprechend vorbereitet?

de Garidel: Im Februar 2023 haben wir erfolgreich eine überzeichnete Cross-Over-Finanzierung in Höhe von EUR 130 Mio. zum Marktpreis durchgeführt, gefolgt von zwei strukturierten Fremdfinanzierungen über EUR 150 Mio. im August 2023. Zusammen mit dem Nasdaq-Börsengang, gehört Abivax damit im Jahr 2023 im Hinblick auf die insgesamt eingeworbenen Finanzmittel zu den Top 5 Biotechnologieunternehmen. Ich denke, dies spricht für sich und auch für unsere Fähigkeit, auch in einem sehr herausfordernden finanziellen Umfeld erfolgreich agieren zu können.

Marc de Garidel unterzeichnet die US-Nasdaq-Listing-Urkunde. Links: Sheldon Sloan, Chief Medical Officer; Mitte: Didier Scherrer, Chief Scientific Officer; Rechts: Marc de Garidel, Chief Executive Officer. Copyright: Abivax

Zuletzt ist der ABIVAX-Kurs an der Euronext um ca. 40% unter Druck geraten. Können sie sich das aus Unternehmenssicht erklären?

de Garidel: Wie Sie bereits erwähnt haben, ist das globale politische Umfeld derzeit instabil und die Bedingungen auf den Finanzmärkten sind aufgrund vielfältiger Unsicherheiten, der steigenden Zinsen und der Inflation schwieriger geworden. Obwohl Abivax‘ Situation sehr solide und stabil ist, hat dies auch Auswirkungen auf unseren Aktienkurs. Die Anleger überdenken ihre Anlagestrategie, und einige entschließen sich wohl auch dazu, sich von der „Risikoanlage“ Biotechnologie zu trennen. Wir sind jedoch sehr zuversichtlich, dass der US-Börsengang unseren Zugang zu Finanzmitteln weiter verbessern und sowohl unsere Glaubwürdigkeit als auch die positive Wahrnehmung unseres Unternehmens stärken wird.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Autor/Autorin

Redaktionsleiter Plattform Life Sciences at GoingPublic Media AG | Website

Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.