Am Unternehmer:innen-Tag der BIO Deutschland 2023 trafen sich führende Köpfe aus der Biotechnologie-Branche, um über die Bedeutung der Biotechnologie für eine nachhaltige Zukunft und das ökonomische Potenzial für Deutschland zu diskutieren. Im Fokus stand der Austausch zwischen Unternehmer:innen und der Politik, um gemeinsam die Zukunft der Biotechnologie voranzutreiben. Von Urs Moesenfechtel

 

Biotech bietet Zukunftslösungen an

Aktionsfelder der Biotechnologie. Copyright: BIO Deutschland

„Wir biologisieren die Technologie!“ Mit diesem selbstbewussten Leitsatz für die Biotechnologie begrüßte Dr. Viola Bronsema, Vorsitzende des Biotechnologie-Branchenverbands BIO Deutschland, die 70 Teilnehmer:innen des Unternehmer:innentags 2023. Zahlreiche Akteure und Vertreter der Branche hatten sich im Meliá Hotel in Berlin eingefunden. Darunter nicht nur Unternehmer:innen selbst, sondern ebenso Business Angels, Anwaltskanzleien, Clustermanager, Wissenschaftler:innen, Politiker:innen, Ministerienvertreter:innen und viele mehr.

 

Vergleich Biotech-Branche USA – Deutschland. Copyright: BIO Deutschland

Viola
Viola Bronsema betonte die große Bedeutung der Biotechnologie für die Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft und wies sie auf das enorme ökonomische Potenzial der Biotechnologie hin. Das müsse auch in Deutschland genutzt werden, wie es in den USA längst geschehe.

Ein wenig mehr wie Massachusetts

Diesen Anfangsimpuls griff Biotech-Pionier Dr. Simon Moroney in seiner Keynote sogleich auf und teilte zunächst eine Geschichte von Tim van Hauwermeiren, der vor vielen Jahren das Unternehmen argenix mitgegründet hatte. Seine Fähigkeit Kompetenz, Freundlichkeit und Organisationsfähigkeit miteinander zu verschmelzen, sei auch heute noch erfolgsentscheidend in der Biotechnologiebranche. Er machte Mut, dass sich die Situation in der Biotech-Branche verbessern würde; die Vergangenheit hätte gezeigt, dass sich Biotech eben zyklisch entwickle. Er empfahl, in Zeiten knapper finanzieller Ressourcen sich auf die Kernkompetenzen zu konzentrieren, Pipelines zu entschlacken und sich unabhängiger von Staatlichen Investitionen aufzustellen.

Simon Moroney. Copyright: Urs Moesenfechtel

Moroney zeigte sich zuversichtlich, dass gerade Deutschland ein wichtiger Biotech-Standort sein könne, schließlich sei das Land Forschungs- und Innovationsseitig international „ganz vorne mit dabei“, das Humankapital „top“. Er wünsche sich, dass Deutschland zukünftig mehr wie Massachusetts aussähe, denn dort würde fünfmal soviel Geld in die Biotechnologie investiert als in Deutschland. Moroney empfahl von den USA zu lernen, bessere Equity Stories zu erzählen und deren Erfolgsmodelle zu kopieren.

 

Je kleiner das Ökosystem, desto schwieriger wird es

Gründer:innen-Erfolgsfaktoren. Copyright: KPMG

Dr. Annette Witzleben griff die Managergeschichte Moroneys auf und beleuchtete die Erfolgsfaktoren für innovatives Gründen in der Biotechnologie. Für die Investoren sei entscheidend, dass Gründer:innen ihr Geschäftsmodell klar, transparent und adressatenorientiert erklären könnten. Gerade wissenschaftsgeprägte Gründungspersönlichkeiten täten sich damit immer noch schwer. Zusätzlich betonte sie die Bedeutung eines breiten Ökosystem-Netzwerks. Eine klare Marktstrategie, das Bewusstsein und die Kenntnis über den Unternehmenswert, der Wille zur Sichtbarkeit und natürlich ein breites Netzwerk seien darüber hinaus von entscheidender Bedeutung bei der Investorenakquise.

Copyright: Urs Moesenfechtel

Szenenapplaus für ein großes „Ach und Weh“

Die erste Podiumsdiskussion der Veranstaltung unter der Leitung von Dr. Claudia Englbrecht (BIO Deutschland) widmete sich den Geschäftsmodellen der Biotechnologie und den notwendigen Rahmenbedingungen für Spitzentechnologien. Die Teilnehmenden, Dr. Anne-Kristin Heninger (Seamless Therapeutics), Dr. Claus Kremoser (WMT), Udo Philipp (Staatssekretär, Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz), Gerald Unden (Mikrogen) und Dr. Sylvia Wojczewski (BioSpring), brachten ihre Perspektiven ein und diskutierten lebhaft über die Herausforderungen und Chancen in der Branche. „Wir brauchen viel mehr Geld“, „Wir wollen wachsen, finden dafür aber keine Flächen“, „Wir wollen uns nicht um jeden Quadratmeter streiten“, „Die Mitarbeiter-Kapitalbeteiligung ist gut gedacht, aber schlecht gemacht“, „Es braucht eine Steuerbefreiung für Fonds“, „Wir ersticken in Anforderungen“, „Die Zeit für Kreativität bei der Arbeit an neuen Ideen leidet immens“, „Wir verlieren massiv an Innovationskraft, wenn das so weiter geht“, waren nur einige der Aussagen der Diskutanten, für die sie immer wieder „Szeneapplaus“ erhielten.

Copyright: Urs Moesenfechtel
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Tempo braucht kein Taschentuch

Doch trotz der vielen „Ach- und Wehs“: Ein weinerliches Wehklagen war es nicht. Die Diskutanten waren sich einig: Gründerinnen und Gründer in der Biotechnologiebranche stünden zwar unter großem Druck und hohen Erwartungen, doch sie zeigen eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit. Trotz der Herausforderungen und dem Tempo, das in dieser Branche gefordert wird, gäbe es eine Vielzahl von Menschen, die bereit seien, diese Hindernisse zu überwinden und ihr Bestes zu geben. Das wurde auch durch die Feststellung von Claus Kremoser deutlich, der meinte, dass die Biotechbranche oft von potenziellen Investoren, vor allem in Deutschland, entweder gar nicht oder zu spät „verstanden“ würden. Und doch würden die vielen Erfolgsgeschichten, die es ja dennoch gäbe, zeigen, dass sich Durchhalten lohne. Er betonte, dass mehr privates Kapital mobilisiert werden müsse. Udo Philipp, der politische Vertreter im Plenum, versicherte den Diskutanten, dass der Politik der Kapitalbedarf bewusst sei und verwies auf zahlreiche staatliche Förderinstrumente. Vor allem deutete er an, dass noch freie Mittel im Zukunftsfonds für Late-Stage-Finanzierungen und Scale-ups vorhanden seien.

Trotz vieler Strategien: Mühen der Ebene

Unter der Moderation von Iris Plöger (BDI e.V.), diskutierten Dr. Anna Eichhorn (Humatrix), Dr. Andreas Schmidt (Singleron Biotechnologies), Prof. Dr. Ralf Huss (BioM Biotech Cluster Development) und Dr. Jens Hellwage (InfectoGnostics Forschungscampus Jena) schließlich über die regionale Umsetzung nationaler Strategiepapiere und die damit verbundenen Herausforderungen, die möglicherweise auf Bundesebene nicht ausreichend bekannt seien. Dr. Schmidt hob das Umsetzungsproblem hervor und betonte die Chance, die sich durch die zunehmende Verbindung von Daten- und Lebenswissenschaften ergäbe. Er kritisierte jedoch, dass Deutschland die Entwicklungen in diesem Bereich nicht ausreichend wahrnähme.

Copyright: Urs Moesenfechtel
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„Lasst Unternehmer Unternehmer sein“

Ein weiteres diskutiertes Thema war die Frage, ob die über 135 nationalen Strategien, die existieren, tatsächlich den gewünschten Fortschritt bringen. Es wurde angemerkt, dass Cluster von essenzieller Bedeutung sind, um staatliche Fördermittel über einen längeren Zeitraum bereitzustellen. Allerdings fehle es oft an einer klaren Zuordnung von Verantwortlichkeiten und an Messungen zur Translation. Einig war man sich darin, dass mehr Bottom-Up-Ansätze erforderlich seien, Strategien mehr Raum für Eigeninitiative lassen sollten. Es müsse ein Bewusstseinswandel stattfinden, weg von einer reinen Top-Down-Regulierung und hin zur Förderung von unternehmerischer Initiative. „Lasst die Unternehmer Unternehmer sein“, so einer der Experten.

Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft durch Biotechnologie

Die Beiträge der anschließenden Open-Mic-Runde unterstrichen den bisherigen Tenor. So wies Kevin Schmitz von Planet A Foods auf die zu langen Förderzeiträume für Start-ups hin, externes Risikokapital würde daher dringend benötigt. Michael Kahnert von Miltenyi Biotec stellte appellierend die Frage, warum der aktuelle Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ und nicht „machen“ laute. Das zögerliche Wagen führe dazu, dass der Genehmigungsmarathon kein Ende nähme, es eine zu große Diskrepanz zwischen Gentechnik und Arzneimittelrecht gäbe, die Anzahl der in Deutschland durchgeführten klinischen Prüfung rückläufig sei und vieles mehr. Isabel Antholz von der Mannin wies auf die problematische Auslagerung der Frühphasenforschung hin. Martin Langer BRAIN unterstrich die historische Bedeutung der Biotechnologie ohne die Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft nicht erreichbar seien. Patrick Rose von SPRIND, der Bundesagentur für Sprunginnovationen Agentur, betonte, dass grundlegende Veränderungen herbeigeführt werden müssen und stellte selbstbewusst heraus, dass SPRIND diese herbeiführen werde.

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Die weitere Podiumsdiskussion des Tages konzentrierte sich auf politische Weichenstellungen und deren Auswirkungen auf den Innovationsstandort Deutschland. Dr. Marion Jung (Entrepreneurin), Melis Sekmen (MdB, Bündnis 90/Die Grünen), Dr. Matthias Koehler (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie), Prof. Dr. Kathrin Adlkofer (Institut für Entrepreneurship und Business Development der Universität zu Lübeck) sowie Prof. Detlev Riesner (Qiagen-Gründer) erörterten unter der Moderation von Dr. Wolfgang Weitnauer (Weitnauer Rechtsanwälte) welche politische Entscheidungen zukunftsorientiert und hilfreich sein könnten.

Jedem Ende wohnt ein Anfang inne

Dr. Claus Kremoser (WMT) und Dr. Sylvia Wojczewski (BioSpring) resümierten abschließend die Erkenntnisse des Unternehmer:innen-Tages. Dabei verwiesen sie erneut auf USA-Vergleich zu Beginn der Veranstaltung. Diese Beschäftigungszahlen müssten auch hier in Deutschland erreichbar sein. Der Weg dahin? Der Austausch zwischen Unternehmer:innen und der Politik sowie ein anderes Mindset, das Biotechnologie als Schlüsseltechnologie für eine nachhaltige Zukunft versteht. Der Unternehmer:innen-Tag der BIO Deutschland 2023 bot insgesamt eine wertvolle Plattform für den Dialog zwischen der Biotechnologie-Branche und der Politik. Durch die Diskussion der Erfolgsfaktoren, strategischen Herausforderungen und politischen Weichenstellungen wurden die Leitplanken für eine zukunftsorientierte und nachhaltige Biotechnologiebranche in Deutschland und Europa erneut gestärkt.

Autor/Autorin

Redaktionsleiter Plattform Life Sciences at GoingPublic Media AG | Website

Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.