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Typische Zielunternehmen von Cross-over-Investoren sind Tech-Unternehmen, die schnell wachsen und absehbar profitabel werden können. Wie es gelingen kann, durch Schließung der Lücken in der Spätphasen-Finanzierung die IPO-Pipeline zu stärken.

GoingPublic: Herr Maassen, Herr Huth, vielen Dank für die Kurzvorstellung des Cross-over-Investor-Reports im aktuellen GoingPublic-Magazin. Solch langfristig engagierte Investoren könnten gerade in diesen schwierigen Zeiten sicherlich zusätzliche Finanzierungschancen bieten. Aus Unternehmersicht ist die Gretchenfrage nun: Wie kommt ein kapitalmarktaffines Unternehmen an solch einen Investorentyp und auf welche Kriterien legen diese Investoren besonderen Wert?

Maassen: Typische Zielunternehmen von Cross-over-Investoren sind schnell wachsende Techunternehmen auf einem erkennbaren Pfad zur Profitabilität und oft mit IPO-Potenzial. Der Auswahlprozess von Cross-over-Investoren ist dabei sehr selektiv, da aus einem Investment meist eine langfristige Partnerschaft entsteht. Entscheidende Kriterien sind dabei große Zielmärkte und der Nachweis von weiterem starkem Wachstumspotenzial, um innerhalb der Produktkategorie Marktführer werden zu können, zudem anhaltendes Umsatzwachstum und ein herausragendes Führungsteam.

Huth: Im Rahmen unserer Hintergrundgespräche mit verschiedenen Cross-over-Fonds wurde zudem deutlich, dass diese aktuell einen stärkeren Fokus auf Profitabilität legen und nicht mehr nur auf das Unternehmenswachstum achten. Tiefergehende Due-Diligence-Prozesse können damit aktuell die Investmentprozesse verlängern.

Die für unseren Report zugrunde liegende Liste an Cross-over-Investoren ist mit einer Vielzahl an weiteren Informationen auf Dealroom.co frei abrufbar.

Obwohl die meisten Cross-over-Investoren aus den USA oder Asien kommen, haben viele in den letzten Jahren europäische Büros und lokale Teams etabliert, beispielsweise Coatue (USA), Temasek (Singapur), BlackRock (USA), GIC (Singapur) oder TCV (USA). Als europäische Cross-over-Fonds sind vor allem Baillie Gifford (Schottland), AXA Investment Manager (Frankreich) und Jupiter (UK) zu nennen.

Der Cross-over-Markt wird also dominiert von angelsächsischen und asiatischen Investmentfirmen. Warum ist das so und was müsste sich in Deutschland und Europa ändern, um mehr Investoren zu attrahieren?

Maassen: Das europäische Techökosystem ist in den vergangenen Jahren spürbar gereift. Auf der Finanzierungsseite gilt das jedoch vor allem in der Frühphase, denn in der Spätphase fehlen nach wie vor deutsche und europäische Investoren. Mehr spezialisierte Cross-over-Investoren aus Europa könnten hier nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Verringerung des „Late-Stage Funding Gap“ beitragen, sondern auch die IPO-Pipeline stärken. In Deutschland wäre es diesbezüglich wünschenswert, dass der wichtige Beteiligungsfonds für Zukunftstechnologien („Zukunftsfonds“) ein ausreichend flexibles Mandat erhält und auch bei Börsengängen investieren kann.

Bei der Präsentation Ihres Reports erwähnten Sie, dass nahezu 25% der Tech-IPOs in Europa Cross-over-Investoren mit an Bord haben. Gibt es hier Erkenntnisse zu Branchenschwerpunkten und geografischen Präferenzen dieser Investoren?

Maassen: Ja, auch diese beiden Aspekte haben wir beleuchtet. Im Untersuchungszeitraum 2016 bis 2022 konnten wir den stärksten Branchenfokus durch europäische Cross-over-Investments bei Fintechs mit einem Gesamtbetrag von 6,4 Mrd. USD aufzeigen. Mit deutlichem Abstand folgen die Sektoren Impact (1,8 Mrd. USD), Deeptech (1,7 Mrd. USD) und Health (1,6 Mrd. USD).

Huth: Bei der geografischen Verteilung der Cross-over-Investments innerhalb Europas entfiel auf VC-finanzierte Wachstumsunternehmen aus UK mit 21,1 Mrd. USD das meiste Funding zwischen 2016 und 2022, gefolgt von Deutschland mit 13,2 Mrd. USD, Schweden mit 9,7 Mrd. USD und Frankreich mit 8,1 Mrd. USD. Mit deutlichem Abstand und an fünfter Stelle kommen die Niederlande mit 2,2 Mrd. USD.

Going Public: Was motivierte Sie zu dem Report über Cross-over-Investoren und wie kann die Deutsche Börse beim Investorenzugang unterstützen?

Huth: Die zunehmende Bedeutung von Cross-over-Investoren konnten wir punktuell bereits in unserem vorangegangenen Report „The road to IPO and beyond – Private and public growth companies in DACH“ aufzeigen. Trotz der weiter gestiegenen Relevanz erfolgten jedoch bisher nur sehr wenige dedizierte Untersuchungen zu dieser Investmentstrategie. Genau hier liefern wir einen datenbasierten Beitrag für das Ökosystem und beleuchten die Auswirkungen auf den Venture- und IPO-Markt. Cross-over-Investoren sind wertvolle Partner für die Deutsche Börse, um mehr Unternehmen an den Kapitalmarkt heranzuführen.

Maassen: Als Deutsche Börse sehen wir uns als neutralen Partner, um Wachstumsunternehmen bereits mehrere Jahre vor einem möglichen Börsengang bei der Verbesserung ihrer Kapitalmarktfähigkeit zu unterstützen. Hervorzuheben ist hier das Deutsche Börse Venture Network als Pre-IPO-Initiative für Wachstumsunternehmen. Ein Eventhöhepunkt sind unsere regelmäßig stattfindenden Capital Market Days. Hier erhalten Börsenaspiranten Wissen von IPO-Experten, erweitern ihr Netzwerk und lernen, wie sie ihr Unternehmen erfolgreich an die Börse bringen können. Neben Best Practices zur IPO-Vorbereitung, Strategien für den Übergang zu einem börsengelisteten Unternehmen und dem Aufbau einer überzeugenden Equity Story inkl. ESG-Kriterien werden auch Themen zum aktuellen IPO-Markt behandelt. Dieser Wissenstransfer stärkt Wachstumsunternehmen ebenso bei der Investorenansprache.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang den Vorschlag der EU-Kommission zum geplanten EU Listing Act?

Maassen: Es ist wichtig, dass neben den positiven nationalen Bestrebungen durch das Zukunftsfinanzierungsgesetz in Deutschland auch auf europäischer Ebene die Rahmenbedingungen des gesamten europäischen Kapitalmarkts mit dem EU Listing Act gestärkt werden. Die Erleichterung des Zugangs durch vereinfachte Prospektpflichten ist dabei ein wichtiger Baustein. Insgesamt sind diese Vorschläge ein guter Anfang, um das europäische Kapitalmarktökosystem auf- bzw. auszubauen. Es ist jedoch nur ein erster Schritt auf dem notwendigen Weg zu einer europäischen Kapitalmarktunion als strategische Antwort auf den zunehmenden globalen Wettbewerb an den Primärmärkten. Es gilt: Nicht auf Europa warten, Europa gestalten.

 

Das Interview führte Simone Boehringer


ZU DEN INTERVIEWPARTNERN

Carsten Huth

Carsten Huth ist Vice President im Bereich IPO & Growth Financing bei der Deutschen Börse in Berlin und verantwortet insbesondere die Betreuung VC-finanzierter Börsenkandidaten sowie die Orderbuch-Zeichnungsfunktionalität „DirectPlace“.

 

 

 

 

Stefan Maassen

Stefan Maassen ist Head of Capital Markets & Corporates bei der Deutschen Börse und verantwortet den Primärmarkt. Das beinhaltet die Betreuung privater und börsennotierter Unternehmen sowie das Community Management am Börsenplatz in Frankfurt.

Autor/Autorin

Simone Boehringer

Simone Boehringer ist die Redaktionsleiterin "Kapitalmarktmedien" der GoingPublic Media AG.