Parteien wird oft vorgehalten, politische Strömungen in der Wahlbevölkerung wahrzunehmen und dann effektheischend diesen Trends hinterher zu hecheln. In Bezug zur Einstellung zum Kapitalmarkt kann man diesen Vorwurf eher nicht erheben. Von Karl Fuchs
Das politische Führungspersonal des Landes versäumt seit geraumer Zeit eine ganz wesentliche Entwicklung in der Wählerschaft. Gemeint ist der radikale Sinneswandel den Kapitalmarkt betreffend, welcher durch die Coronazeit und der sich parallel abzeichnenden Entwicklung bei digitalen Zugängen im Wertpapierbereich gerade in den letzten Jahren nochmals zugenommen hat. Waren vor rund 15 Jahren nur 5% der Österreicherinnen und Österreicher investiert, hat sich diese Zahl bis 2025 versechsfacht!
Das zeigt das wieder von Meinungsforscher Peter Hajek (im Auftrag von Wiener Börse, Aktienforum und Industriellenvereinigung) erhobene „Aktienbarometer“ sehr eindrücklich. Die Erhebung ist repräsentativ für die österreichische Bevölkerung ab 16 Jahren (2.000 Befragte im Jänner 2025, Schwankungsbreite: 2,2%) und weist mittlerweile ein knappes Drittel der Wohnbevölkerung als Wertpapierbesitzer aus. In absoluten Zahlen sind das rund 2,3 Mio. Menschen. Ein Nischenthema sind Wertpapiere also längst nicht mehr. Das Aktienforum sieht in dieser Entwicklung einen Weckruf für die Politik. Es ist Zeit, die Ideologie-Brille abzunehmen und die Chancen, die der Kapitalmarkt in der aktuellen Wirtschaftssituation für Innovation und die Absicherung des Sozialsystems bietet, zu erkennen. Mit 2,3 Mio. Wertpapierbesitzern in Österreich haben wir eine kritische Masse längst überschritten.
Marathon statt Sprint
Fakt ist, dass die Bevölkerung in Sachen Veranlagung deutlich weiter ist als die Politik und diese, handelte es sich um Rennen um die Zukunftsfähigkeit des Landes, um Längen abhängt. Aber ist das Rennen nun ein Marathon oder ein Sprint? Die Antwort fällt eindeutig aus. Denn die Behauptung, wonach am Kapitalmarkt Zocker und Glücksritter kurzfristige Gewinne einstreifen wollen, entpuppt sich als Fake News.
Die Realität ist ganz anders, aus dem Blickwinkel des Klassenkampfs aber wenig skandalträchtig: Die Bevölkerung sieht Investments eher als Marathon denn als Sprint. Im Ranking der Motive führt der „langfristige Vermögensaufbau“, ganze 79% der Befragten sagen, dieser Aspekt der Wertpapierveranlagung sei „sehr“ oder „eher“ wichtig. Auf Platz 2 folgt das Argument des „Werterhalts“ angesichts der Inflationssituation mit 74 Prozent. Stark aufgeholt hat der Gedanke der „Pensionsvorsorge“ – schon zwei Drittel (konkret 67%) der Befragten halten diesen für ausschlaggebend. Während die Politik das Thema zweite und dritte Säule der Pensionsvorsorge meidet wie der Teufel das Weihwasser, ist die Wahlbevölkerung auch in dieser Hinsicht wieder die Nasenlänge vorn.
Die Mitte wird breiter
Aktienforums-Präsidentin Angelika Sommer-Hemetsberger dazu: „30% der Bevölkerung investieren, um im Alter mehr Mittel zur Verfügung zu haben. Ich denke, es ist Zeit, dass die Politik diesem Trend auch Rechnung trägt und die Altersvorsorge auf eine breitere Basis stellt.“ Sommer-Hemetsberger weiter: „Der Kapitalmarkt hat das Potenzial die sozialen Sicherungssysteme beträchtlich zu entlasten.“ Was für diese These spricht, ist offensichtlich auch die soziodemografische Verteilung er Wertpapier-Besitzer. Unter den 2,3 Mio. Österreicherinnen und Österreichern, die am Kapitalmarkt aktiv sind – 1,4 Mio. weitere können sich im Übrigen vorstellen, diesen Schritt ebenfalls zu tun – befinden sich knapp 700.000 Personen, die über ein Nettoeinkommen von weniger als 2.000 EUR im Monat verfügen. 630.000 Investierte kommen auf ein Einkommen zwischen 2.000 und 3.000 EUR netto. Hier also von einem „Elitenthema“ zu sprechen, fällt erneut in die Kategorie der politischen Rhetorik.
Mind the Gaps!
Das heißt freilich nicht, dass es nicht noch Schieflagen gibt, die zu adressieren wären. Weiter bestehen bleiben geschlechtsspezifische Unterschiede.
Der Equal Shares Day hat sich 2025 zwar nach hinten verschoben, er findet diesmal „erst“ am 25. und nicht wie im Vorjahr am 11. Juli statt. Dennoch sind 39% der Männer am Kapitalmarkt unterwegs und nur 22% der Frauen. Unterschiede gibt es auch bezüglich des Bildungsniveaus der am Kapitalmarkt Engagierten: Während erstmals mehr als die Hälfte (51%) der Hochschulabsolventen investiert ist, stieg zwar auch der Prozentanteil unter den Pflichtschulabsolventen um zwei Prozentpunkte auf 16% – die Schere aber hat sich im Vergleich zu 2024 weiter geöffnet. Ebenfalls, wenn auch nicht so drastisch, wahrnehmbar ist das Stadt-Land-Gefälle. Während 33 % der städtischen Bevölkerung (in Städten über 50.000 Einwohnern) am Kapitalmarkt investiert sind, sind es bei der Landbevölkerung (in Ortschaften bis zu 2.000 Einwohnern) nur 24%.
Fazit
Obwohl sich in den vergangenen Jahren die Teilhabe der Bevölkerung am Kapitalmarkt spürbar ausgeweitet hat, besteht Potenzial, um noch mehr finanzpolitische Marathonfans zu gewinnen. Die Politik wäre gut beraten, die positive Entwicklung mit flankierenden Maßnahmen und Regelungen zu unterstützen. Denn ein florierender, attraktiver Kapitalmarkt hilft nicht nur dem einzelnen Bürger, sondern dem Wirtschaftsstandort Österreich allgemein.
Autor/Autorin
Karl Fuchs
Karl Fuchs ist Geschäftsführer des Aktienforums – Österreichischer Verband für Aktien-Emittenten und -Investoren.