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Jeder Vierte in Österreich über 16 Jahren besitzt inzwischen Wertpapiere, 13% besitzen direkt Aktien. Die Ergebnisse einer ­aktuellen empirischen Erhebung. 

Im Frühjahr dieses Jahres machte eine ungeahnte Kombination aus Politik und Geld Schlagzeilen: „Grüne fliegen auf Aktien“, titelte der Kurier im Wirtschaftsteil und belegte dies mit einer Grafik aus dem diesjährigen Aktienbarometer, einer Studie von Peter Hajek Public Opinion Strategies im Auftrag des Aktienforums und der Wiener Börse. Tatsächlich kam bei der Befragung von 2.000 Bürgern über 16 Jahren heraus, dass unter den privaten Wertpapieranlegern 40% GRÜNEN-Wähler sind. Damit lagen sie einen Prozentpunkt vor den Anhängern der NEOS, der man als liberalen und wirtschaftsnäheren Partei ­naturgemäß zutraut, besonders viele Aktien­sparer unter ihren Wählern zu haben. Es folgen die ÖVP-Wähler (32%) und dahinter abgeschlagen die SPÖ-Anhänger sowie FPÖ-Wähler (18%).

GRÜNEN-Wähler haben höchste Depotquote

Wertpapierbesitz also als überraschendes Politikum – ist es doch die grüne Partei, die das Wiedereinführen einer sogenannten ­Behaltefrist im Parlament blockiert. Wer in Österreich Aktien verkauft, zahlt auf den Kursgewinn derzeit eine Kapitalertragsteuer (KESt) von 27,5%, ob er mit den Titeln nun spekuliert und ständig handelt oder die ­Anteilscheine erwirbt und länger im Depot hält, etwa als Teil der eigenen Altersvorsorge. Geplant ist schon länger eine Steuerfreiheit der Kursgewinne nach Ablauf einer ­Behaltefrist, wie es in einjähriger Form bis 2012 schon einmal gab.

Karl Fuchs, Geschäftsführer des Österreichischen Verbandes für Aktien-Emittenten und -Investoren

Die interessante Erkenntnis hinter der politischen Einordnung der Aktien- und Fondssparer im Land: Offensichtlich sind Wertpapierbesitzer in allen Wählergruppen signifikant vertreten. Allgemeiner formuliert ist Wertpapiersparen nicht mehr die große Ausnahme, sondern wird zunehmend zur Regel. „In der Pandemie hat das Interesse an Aktien und Aktienfonds stark zugenommen und die jüngsten Zinserhöhungen haben die Leute nicht davon abgehalten, weiter in Aktien zu sparen. Man sieht: Die Menschen sind an die Börse gekommen, um zu bleiben“, wie es Karl Fuchs formuliert, Geschäftsführer des Aktienforums in Wien, das sich für die Weiterentwicklung der Aktienkultur im Land starkmacht.

Anzahl der Wertpapierbesitzer auf 25% gestiegen

Aus der Hajek-Studie, die in diesem Jahr mit 2.000 statt bisher 1.000 Befragten bis Januar 2023 durchgeführt wurde und damit die bislang größte Erhebung zum Thema in Österreich ist, geht hervor, dass es neben den hochgerechnet insgesamt 1,9 Millionen Menschen über 16 Jahren, die schon in Wertpapiere investiert sind, weitere 1,1 Millionen Bürger gibt, die zwar jetzt gerade nicht investiert sind, sich aber grundsätzlich für Aktien, Fonds oder auch Anleihen als Geldanlage interessieren.

Fuchs versteht dieses neue Anlegerpotenzial als Auftrag, zumal schon die Entwicklung der vergangenen Dekade sich sehen lassen kann: Heute sind gemäß der repräsentativen Umfrage 25% der Bevölkerung über 16 Jahren in Wertpapieren investiert, anno 2010 lag dieser Anteil bei anderen durch das Aktienforum durchgeführten Umfragen (andere Methodik, anderes Sample) bei weniger als der Hälfte. Das reine Aktiensparen entwickelte sich von 5% anno 2010 bis auf 13% aktuell.

Hoffen auf eine KESt-Einschränkung

„Wir setzen jetzt auf den jüngsten Vorschlag von Bundesfinanzminister Brunner, der sich für die Wiedereinführung einer Behaltefrist starkmacht“, erklärt Fuchs im Gespräch mit GoingPublic. Demnach sollen realisierte Kursgewinne von der KESt befreit bleiben, wenn Sparer diese vorher zehn Jahre gehalten haben und die Papiere in einem noch näher zu definierenden Vorsorgedepot platziert sind. Dieses Ergebnis ist auch ein Kompromiss zwischen den ­Regierungsfraktionen von FPÖ und GRÜNEN, die möglichst breite Bevölkerungs­geschichten zum Wertpapier­sparen animieren wollen, ohne mit dem Vor­sorge­depot am Ende bevorzugt die Wohlhabenderen zu fördern.

Andere Interessengruppen wünschen sich sogar die einjährige Behaltefrist zurück, was noch einen erheblich größeren Effekt auf das Aktiensparen hätte. Für ein Gesetz zur damit praktisch weitgehenden Abschaffung der KESt bräuchte es allerdings eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Die Debatte läuft noch.

Jeder Fünfte mit geringerem Einkommen besitzt Wertpapiere

Darüber hinaus ist gemäß der jüngsten Hajek-Erhebung noch erwähnenswert: Ein Drittel der Männer, aber nur 18% der Frauen in Österreich besitzen Wertpapiere. „Hier gibt es Nachholbedarf“, weiß Fuchs und begründet diese Diskrepanz zwischen den Geschlechtern vorwiegend mit dem vor allem in den älteren Bevölkerungsgruppen vorherrschenden traditionellen Rollenmodell und dem unterschiedlichen Risikoverhalten.

In den mittleren und niedrigen Einkommensgruppen hat zudem fast ein Drittel bzw. knapp jeder Fünfte Wertpapiere im Depot. „Das ist zwar relativ gesehen eine deutlich geringere Quote als bei den Höherverdienenden mit Nettoeinkommen höher als 3.000 EUR monatlich, aber in der Summe sind es in den beiden niedrigeren Gehaltsgruppen schon viele Menschen, die sich trotz ihres geringeren Einkommens in den vergangenen Jahren für Wertpapiere und damit eben gegen ein einfaches – und lange Zeit wenig lukratives – Sparkonto entschieden haben“, freut sich Fuchs.

PISA-Test zur Finanzkompetenz

Zwar nicht empirisch nachweisbar, aber durchaus wahrscheinlich, dass hier schon der anfangs der Pandemie beschlossene „Nationale Finanzbildungsplan“ greift. Dieser sieht diverse Bildungs- und Aufklärungsmaßnahmen vor, vorwiegend in der jungen Generation. Gespannt warten die Experten diesbezüglich noch auf das Ergebnis eines Tests zur finanziellen Bildung (Financial Literacy) im Zuge der internationalen PISA-Studien der OECD über den Bildungsstand von Schülern. „Diese Befragung wurde 2022 gestartet und soll detailliert Auskunft über die Wirtschafts- und Finanzkompetenz der jungen Generation geben“, erklärt Fuchs.

Vor allem für die Bevölkerungsteile in den unteren Lohngruppen sehen Finanzbildungsexperten noch reichlich Potenzial, auch zur Stärkung der privaten Altersvorsorge. „16% Wert­papierbesitz in der größten Bevölkerungs­gruppe, die 2.000 EUR netto monatlich oder weniger verdient, bedeuten auch, dass hier noch 84% keine Wertpapiere besitzen. Gezielte Aufklärungs- und Fortbildungsarbeit sowie die Einführung eines Vorsorgedepots mit Steuerfreiheit nach einer Haltefrist können für diese Menschen besonders viel bedeuten“, sagt Fuchs.

Die Empirie gibt ihm recht. Auf die Frage, warum sie denn bisher keine Wertpapiere halten, antworten in der Hajek-Erhebung 72% der Befragten, dass sie zu wenig Wissen über den Markt hätten, um zu investieren.

An zweiter Stelle geben die Menschen an, dass sie nicht genügend Mittel für Wertpapierkäufe haben. Hier könnten teilweise höhere Steuerfreibeträge, etwa die Anhebung des Freibetrags auf Mitarbeiteraktien im vergangenen Jahr auf 3.000 EUR, eine weitere Steigerung des Wertpapierbesitzes bringen. Für die niedrigste Lohngruppe, die kraft ihrer hierarchisch schlechteren Stellung in Unternehmen seltener in den Genuss von Mitarbeiteranteilen kommen dürfte, hoffen Finanzexperten auf einen Boost durch diese Möglichkeit. Darüber hinaus könnte man hier weitere Maßnahmen wie die Steuerfreistellung von Dividendenausschüttungen andenken, so Fuchs. Dies wäre eine Win-win-Situation für Arbeitgeber, weil standortstärkend, und für Arbeitnehmer.

Fördermaßnahmen politisch umstritten

Doch all die genannten Maßnahmen sind politisch umstritten. Gerade auch im Finanzbildungsrat, der über die Maßnahmen zur Finanzbildung mitentscheidet, sitzen Vertreter aus allen wichtigen Wirtschafts- und Sozialinstitutionen, von denen nicht alle begeistert sind von der Kapitalisierung von Gehältern. Ein Grund: Mitarbeiterbeteiligungsprogramme gehen auch oft einher mit der Einführung von erfolgsabhängigen Gehaltsbestandteilen zulasten der Fixgehälter, was Angestellte dann nicht immer freiwillig ins Risiko treibt bzw. Auszahlungen in die Zukunft verschiebt. Wer 5.000 EUR netto hat und noch 500 EUR variabel in Form von Mitarbeiteraktien als Option dazubekommt, kann wohl meistens ruhig schlafen. Bei 1.800 EUR netto und 300 EUR variabel wird ein Arbeitnehmer die Sache mit dem Wertpapierbesitz über den Arbeitgeber durchaus kritischer sehen.

Die gesellschaftliche Diskussion läuft jedenfalls im Land – auch das ist ein Teil einer „zunehmend lebhafteren Aktienkultur, und das ist gut so“, zeigt sich Fuchs zufrieden.

Dieser Beitrag erschien im Special Kapitalmarkt Österreich 2023.

Autor/Autorin

Simone Boehringer

Simone Boehringer ist die Redaktionsleiterin "Kapitalmarktmedien" der GoingPublic Media AG.