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Die gestiegenen Zinsen und höhere Energiekosten machen dem Immobilienmarkt zu schaffen. Der „Stimmungsindikator Immobilien-Aktien“ zeichnet ein differenziertes Bild. Ein Gespräch über die wichtigsten Erkenntnisse und die Aussichten für Investoren.

GoingPublic: Immobilienaktien haben in diesem Jahr viel an Wert verloren. Welche Rolle haben dabei die wieder steigenden Zinsen gespielt?

Hecht: Die Kursabschläge bei Immobilienaktien waren außerordentlich hoch. Der RX Real Estate Index hat sich seit Jahresbeginn mehr als halbiert. Während wir im zweiten Halbjahr in einigen Branchen eine Kurserholung gesehen haben, hinken Immobilienaktien weiter hinterher. Steigende Zinsen sind nicht der einzige Treiber der Entwicklung. Historisch gesehen zeigen sich Immobilienaktien recht robust bei steigenden Zinsen. Die Gemengelage ist aber sehr komplex: steigende Finanzierungskosten, anhaltende Lieferengpässe, höhere Materialkosten, strengere Nachhaltigkeitsvorgaben, eine komplexe Regulatorik oder stark gestiegene Energiekosten sind nur einige Schlagworte. Dieser Wandel fordert die Unternehmen und spiegelt sich in den Aktienkursen.

Zum Interviewpartner: Jens Hecht, CFA, ist Managing Partner der Kirchhoff Consult AG. Er berät seit über 20 Jahren mittelständische Unternehmen bei der Vorbereitung und Durchführung von Börsengängen sowie in den Bereichen Investor Relations, ESG und Finanzberichterstattung.

GoingPublic: Warum sind stark gestiegene Energiekosten für Immobilienunternehmen ein Problem?

Hecht: Es kommt auf das Geschäftsmodell an. Ein Finanzierungsdienstleister wie EV Digital Invest ist davon kaum betroffen – Immobilienbestandshalter wie Vonovia stehen jedoch vor einer Herausforderung. Für Investoren stellt sich die Frage, in welchem Umfang die steigenden Energiekosten das Mieterhöhungspotenzial beschränken. Immerhin ist für Endmieter die Gesamt- bzw. Warmmiete ausschlaggebend. Es geht also nicht nur um die Frage, ob der Mieter die nächste Nebenkostenabrechnung bezahlen kann. Aus Investorenperspektive ist deutlich wichtiger, in welchem Umfang das Ertragssteigerungspotenzial dieser Unternehmen beeinträchtigt wird.

GoingPublic: Sind Immobilienaktien nach dem Kursrutsch für Anleger attraktiv geworden, weil ihre Bewertung bereits unterhalb der Verkehrswerte liegt?

Börsch: Das Niveau ist auf den ersten Blick sehr attraktiv. Deutsche Immobilienaktien notieren aktuell mit deutlichen Abschlägen auf den Net Asset Value. Die Marktkapitalisierung liegt teilweise erheblich unter dem Substanzwert. Haben die Bewerter mit ihren Wertansätzen für Immobilienbestände recht, besteht eine deutliche Diskrepanz. Allerdings erwarten Analysten und IR-Manager eine Seitwärtsbewegung der Kurse. Es scheint noch zu dauern, bis die Lücke geschlossen wird.

Quelle: Kirchhoff Consult AG

GoingPublic: Der „Stimmungsindikator Immobilien-Aktien“ wurde 2022 bereits zum siebten Mal durchgeführt. Welche Einstellungen sind für Sie relevant und wie werden diese ermittelt?

Zum Interviewpartner: Daniel Börsch ist Investor-Relations-Berater bei der Kirchhoff Consult AG. Er begleitet Unternehmen bei der Konzeption und Umsetzung von Strategien zur Kapitalmarktkommunikation.

Börsch: Die Studie gilt in der Branche als wichtigster Stimmungsindikator für den deutschen Immobilienaktienmarkt. Wir befragen regelmäßig Analysten und Unternehmensvertreter, wie sich dieser Markt ihrer Einschätzung nach in den kommenden drei bzw. zwölf Monaten entwickeln wird. Dabei wird separat auf die Kursentwicklung von Gewerbe- und Wohnimmobilienaktien eingegangen. Die Auswertung bildet den Durchschnitt aller abgegebenen Einschätzungen ab.

GoingPublic: Wie beurteilen die befragten Experten momentan den Immobilienmarkt in Deutschland?

Börsch: Die Analysten blicken trotz der aktuell sehr günstigen Bewertung nur verhalten optimistisch auf die kommenden Monate. Die Grundstimmung erreichte 4,5 Punkte auf einer Skala von -100 bis +100. Auch Unternehmensvertreter äußerten sich zur allgemeinen Grundstimmung mit -2,3 Punkten zurückhaltend.

GoingPublic: Welche Unterschiede bestehen in der Beurteilung von Wohn- und Gewerbeimmobilien?

Hecht: Aktien von Wohnimmobilienunternehmen werden etwas besser eingestuft. Eine bloße Differenzierung zwischen Wohnen und Gewerbe greift aber zu kurz. Die Geschäftsmodelle sind komplexer geworden, Unternehmen haben die Wertschöpfungstiefe erhöht und Innovationen ermöglichen neue Chancen. Die beschriebenen Marktveränderungen eröffnen neue Investmentopportunitäten. Die Unternehmen müssen deshalb klar kommunizieren, mit welchen Strategien und Maßnahmen eine weitere Wertschaffung im komplexen Umfeld gelingen kann.

GoingPublic: Warum zeigen sich IR-Manager wesentlich positiver als Analysten?

Börsch: IR-Manager blicken auf die Aktienkurse aus der Unternehmensperspektive – und die Geschäftszahlen sind alles andere als schlecht. Viele Unternehmen haben gute Ergebnisse erzielt. Analysten blicken auf die Aktienkurse aus der Marktperspektive – und die Dynamik der Immobilienbranche hat sich in den letzten Monaten deutlich verschärft.
Hecht: Dass es wegen unterschiedlicher Perspektiven zu anderen Wahrnehmungen kommt, ist gut und richtig. Man sollte sich beider Perspektiven bewusst sein, um aktuelle Lage und Opportunitäten angemessen beurteilen zu können.

Quelle: Kirchhoff Consult AG

GoingPublic: Weshalb ist die optimistische Grundstimmung der vergangenen Jahre insgesamt so stark eingebrochen?

Börsch: Die Grundstimmung ist geprägt von Unsicherheiten. Dass trotz der günstigen Bewertung die Erwartung an die weitere Kursentwicklung nur verhalten ist, zeigt dies deutlich. Zudem machen aktuelle Berichte über den US-Immobilienmarkt einige Investoren nervös. Sie befürchten, dass es auch in Deutschland zu weiteren Wertberichtigungen kommen wird.

GoingPublic: Welche neuen Chancen bieten die schwierigen Marktbedingungen für Investoren?

Hecht: Jeder Umbruch bringt auch neue Möglichkeiten mit sich. Die Branche ist im Wandel und einige Unternehmen haben sich mit neuen Services oder Technologien exzellent positioniert, um aus diesem Wandel gestärkt hervorzugehen. Für Investoren kommt es mehr denn je darauf an, das richtige Stock-Picking zu finden.

GoingPublic: Welche Kategorien von Immobilieninvestments gibt es für interessierte Anleger?

Hecht: Der Immobilienmarkt hat viel zu bieten. Value-Investoren finden Titel mit attraktiven Dividendenrenditen bei Bestandshaltern. Growth-Investoren können auf vielversprechende Small Caps mit innovativen Geschäftsmodellen setzen.

GoingPublic: Welche Kriterien sollten bei der Auswahl berücksichtigt werden?

Hecht: Wie bei allen Investments gilt: Man sollte nicht in ein Geschäftsmodell investieren, das man nicht versteht. Für viele Unternehmen ist fundiertes Research verfügbar. Zudem gilt es zu prüfen, wie gut Unternehmen auf künftige Trends aufgestellt sind – beispielsweise im Hinblick auf die steigende Bedeutung von ESG.

GoingPublic: Sichtwort ESG: Erstmals haben Sie Analysten und IR-Verantwortliche zu deren Bedeutung befragt. Wie wichtig ist das Thema für den langfristigen Erfolg?

Börsch: Bei den Ergebnissen hat sich eine große Kongruenz zwischen Analysten und Unternehmen gezeigt. Die große Mehrheit sieht ESG-Faktoren als wichtig an für den mittelfristigen und langfristigen Unternehmenserfolg. ESG ist mittlerweile in vielen Immobiliengeschäftsmodellen fest verankert. Der Druck von Kapitalgebern ist groß.

GoingPublic: Wo sehen die Experten momentan die größten Herausforderungen für die Immobilienwirtschaft?

Hecht: Ganz klar bei der Nachhaltigkeit. 86% der befragten Analysten und alle Unternehmensvertreter sehen die größte Herausforderung in der Umsetzung der EU-Taxonomie. Dabei handelt es sich um ein europaweit einheitliches Klassifikationssystem für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten. Die aktuellen Evaluierungskriterien der Taxonomie sind für Unternehmen sehr ambitioniert. Zudem stehen viele Unternehmen vor dem Problem, dass ihre Datenqualität und -tiefe diesen Standards noch nicht genügt.

GoingPublic: Wie schätzen Sie den Immobilienmarkt in Deutschland im nächsten Jahr und auf mittlere Sicht ein?

Börsch: Insgesamt sind wir recht optimistisch. Der deutsche Immobilienmarkt ist robust. Die Verschuldung der Unternehmen ist auf einem moderaten Niveau und gerade in volatilen Marktphasen sind Substanzwerte gefragt. Die Branche steht aber vor komplexen Herausforderungen – diese fordern Unternehmen, Investoren und Politik gleichermaßen.

GoingPublic: Welche Hausaufgaben muss die Politik erledigen, damit der Immobilienmarkt neue Dynamik gewinnt?

Hecht: Derzeit konzentriert sich die Politik stark auf die Wohnungsknappheit in den Großstädten und versucht, über Regulierungen die Preisentwicklung zu dämpfen. Dabei zeigt doch die Preisentwicklung, wie dringend neue Nutzflächen gebraucht werden. Hier gilt es den Fokus zu ändern, damit Unternehmen ansprechenden Wohnraum zur Verfügung stellen können.

GoingPublic: Herr Hecht, Herr Börsch, vielen Dank für das informative Gespräch!

www.kirchhoff.de

Das Interview führte Thomas Müncher.

Autor/Autorin

Thomas Müncher

Thomas Müncher ist Wirtschafts- und Finanzjournalist und freier Autor beim GoingPublic Magazin.